im Innern ein ängstliches Herz

Text

von  kalira

Die Drohne hat vier Beine und an den Gelenken, wie aufgesetzte Kniescheiben, jeweils einen Propeller. Auf der mir zugewandten Seite, als würde ich in ein Gesicht schauen, blickt mich ein großes Kameraauge an. Ich zucke zusammen, weil ich mich ertappt glaube. Als ich genauer hinsehe, sehe ich wie fahl und leblos das Auge glotzt. Ich drehe die Drohne in der Erwartung auf der entgegengesetzten Seite etwas wie ein Hinterteil zu sehen, erkenne aber und zucke zusammen, dass auch dort ein Kameraauge tot aus der Umhausung linst. Es ist kein sonderlich großes Modell, es liegt ruhig in zwei Handflächen auf. Wie aus einem so kleinen, verletzten Ding so drohende Laute ertönen können, wundert mich und ich denke daran, wie mein Kater Luko schrie, als er sich im Spalt eines angelehnten Fensters einklemmte und nicht mehr herauskam. Der Schrei war ohrenbetäubend, war gewaltsam, war drohend und Angst verbreitend. Er schrie mich herbei etwas zu unternehmen, er herrschte mich an. Wie lange er in dieser schmerzhaften, verzweifelten Situation gefangen war, weiß ich nicht. Angst macht laut und unberechenbar, denke ich und streichle die Umhausung der Drohne, als vermute ich im Innern ein ängstliches Herz lauern.

Anfangs, als die zu Verabschiedenden noch über längere Zeiträume gepflegt wurden, halfen Pflegeroboter den Pflegeteams. Später dann wurde der Pflegeaufwand minimiert, weil die Menschen, die ich begleite, in die Kategorie infiziert mit Todesfolge geklastert worden waren. Für die Sterbebegleitung sind die Roboter nicht programmiert und damit unnütz geworden. Zudem ist niemand da, der die Programme umschreiben wollte. Aus ethischen Gründen, sagt man, wolle man die Infizierten mit sicherer Todesfolge von Menschen begleitet wissen. Auch deswegen streiche ich durch die Handschuhschichten fremde Hände, die zu Gesichtern gehören, die ich niemals wirklich sehe. Die Beatmungssysteme liegen wie Masken auf den schalen Schädeln. Nirgends mehr ein Mund, der etwas zu erzählen oder einfach nur ein Lächeln übrig hätte. Augen, die fahl durch herab gesenkte Lider blicken, als hätte sich ein semipermeabler Vorhang wie von selbst zugezogen, das umhertosende Spektakel halbwegs ertragbar zu machen.

So über diese Wachdrohne zu streicheln, fühlt sich wie Verrat an. Beinah liebkose ich sie. Wann habe ich das letzte Mal etwas oder jemanden berührt, der wirklich am Leben ist? Stets nur Leichname oder welche, die es zumindest zur Hälfte schon sind, welche, die höchstens 11 Gramm Seele noch in sich halten. In diesen vier Wänden war seit so langer Zeit niemand mehr. Immer nur ich und meine mich begleitenden Verabschiedeten, die krallen und sich an mir festhalten.
Wie ein Käfer, denke ich, diese Haken an den Endgliedern der Drohnenbeine. Wie oft hast du mich wohl das Haus verlassen sehen, wie oft mich anfangs ermahnt, die Vorschriften einzuhalten? Wie lange, bevor du leblos vor meiner Haustür lagst, hast du mich schwirrend begleitet, bist mir gefolgt, hast mir den Weg gewiesen? Und nun, liegst du hier in meinen Händen. Fast fühle ich in mir etwas, was sich regt aber nicht wirklich bewegen möchte.

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Kommentare zu diesem Text


 Willibald (14.04.20)
Tja, dann sei zu diesem gut konstruierten Grautext die Idylle dagegen gesetzt:

Vom Zimmer im zweiten Stock aus kann man dem Eichhörnchen beim Turnen im Baum zusehen und manchmal dem Specht beim Klopfen.

greetse
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