Auch geschlossene Türen lassen tief blicken

Szene zum Thema Grenzen/ Grenzen überschreiten

von  eiskimo

Ein älterer Herr, zu seiner aktiven Zeit einmal Journalist und Fotograf, geht mit seinem Neffen spazieren. Wie immer hat der Alte seine Kamera bei, und als sie am Wegesrand ein halb verfallenes Haus sehen, lässt er den jungen Mann einfach stehen und lichtet  mit viel Sorgfalt die Türen dieses Hauses ab. Der Neffe schaut ihm etwas irritiert über die Schulter.

Warum fotografierst du immer nur Türen?

... Weil Türen immer zwei Seiten haben. Das, was davor liegt, und das, was dahinter kommt.

Aber das Dahinter siehst du doch gar nicht.

... Ich sehe es nicht, aber ich stelle es mir vor. Es inspiriert mich. Die Tür steht ja nicht zufällig da. Sie hat eine Aufgabe.

Und die kannst du dir vorstellen?

… Die Tür gibt sehr viel preis. Sie verrät mir ihre Funktion. Schon das Material und ihre Aufhängung sind eindeutige Hinweise. Ihre Schließmechanik, die Beschriftung oder auch Dekoration…

Aber das wiederholt sich doch oder ist in den meisten Fällen banal.

… Finde ich nicht. Türen sind im Grunde deine Visitenkarte. Sie sind deine Außendarstellung. Von daher verraten sie sehr viel über dich als Bewohner.

Was ich ja gerade nicht will - ich verberge mich ja hinter so einer Tür.

... und deshalb schließt du sie ab, sicherst sie mehrfach, bringst einen Spion an.....

Aber viele wohnen nicht allein - oder sie haben zum Beispiel in der Firma Türen, und da fragt sie keiner, wie die aussehen sollen.

… Na?  Ich erzähl dir ein Beispiel aus meiner Schulzeit. In der Grundschule, da gab es ein Lehrerzimmer, das war immer offen. Wir konnten sehen, ob unsere Lehrerin da war und sie rufen, wenn wir ein Problem hatten. Das war richtig familiär. Danach, auf dem Gymnasium, war der Lehrertrakt komplett abgeschlossen, und es war uns verboten, in der Pause überhaupt in die Nähe  zu gehen. Kontakt gab es nur auf Anfrage, mit Laufzettel oder in der Sprechstunde.

Die Lehrer wollten Euch vom Hals haben, ganz klar.

.. Ja, genau! Und mithilfe der Türen setzten sie sich ab oder grenzten die Schüler aus. Das war auch eine Machtdemonstration.

Oder Notwehr! Man braucht ja auch Schutz, man braucht seine Intimsphäre.

… die man sich auch durch andere Signale bewahren könnte. Nicht so brachial, nicht gleich mit Schloss und Riegel.

Aber angenommen,  die Leute hielten ohne Türen die nötige Distanz, dann hättest du nichts mehr  zu fotografieren.

…  Gut erkannt. Aber da sind wir weit von entfernt. Ich glaube sogar, ganz im Gegenteil, dass  die Schließer-Mentalität zunimmt. Der Stellenwert des Eigentums, des Nur- Für-Sich-Haben-Wollens, wächst. Die Bereitschaft zum Teilen dagegen schwindet. Wir werden immer unnahbarer.

Ist das nicht auch eine Frage des Alters und des persönlichen Besitzstandes?

... Mit Sicherheit. Junge Leute bei Musikfestivals, in den Ferien, auf Reisen - die sind da viel offener. Die Frage ist: Bleibt das eine Ausnahmesituation oder werden sie wie ihre Eltern?

Der Alte hatte aufgehört zu fotografieren und packte seine Kamera weg. Der Neffe schwieg. Und so gingen sie ihres Wegs.


Anmerkung von eiskimo:

Aus meiner Reihe: Vom Fotografieren inspiriert

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (07.04.20)
Nietzsche - es gab das Problem ja auch schon früher - wollte mal auf seine Tür schreiben: "Wer hier eintritt, erweist mir eine große Ehre. Wer es bleiben läßt, ein Vergnügen."
Die Maxime "Keep your distance!" ist keine Erfindung eines deutschen Lehrers.
Für Kinder freilich kann man schonmal eine Ausnahme machen.

 eiskimo meinte dazu am 07.04.20:
Du hast das Vor- oder Hinter-Der-Tür-Sein schön umrissen. Nietzsche hatte wohl noch keine Wechselsprechanlage.
lG
Eiskimo

 Regina (07.04.20)
Die Idee, etwas über Türen zu schreiben, finde ich kreativ. Aber aus dem Thema hättest du mehr herausholen können. Ganz ungnädig verfährst du mit den Lehrern. Aber so, wie die Schüler Pause vom Unterricht brauchen, brauchen die Lehrer auch mal 20 Minuten Ruhe und genießen einen Ort, wo sie sich zurückziehen können. Die Tendenz zur Schließermentalität steht am Ende einfach als Behauptung da und wird nicht mit Beobachtungen untermauert. Letztendlich hätte sich ein Vergleich zwischen Zuständen mit offenen und geschlossenen Türen gelohnt. Der Text noch nicht ausgereift. LG Gina

 eiskimo antwortete darauf am 07.04.20:
Sorry, liebe Gina! Ich habe das Türchen nur einen Spalt weit aufgemacht. Das Thema gibt weit mehr her.
Allein das Beispiel Schule. In meiner Zeit hatten wir für dsas Turnen Umkleiden, und man schmiss da seine Sachen hin, egal. Heute weiß ich, dass die Kids mit teuren Smartphones kommen, Designerklamotten, und dass die Sportlehrer akribisch abschließen müssen, weil sonst geklaut wird auf Teufel komm ´raus....
Times are changing.
lG
Eiskimo

 ViktorVanHynthersin (07.04.20)
Ja, Türen sind ein inspirierendes Thema. Die zwei Seiten/Welten, einer Tür sind faszinierend. Siehe z.B. auch der Dunkler-Turm-Zyklus von Stephen King oder der Film: Monster AG.
Gerne gelesen (Deinen Text natürlich).
Herzlichst
Viktor

 eiskimo schrieb daraufhin am 07.04.20:
Danke! Und Fotos von verschlossenen Türen sind tatsächlich Augenöffner.
lG
Eiskimo

 juttavon (07.04.20)
"Warum fotografierst du immer nur Türen?

... Weil Türen immer zwei Seiten haben. Das, was davor liegt, und das, was dahinter kommt.

Aber das Dahinter siehst du doch gar nicht."

Diese Zeilen habe es in sich, sie würden mir reichen...

HG Jutta

 eiskimo äußerte darauf am 07.04.20:
Das finde ich stark, was Du da sagst. Tatsächlich ist damit schon das Spiel eröffnet....
LG
Eiskimo
Sätzer (77) ergänzte dazu am 07.04.20:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Dieter_Rotmund (07.04.20)
Nett, aber ich würde einen Rahmen schaffen, in dem Frager und Antworter etwas charaktersiert werden. So, wie es jetzt ist, hängt das ganze in der Luft und ist recht steril.
Ja, ich weiss, ist Arbeit.

P.S.:
Es fehlen Satzpunkte und Fragezeichen.

 eiskimo meinte dazu am 07.04.20:
Danke! Ich habe die Kritik beherzigt. Die Arbeit mache ich mir gern, und ich glaube, in diesem Fall bringt es dem Text auch etwas.
cu
Eiskimo

 AvaLiam (10.04.20)
Die Idee, Türen so in den Fokus zu nehmen, finde ich super.
Die Gedanken dazu kann ich allesamt nachvollziehen in einer gut unterhaltener Weise, die über einfache Kurzweil hinausgeht und mich selbst zum Denken anregt. Gefällt mir gut.

Die Art deiner Betrachtung erinnert mich an meine Vorliebe, Schritte von Menschen zu beobachten, wie sie laufen, ihr Gang, die Geschwindigkeit... nein - kein Fußfetisch - davon möchte ich mich explizit distanzieren... aber mach mal das Radio an im Auto und beobachte dabei das Laufen der Menschen... Faszinierend :D

sonnige Grüße - Ava

 eiskimo meinte dazu am 10.04.20:
Danke für diese interessante Rückmeldung. Woihl dem, der mit Neugier seine Augen öffnet. Es gibt so viel zuu sehen.
Schöne Ostern!
Eiskimo
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram