Paradiesäpfel

Kurzgeschichte zum Thema Vertrauen

von  FrankReich

Die Frau am offenen Bücherregal grinste, als sie meinen Abstand gewahrte. "Ich habe keine Angst vor Ihnen", meinte sie, "und ich bin auf jeden Fall gesund, allerdings empfinde ich diese Vorsichtsmaßnahmen im Allgemeinen sowieso als reichlich überzogen."
Ich grinste zurück, denn auch ich bin kein Freund der Toilettenpapierfraktion, ihre Einstellung jedoch befremdete mich ein wenig, ich hielt sie für unbedacht und rücksichtslos, doch als ich ihr das sagte, wiegelte sie es mit den Worten ab, dass ich den Medien offenbar zuviel Glauben schenke,
Im weiteren Gespräch stellte sich heraus, dass die Panikmache um das Virus für sie nur eine Strategie bedeute, um die Menschheit zur Vernunft zu bringen und ihr Gottvertrauen sie davor schütze, ein ähnlich übertriebenes Verhalten zu entwickeln,
Sie hörte sich zwar noch kurz meine Meinung dazu an, führte ihren Monolog danach jedoch unbeirrt weiter, obwohl sie mich schon längst davon überzeugt hatte, dass ihre Welt nicht von dieser sein konnte, denn wenn es den Virus in dieser Ausprägung gäbe, sei sie nicht nur wegen ihrer Gottesfürchtigkeit, die ihr sowieso ein besseres Körpergefühl garantiere, sondern auch durch ihr Wissen um die Kräuterheilkunde dagegen gewappnet.
Ich beendete ihre Unterhaltung schließlich unter einem Vorwand, jedoch nicht, ohne ihr zu versichern, mich über die Heilkundlerin zu informieren, deren Namen sie mir genannt hatte, denn unkonventionellen Methoden stehe ich aufgrund meiner nach einer Chemotherapie erworbenen Chemikalienallergie durchaus aufgeschlossen gegenüber.
Bereits auf dem Heimweg teilte mir ein von mir seit einiger Zeit etwas vernachlässigter Freund  über Handy völlig aufgelöst mit, dass sein dreijähriger Sohn wegen durch Covid 19 ausgelöste Atembeschwerden bereits auf der Intensivstation liege und nachdem ich zu Hause mehrere Quellen überprüft hatte, fand ich heraus, dass die mir empfohlene Heilkundlerin lediglich eine durch ein Schlüsselerlebnis berufene Autodidaktin war, deren Kenntnisse über Pflanzenkunde mindestens als ebenso unzureichend zu bezeichnen sind wie die der zur Zeit praktizierenden Ärzte auf dem Gebiet der Schulmedizin.
Deshalb frage ich mich, allerdings schon seit längerem, ob der Apfel der Naivität nicht vom gleichen Stamm gefallen sein könnte wie der der Arroganz, rein rhetorisch natürlich.


Anmerkung von FrankReich:

Die Theorie der Kräuterkundlerin Maria Treben (1907 - 1991), dass gegen jede Krankheit ein Kraut gewachsen sei, mag durchaus ihre Berechtigung haben, jedoch sind bei weitem noch nicht alle Wirkungen, bzw. alle Heilpflanzen bekannt, außerdem warnt die Stiftung Warentest davor, in Trebens Erfahrungen unbegrenztes Vertrauen zu setzen, da sie teilweise sowohl Fachbegriffe verwechselt, was sogar zu lebensbedrohlichen Empfehlungen führe als auch gerade ihre Erkenntnisse bzgl. der Krebsbehandlung durch Heilkräuter sich als kontraproduktiv erwiesen hätten, da die von ihr entwickelte Pflanzentherapie bisher zu keiner Geschwulstreduktion geführt habe, bzw. die Anwendung alternativer Methoden (Chemotherapie, Strahlentherapie, Operationen) verzögere, wobei Stiftung Warentest allerdings unerwähnt lässt, wie gering die vollständigen Heilungschancen ohne Neben-, oder Nachwirkungen selbst bei rechtzeitiger Anwendung dieser Methoden sind.

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (29.03.20)
Ja, es gibt eine arrogante Naivität.
Servus
Ekki

 FrankReich meinte dazu am 29.03.20:
Danke Ekki,

was mich seit jeher stört, ist die fehlende Zusammenarbeit zwischen Naturheilkunde ("Die Apotheke Gottes") und Schulmedizin (Halbgötter in Weiß) sowie die daraus entstehenden Kontraste aus Naivität (seitens der Bevölkerung) und Arroganz (seitens der Heilkundler und Ärzte).

Zur Naivität:
lt. Wikipedia werden Menschen im Allgemeinen als naiv bezeichnet, die Umstände und Handlungen nicht angemessen bewerten können."

Zur Arroganz:
lt. Wikipedia versteht man darunter seit der frühen Neuzeit den Habitus von Personen, die ihren eigenen Wert, ihren Rang oder ihre Fähigkeiten unrealistisch hoch einschätzen.

Beide Male geht es also um einen unangemessenen Bezug zur Realität, in erstem Fall ausgelöst durch Leichtgläubigkeit, im zweiten durch Hochnäsigkeit, beides also vom Baum der Dummheit gefallen, wobei hier unter Dummheit die fehlende Bereitschaft etwas oder sich selbst zu hinterfragen zu verstehen ist.

Ich meine, dass die Zeit der Aufklärung noch lange nicht vorbei ist, da auch dieser Begriff stets einer neuen Reflexion bedarf.

Ciao, Frank

 Regina antwortete darauf am 29.03.20:
Inzwischen gibt es ein paar Ärzte, die auch eine Heilpraktikerschulung durchlaufen haben. Der Grund, warum die Schulmedizin nicht mit den alternativen Heilkundlern zusammenarbeiten will, liegt an den Forschungsaufträgen, die die pharmazeutische Industrie finanziert. Pflanzenmedizin und homöopathische Mittel sind oft viel billiger herzustellen als die allopathischen Medikamente. "Placebo?", meint der Geistheiler Robert Zink, "ist doch egal, wenn der Patient dann gesund wird." Meldepflichtige Krankheiten, wie Covid19 zum Beispiel, dürfen die Heilpraktiker nicht behandeln. Ihre Therapien basieren außerdem auf Erfahrungen, und mit einem neuen Virus haben sie keine. Freilich kannst du bei einem leichten Verlauf von Corona die Symptome mit den üblichen Hausmitteln lindern. Aber bei einem schweren Verlauf heißt es, ran an die Lungenmaschine. LG Gina

 FrankReich schrieb daraufhin am 29.03.20:
Danke für Deinen Kommentar, Regina, aber ich denke, dass das Problem, welches Du da ansprichst, in erster Linie durch die Krankenkassen verursacht wird, da solche Therapien und die dazu erforderlichen homöopathischen Präparate von ihnen nicht finanziert werden. Hier müsste meiner Ansicht nach angesetzt werden und um auf obiges Thema zurückzukommen wird es natürlich sowohl Ärzte als auch Heilpraktiker geben, die ihre Nase nicht nur oben tragen oder naiv mit den Schultern zucken, sondern sich ständig auf dem Laufenden halten, um ihren Patienten zu helfen, beim Großteil ist das aber nicht so.

Ciao, Frank
Sin (55)
(29.03.20)
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 FrankReich äußerte darauf am 30.03.20:
Hi Sin,

danke für Deine Sehsternchen, wie immer ist mir der Kommentar allerdings am wichtigsten, besonders weil Du Dich auf den Placebo-Effekt beziehst, denn in diesem Zusammenhang ist der Nocebo-Effekt wichtig, das gegenteilige Phänomen, das aus dem Voodoo bekannt ist und ja, der Glaube kann innerlich Berge versetzen, das funktioniert allerdings auch völlig ohne "bo", ich denke, dass auch Yoga oder Qi Gong eine negativen Effekt haben können, wenn eine innerliche Abwehr dagegen besteht, jedoch ein äußerer Druck vorhanden ist.
Die Quintessenz daraus ist dann wohl folgende: Ändern kann der Mensch nur sich selbst, aber er ist beeinflussbar, insofern ist es essenziell, einen starken, bzw. autarken Willen und eine gesunde Reflexionsfähigkeit zu entwickeln.

Ciao, Frank

 Graeculus (29.03.20)
Gut ge- und beschrieben. Es hat Freude gemacht, das zu lesen, zumal es auch informativ ist.

Die Maxime vieler Mediziner, auch Schulmediziner (sofern sie nicht der Dogmatiker-Fraktion angehören) lautet: "Wer heilt, hat Recht." Dann ist der Placebo-Effekt kein Gegenargument.
Ob eine bestimmte Methode heilt und wie häufig, das muß dann allerdings festgestellt und nicht vorausgesetzt werden.
Wer das zitierte Motto befolgt, ist offen; wer die genannte Bedingung ignoriert, ist ignorant und arrogant.

 FrankReich ergänzte dazu am 30.03.20:
Danke Graeculus,

auch für Deine Empfehlung, der Maxime: "Wer heilt, hat Recht", stelle ich allerdings zunächst die Erkenntnis: "Kein Medikament ohne Nebenwirkungen" gegenüber, was natürlich auch für operative Eingriffe gilt, denn in letzterem Fall bleiben zumindest Narben, aber nehmen wir einmal den Supergau an, was nutzt es, eine Krankheit gegen eine einzutauschen, die Dich zwar nicht sofort, sondern auf Raten umbringt, weil dagegen halt noch kein Kraut bekannt ist oder eine Operation, die Dich zwar von Deiner Krankheit befreit, Dich jedoch in den Rollstuhl oder sogar die geistige Umnachtung schickt?
Der Placebo-Effekt nun ist zwar als Alternative eine schöne Sache, aber ich denke erstens, dass die Selbstheilungskräfte keines Menschen so hoch sind, dank einer Placebospritze den Biss bspw. der Gemeinen Sandrasselotter wegstecken zu können, bzw. er auf keinen Fall überbewertet werden sollte und er zweitens natürlich auf einem psychologischen Konsens fußt, der nur greift, wenn der Mensch über die innere Einstellung dazu verfügt, und hier kommen wir wieder zu meinen Lieblingsthemen "Erziehung und Prägung", die in Selbsterziehung und Selbsterkenntnis münden sollten, was allerdings auch die Rücksichtnahme und Achtsamkeit gegenüber anderen beinhalten müsste.

Ciao, Frank

P. S.: Ganz witzig auch folgende Frage: Weiß der, der heilt, immer auch, was er da eigentlich macht?, womit wir wieder beim eigentlichen Thema wären: Naivität und Arroganz.

 AvaLiam (29.03.20)
kurz vom Handy:

Eine gute Erzählung, schön geschrieben. Gefällt mir ausgezeichnet.

An die mit Abstand naiv-arrogante Dame einen Gruß:

Gegen Dummheit ist eben noch kein Kraut gewachsen.


bleib gesund - Ava

 FrankReich meinte dazu am 29.03.20:
Danke Ava,

auch für Deine beiden Sehsternchen, ob ich der Frau die Grüße je ausrichten kann, ist fraglich, sie ist mir bisher nie aufgefallen; das Kuriose an dieser Begegnung war, dass sie einen wachen und recht gebildeten Eindruck auf mich machte, Dummheit ist eben doch nicht das Gegenteil von Intelligenz.

Pass auch Du auf Dich auf.

Ciao, Frank

 Dieter_Rotmund (29.03.20)
Offene Bücherrgale sind noch nicht geschlossen??? Ein Skandal! Das tötet Menschen! Bücher töten Menschen!

 FrankReich meinte dazu am 29.03.20:
Nein Dieter, alle drei mir bekannten Bücherregale an meinem Wohnort sind noch nicht gesperrt, Zeitungen werden da glücklicherweise nicht hinterlegt, das wäre wahrscheinlich total letal, Du allerdings verstehst Dich auf eine auch nicht zu verachtende Methode: Du tötest Nerven!!!
Stelzie (55)
(30.03.20)
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 FrankReich meinte dazu am 30.03.20:
Hi Kerstin,

nun, Maria Treben wird in der Literatur oft in einem Atemzug mit Hildegard von Bingen und Sebastian Kneipp genannt, viele ihrer Heilungsansätze werden von der Stiftung Warentest auch positiv gewürdigt, ich wollte sie eben so wenig als Quacksalberin hinstellen wie einen Arzt in jeder Beziehung als Dilettanten; eigentlich läuft meine Kurzgeschichte auf folgendes Motto hinaus:

"Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser",

ein Spruch, der Lenin zugeschrieben wird, zumindest sinngemäß ( :D ), aber hier ist doch der Knackpunkt, denn die beiden Paradiesäpfel Leichtgläubigkeit und Hochnäsigkeit verhindern dieses zumeist, der erste durch unbedingtes Vertrauen auf andere, der zweite durch unbedingtes Vertrauen in sich selbst.

Ciao, Frank

P.S.: Danke auch für Deine Empfehlung.
una (56)
(30.03.20)
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 FrankReich meinte dazu am 30.03.20:
Danke una,

auch für Deine Empfehlung. Im ersten Moment hielt ich die Frau für eine Zeugin Jehovas, im Verlauf des Gespräches hörte ich jedoch heraus, dass sie Anhängerin des russisch-orthodoxen Glaubens sein dürfte, eine fehlende Bereitschaft, sich Ärzten anzuvertrauen, zeigte sie allerdings nicht, in der Vergangenheit war sie wegen eines Tumors in Behandlung, der sich allerdings als gutartig herausstellte, ein Zeichen Gottes also, usw. usf., um es kurz zu machen: Vertrauen in Gott hat sie offenbar unverwundbar gemacht, dazu kam noch Maria Trebens Buchtitel "Gesundheit aus der Apotheke Gottes" und damit war der Drops für sie gelutscht, Gott und seiner Apotheke vertraut sie halt uneingeschränkt, was wiederum eine gewisse Leichtsinnigkeit und eine etwas verschrobene Weltsicht ausgelöst zu haben scheint.

Ciao, Frank
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