Darunter mein Name

Text

von  kalira

So vieles wurde diskutiert und beschlossen. Die Ausgänge wurden begrenzt, dann wurden sie gelockert. Die Kinder wurden weggeschickt und die Ausgangszeiten erst den Berufsgruppen, dann dem Alter der Menschen zugeordnet. Die wöchentlich festgelegten Zeiten des persönlichen Ausgehens erhielt man sekundengenau. Jeden Sonnabend um 23:32 Uhr schauten Menschen auf ihre Mobiltelefone, um die vor ihnen liegende Woche zu planen. Das alles half nichts. Nicht alle Menschen ließen sich auf Dauer bestimmen, nicht alle waren bestimmbar. Sie trafen sich zu Demonstrationen, die von der Polizei und später auch von der Armee  zerschlagen wurden. Ich habe einmal zufällig aus der Ferne die Gewaltakte beobachtet. Ich war auf dem Weg zum Seminar „Sterben ohne Angehörige“.  An der Hausecke stand ich und glotzte. Meine Beine waren Betonpfeiler auf denen mein Oberkörper wippte und nicht loskam. Hätte man auf mich eingeschlagen, nicht einen Schritt wäre ich weiter gegangen. Und weil das alles nichts half, schwirrten von einem Tag auf den anderen Drohnen durch die Straßen. Sie halten an Fenstern, schauen mit ihren Kameraaugen hinein, sie lugen in Hauseingänge, sie senken sich in Hinterhöfen bis auf Kopfhöhe hinab, sie geben Befehle, sie erstatten Bericht.

Ich drehe und wende den Wachkäfer in meinen Händen und denke an die Köter der Alten, die uns als Kindern stets in den Waden hingen. Die Lefzen kraus über die Zähne gezogen, stilles Gekläff und pure Beißlust, angeheizt von ihren Besitzern, in deren Gärten die Beete mit Maßbändern vermessen angelegt waren.  Das Gehäuse fühlt sich trotz der tagelagen Totenstarre nicht kalt an. Du sagtest einmal, umkreist von den Schwirrdingern, dass sie dich an Sommerwiesen erinnern, ihr Schwirren und Fliegen sei für dich das Summen und Sammeln der Bienen, die in dir stets Freiheitsgefühle wecken. Schöne Ferien seien das gewesen, sagtest du und hast die schwirrenden Wachhunde wie lästige Fliegen davon gejagt. Ich befühle die nicht kühle Oberfläche der Drohne, finde zwischen den Beinen kein Geschlecht, keinen Schalter, nichts. Kurz zuckt etwas im Gehäuse. Es fühlt sich an, als würde etwas im Innern des Gehäuses krabbeln, es klingt wie leichtes Brechen dünner aber trockener Zweige. Aus Furcht, das tote Ding plötzlich lebendig in meinen Händen zu haben, lege ich es ab und gehe einen Schritt zurück. Nichts. Nichts passiert. Die Drohne schweigt, ich gehe in die Hocke und strecke die Hand nach ihr aus, als sich plötzlich im Kameraauge die Linse verengt.

Mein Körper zittert. Ich sehe ihn zittern, kann aber nichts dagegen tun. Ich hocke im Flur meiner Wohnung, vor mir die Drohnenleiche, und zittere von Kopf bis zu den Zehen. Es gab eine Zeit, da schrieben Frauen über ihr Zittern in der Öffentlichkeit. Ich weiß nicht, was man heute noch unter Öffentlichkeit versteht. Es gibt keine Orte, an denen Menschen öffentlich sind, an denen Menschen unter Menschen sind. Was ist denn noch öffentlich, schreie ich gegen das Drohnending, schreie es an, als schrie ich um mein Leben, mein Zittern und meinen Stillstand. Ich will nicht mehr, ich will das alles nicht mehr, brülle ich gegen die Wand. Und das Brüllen fällt so schwer, weil ich keine Luft mehr atme, ich hechel wie ein Hund, ich schnappe und spüre nirgends mehr Luft in meine Lunge gelangen. Ich greife die Wachmaschine  und schleudere sie, als wäre es das Letzte was ich tue, gegen die Wand. Ich schwitze, ich zittere und das alles sehe nur ich. Ich allein. Seit Monaten, seit Jahren, wer weiß das schon, bin ich allein. Scheiß Viehzeug, schreie ich und trete gegen den am Boden liegenden Drohnenköter.

Später wenn ich mich beruhigt haben werde, werde ich die Teile des Wachpersonals versuchen zusammen zu legen. Ich werde den Brustkorb nehmen, die Beine, die Augen, ich werde in das Innere schauen und sehen, da ist nichts, was in mir etwas hätte bewegen können bis ich schließlich eine kleine Schaltfläche anheben und darunter in ultrasteriler Schrifttype meinen Namen lesen werde. Ich werde von nichts etwas gewusst haben, werde ich erst viel später sagen.

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