Die Verwandlung

Kurzgeschichte zum Thema Befreiung

von  LotharAtzert

"Es ist durch Nichtverwirklichen, durch Nichtdurchdringen, der Vier Edelen Wahrheiten, daß dieser lange Weg von Geburt und Tod weiter getragen und durchlebt wurde von mir, wie auch von Euch. Was sind diese vier?

1. Da ist die edle Wahrheit über das Leiden;
2. die edle Wahrheit über die Ursache des Leidens;
3. die edle Wahrheit über die  Beendigung des Leidens;
4. und die edle Wahrheit über den Pfad der Ausübung, der zur Beendigung des Leidens führt.

Gautama Buddha
Jobst - ein Name, an den ich mich noch genau erinnere, wegen der Eselsbrücke: Obst mit J, wie Johannisbeere. Hin und wieder trafen wir uns auf Seminaren, wo man sich in den Pausen in dem selben Café in Bad Münstereifel wieder fand und das eine oder andere Wort bei Kaffe, Kuchen, auch Bier und Zigaretten wechselte. Das Café war dann fest in buddhistischer Hand, sozusagen: die Einheimischen staunten anfangs, was sich mit der Zeit jedoch wieder verlor.
Da hörte ich eher einmal beiläufig, daß Jobst im Zeichen des Stieres geboren war, was später wichtig für ein tieferes Verständnis werden konnte. Er hatte den scharfen Blick des rechten Auges beidseitig und den schmallippig breitgezogenen Mund, aus dem selten, aber wenn, dann ein tiefer Bariton drang, der Herdenmännchen Respekt einjagte.
Was ich allerdings vergessen habe, ist der Name der Eminenz, die das Seminar leitete. Es blieb die einzige Begegnung mit ihr. Der Rimpoche möge mir dieses  nachsehen.

Es war das Ende des Kurses und wir sollten Fragen bezüglich des Themas stellen, sofern wir welche hätten. Jobst meldete sich zu Wort und sagte sinngemäß folgendes: "Was ich nicht verstehe, ist, daß obwohl der Buddha die Lehre vor nunmehr 2500 Jahren klar dargelegt hat, wieso sie immer wieder neu interpretiert werden muß. Warum beläßt man es nicht bei der ursprünglichen Weise, die doch alles beinhaltet?"

So eine läppische Frage, dachte ich, dem die Antwort augenblicklich einleuchtete und es mich deshalb auch nicht überraschte, was Rimpoche von seinem erhöhten Sitz herab dazu antwortete: "Das Bewußtsein der Menschen verändern sich im Laufe der Zeit. Die zur Zeit des Gautama Buddha in Indien lebten, waren im Vergleich zu uns heute einfachere Naturen mit schwachem Ego. Da bedurfte es nicht viel, sie davon zu heilen. Er sagte ihnen tue das und vermeide jenes, woran sie sich hielten und die Schüler gelangten so ohne Verzögerungen zu entsprechenden Vertiefungen. Doch mit der Zeit und durch ein paar Generationen verändert sich auch die kollektive Geisteshaltung, so daß es neuer Ausrichtungen bedurfte.

Bodhidharma brachte damals die Lehre ohne jede Schwierigkeit vom Mutterland Indien nach China, weil diese durch die Geisteshaltung des Taoismus auf nahrhaften Boden fallen konnte und es entstand um ihn herum rasch eine neue Schule, die man Chan (skt.  Dhyana - Meditation) nannte, aus der in Japan das Zen wurde.
Ganz anders in meiner Heimat Tibet. Da gab es Zauberer, rabenschwarz, die nicht nur Wind und die  anderen Elemente beherrschten. Die Bönpos beherrschten die komplette Natur mittelst ihrer unglaublichen Willenskraft. Da wärst du mit den vier edlen Wahrheiten und dem achtfachen Pfad allein nicht weit gekommen.
Bekannt wurde ja im Westen eine Geschichte von Padmasambhava, der von einem Bönmagier zum Wettkampf herausgefordert wurde - wer am schnellsten zur Mt. Everestspitze hinauf kommt. wobei die beiden mehrere tausend Höhenmeter zu überwinden hatten.
Der Magier, sich seines Sieges sicher, brauchte nur ein Fingerschnippen lang - doch als er oben ankam, saß da fragend Guru Rimpoche, wo er denn so lange bliebe. - Solche und ähnliche Siege waren nötig, diese Zauberer für die vier edlen Wahrheiten und den achtfachen Pfad empfänglich zu machen. So etwas sprach sich dann schnell herum und die ersten Popstars hießen Marpa, Milarepa und so weiter.
Es geht ja nicht nur darum, wie du dich selbst befreien kannst - durch gutes tun und schlechtes vermeiden - sondern um Mitgefühl für die Wesen, die durch Gier, Haß und Unwissenheit in Samsara für unvorstellbare Zeitalter in Leid und seltener in Freude gefangen sind. Die Lehre muß integrierbar sein, in die Eigenart eines Volksganzen, sonst weht sie nur wie ein Gespenst vorbei. ..."

Jobstens Herdenbariton blieb danach stumm. Er faltete die Hände und senkte nachdenklich das Hörnerhaupt.
Ja, das ist auch schon wieder fünfunddreißig Jahre her. Ob das kleine Café noch existiert. ...  Einmal kam Shamarpa in seiner roten Robe herein. Wir erkannten den Tulku ob der tiefstehenden Tabakrauchwolken erst sehr spät.
"Enjoy it" rief er und war wieder weg. Da fühlten wir uns alle wie Kinder ertappt.

Der Stier ist ein Herdentier. Mit Sonne im Stier willst Du immer Dich und die Deinen abgesichert wissen. In der Frage von Jobst steckte also tiefe Sorge: Wie kann man die kostbare Lehre vor Verfälschung schützen.
Die ersten Siedler in der neuen Welt bildeten kreisrunde Wagenburgen, sobald die Ureinwohner angriffen. Insofern war mir das ein anschauliches Bild. Und wenn der Muezzin vom Turm ruft, so ruft er die Herde der Gläubigen zusammen. Der Zusammenhalt, alles das, was mit Sozial beginnt, ist Stier ... Interessanterweise ist ja der Buddha selbst unter diesem Zeichen geboren. Mit Sigmund Freud, Karl Marx, Immanuel Kant (der kategorische Imperator), Machiavelli usw. ...

So hat die von mir als überflüssig empfundene Frage mit der Antwort doch noch eine weitere überraschende Deutungs-Ebene eröffnet. Und aus Erfahrung weiß ich: so etwas geschieht die ganze Zeit, sobald man dafür offen ist. Denn, wie es heißt, wenn der Teich da ist, kommen auch die Schwäne.

Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren

Kommentare zu diesem Text


 LottaManguetti (24.04.20)
Bad Münstereifel, Lotharius? Im Café des blonden Sonnenbrillen-Barden?
Ich kenne dort nur den Breiten Weg und den Stadtkern (Freundinnenbesuch).
Kann sein, dass wir uns schon sehr nahe waren, Lothi. :D
Zum Rest deines Textes kann ich nix sagen.

Lotta

 LotharAtzert meinte dazu am 24.04.20:
Es gab da zwei Cafés. Ein pikfeines und ein eher hippiemäßiges. Letzteres traute ich, damals zumindest, dem Heino und seiner Hannelore nicht zu. Aber wer weiß, er ist ja später zum Rocker mutiert. Gesehen hab ich die beiden jedenfalls nie.

Da gibt es so einen kleinen Ort - Mechernich - und etwas außerhalb liegt Schloß Mechernich. Das hatte der Karma-Kagyu Verein gepachtet, Kamalashila genannt und da fanden die Kurse statt. Nach Bad ME. waren es etwa 4 Km.
Ja wer weiß, vielleicht sind wir uns da begegnet, Lotta. Die Welt ist klein. Deine Freundinnen müssten das Cafe, dessen Name ich nicht mehr weiß, wohl gekannt haben.

Danke dir
Lothar
Hannah (72)
(24.04.20)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 LottaManguetti antwortete darauf am 24.04.20:
Sind wir nicht seit Jahrzehnten von Krisen umzingelt?
Bankenkrise, Flüchtlingskrise, Klimakrise, jetzt Coraonadingsbums ...

 DanceWith1Life schrieb daraufhin am 24.04.20:
genau, scherz komm raus, du bist umzingelt, wir waren sterblich, daran hat sich nichts geändert.

 LotharAtzert äußerte darauf am 24.04.20:
Danke dir, Babette. Ohne das Wissen, daß Jobst Stier war, wäre es nur eine mäßig interessante Antwort geblieben. So aber freute es mich, zu sehen, wie jeder aus seinem Verhalten heraus die Dinge wahrnimmt.
Du bist Löwe, Lotta Krebs, Dance Steinbock und ich - bin immer auf der Pirsch

Grüßchen von mir.
Hannah (72) ergänzte dazu am 24.04.20:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 AchterZwerg meinte dazu am 24.04.20:
Sag mal, Hannah,
lebst du in Arheilgen?
Ich überlege die ganze Zeit, ob wir uns nicht kennen ...

Gruß
der8.

Antwort geändert am 24.04.2020 um 15:07 Uhr

 LotharAtzert meinte dazu am 14.05.20:
Babette wohnt nicht in DA-Arheilgen, sondern in Ffm.

 LotharAtzert meinte dazu am 14.05.20:
Babette wohnt nicht in DA-Arheilgen, sondern in Ffm.

 AchterZwerg meinte dazu am 14.05.20:
Auch gut. :)

Die Arheilgerin kannte sich übrigens ebenfalls gut mit Horoskopen aus.

 DanceWith1Life (24.04.20)
Heute 100%tig keine "fake news" soviel zum Thema "aktuell"
Das Verständnis derselben steht seit Jahrtausenden, ähnlich Ekkis Staub zu Staub Variante, auf einem anderen Blatt, ich sag immer, das wirklich verzwickte an einem Irrttum ist, dass man nicht merkt, dass man sich irrt.

 LotharAtzert meinte dazu am 24.04.20:
Wer ist Ekki?
Nein, im Ernst, ich lese ihn nur noch sporadisch - aus mehr, als einem Grund. Einer davon: er scheut die Auseinandersetzung mit mir und ist mir zu sehr auf Kuschelkurs aus. Das halte ich für kontraproduktiv, auch wenn es mich viel Sympathie unter seinen Lesern kostet. Ich halte es nunmal mehr mit Heraklit, der den Streit als Vater aller Dinge bezeichnete. Statt Streit kann man auch Klärung sagen.
Das mit dem Irrtum sehe ich genauso, kann mich da aber auch irren.

Danke dir

 DanceWith1Life meinte dazu am 24.04.20:
und das bei deiner Vorliebe zu humorvollen Wendungen, eine Schande ist das, aber auch, unbeirrte Grüsse,
Und btw. meinen Kommentar zur Sterblichkeit will ich auf keinen Fall als Aufruf zur Party verstanden wissen, es ist wirklich notwendig, dass wir das durchziehen und Zuhause bleiben

 LotharAtzert meinte dazu am 24.04.20:
Die "unbeirrte Grüsse" lassen mich grübeln. Gibt es also doch Irrgrüße. Ich sag "grüß mir den Teichhüpfer" und der Gruß rennt zu Trekan B. und sagt "Von Lothi sei gegrüßt." Hm.

Aufruf zur Partie - wir treffen uns in zehn Sekunden auf dem K 2
Die Causa materialis bleibt wo sie ist.

"Mir sind die Hände gebunden" - auch ein schöner Spruch.

Antwort geändert am 24.04.2020 um 21:05 Uhr

 AchterZwerg (24.04.20)
"Ursachen des Leidens sind Gier, Hass und Verblendung. Erlöschen die Ursachen, erlischt das Leiden. Zum Erlöschen des Leidens führt der Edle Achtfache Pfad."

So heißt es.
Aber ich denke, Siddhartha Gautama hat deren Auswirkungen eben nicht unter "Bestrafungen" subsumiert, wie es das frühe Christentum getan hat.
Vielleicht darf man selbst dem Buddhismus nicht zu sehr anhaften, um ein wirklich freier Mensch zu werden?

 LotharAtzert meinte dazu am 24.04.20:
Danke für die Worte zum edlen achtfachen Pfad. Da hast du was Gutes gelesen!
Ja das Christentum, insbesondere das alte Testament, ist krass. Zum Glück - oder Karma? - bin ich da nie reingeraten.

Mit dem Anhaften hast du recht. Ein Zen-Koan greift das auf: "Wenn du den Namen Buddha in den Mund nimmst, putz dir hernach die Zähne."
Wenn du aber glaubst, dir selbst einen Weg zusammenstricken zu können, ist das Super-Ego. Das Super-Ego ist sehr sehr raffiniert. Bevor es ihm an den Kragen geht, fällt ihm immer etwas Rettendes ein. Und das ist dann auch kein Freisein.

Danke nochmal und aerosolfreier Gruß
L.

 AchterZwerg meinte dazu am 24.04.20:
Nee,
so vermessen bin ich nicht.
Der Weg existiert auch ohne mich. Gut sogar.

;-)

 LotharAtzert meinte dazu am 24.04.20:
Also der Wille, einen Leberreim abzuliefern ist da. Aber … mir fällt nix ein, was gut genug wäre …

 Regina meinte dazu am 24.04.20:
das AT, Lothar, ist Judentum, nicht altes Christentum.

 LotharAtzert meinte dazu am 25.04.20:
Danke Gina für die Richtigstellung. Da gab's auch die Essener, also die waren recht gut drauf, soviel ich weiß.

"Vater, ich bin gefallen."
"Dann steh wieder auf"
"Ich stand auf und fiel wieder"
"Dann steh wieder auf, solange bis du Fortschritte machst - entweder im Fallen, oder im Aufstehen."

 AZU20 (27.04.20)
Schön, dass die Stadt, in der ich geboren wurde, hier bei Dir vorkommmt. LG

 LotharAtzert meinte dazu am 28.04.20:
Gern geschehen, Armin. Bad Münstereifel wird mir immer in guter Erinnerung bleiben - und jetzt noch mehr.
Danke.

LG Lothar

 AvaLiam (13.05.20)
Den letzten Satz kannte ich noch nicht. Aber gefällt mir :D .

Der "Rest" auch.

lG - Ava

 LotharAtzert meinte dazu am 14.05.20:
Vielen Dank, liebe Ava, das freut mich wirklich sehr.
Der letzte Satz ist ein tibetisches Sprichwort.

Herzliche Grüße
Lothar
Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram