Empfehlung

Kurzprosa

von  BeBa

Man hat mir diesen Ort empfohlen. Das ist was für dich, haben sie gemeint. Woher wissen immer die anderen, was für mich das Richtige ist?

Ich habe den Koffer gepackt und mir ein Taxi zum Bahnhof genommen. Mit meinem gerade erworbenen Ticket sitze ich nun im Zug. Reservierung war so kurzfristig nicht möglich. Aber das sei auf der Strecke kein Problem, beruhigte mich die freundliche Dame am Bahnhofsschalter lächelnd. Und ich fand diesen Fensterplatz.

Die Außenbezirke meiner Stadt ziehen langsam vorbei, bis der Zug allmählich an Geschwindigkeit zulegt. Dann nur noch Felder. Oder Dörfer, wieder umgeben von Feldern. Wer wohnt da, frage ich mich. Solche Ansiedlungen machen jetzt im Herbst einen besonders traurigen Eindruck. Ich schließe meine Augen und träume von diesem Ort, der mir empfohlen wurde. Ein Dorf wie all die, an denen wir soeben vorbeifliegen. Keine Menschenseele zu sehen, alle zuhause, bei Kaffee und Kuchen. Später wird Mutter das Abendessen servieren. Der Fernseher wird eingeschaltet, zwischendurch redet man über dies und das. Und dass da in der winzigen Pension ein Fremder Quartier genommen hat. Was hat den denn hierher getrieben, meint mürrisch der Vater und nimmt einen letzten Schluck Bier aus der Flasche. Die Mutter zuckt mit den Schultern und blättert weiter im Heimatblättchen. Der siebzehnjährige Sohn holt für seinen Erzeuger eine neue Flasche Bier aus der Küche, murmelt „Gute Nacht“ und verschwindet in seinem Zimmer.
Draußen zieht der pensionierte Dorflehrer eine letzte Runde mit seiner Dackel-Dackel-Mischung. Gelächter aus der Kneipe, die zur Pension gehört. „Ein Fremder ist eingezogen“, ruft jemand (wohl der Wirt selbst) in die fröhliche Runde und der Lehrer muss auf seine älteren Tage noch schmunzeln. Bald danach sind alle Lichter aus. Bis auf eins: Im Gästezimmer der Pension.

„Ist hier noch frei?“ Ein älterer Herr steht vor mir und deutet auf den Fensterplatz mir gegenüber. Ich nicke. Draußen ist es stockdunkel. Wieder schließe ich die Augen, doch die Bilder kommen nicht mehr zurück.
„Wo sind wir hier?“, frage ich.
„Steinhofen vorbei.“
„Ist es noch weit bis Peiningen?“ Habe ich mein Ziel verpasst?
„Drei Stationen noch. Sie wollen nach Peiningen?“
Ich nicke und werde stutzig. Nehme den Herrn in Augenschein.
„Das ist ja witzig!“, meint er. Siehste!
„Wieso?“, frage ich.
„Ich wohne in Peiningen.“ Er mustert mich eingehend. Mir ist das unangenehm.
„Besuchen Sie jemanden?“
„Nein, nein!“, antworte ich
„Hm“, macht er. Sein Blick wandert zur Kofferablage über mir.
„Ich wohne in einer Pension“, erkläre ich.
„Ach so, in der Pension“, meint er, atmet durch, bevor er fortsetzt: „Da steigt selten jemand ab. Wir haben ja nur eine, und selbst die ist fast immer leer. Sind Sie beruflich unterwegs?“
„Ja“, lüge ich.
„Na dann!“ Das klingt nach Erleichterung. Er schaut mich wieder an. Lehnt sich in seinem Sitz zurück. Schließt die Augen. Seufzt.
„Ich dachte schon …“, murmelt er weiter. „Freiwillig kommt doch keiner zu uns. Sie werden sehen. Da gehen um diese Jahreszeit schon jetzt die Lichter aus. Ein bisschen Gegröle aus der Pensionskneipe vielleicht, aber ansonsten ist nichts mehr los. Die Jugend nimmt Reißaus, sobald sie achtzehn wird. Peiningen eben!“
„Wie meinen Sie das?“
„Na ja, für Fremde …“, meint er. „Aber ich kenne es nicht anders. War mein Leben lang der Dorfschullehrer von Peiningen. Ja, lachen Sie nur!“

„Haben Sie einen Hund?“, frage ich.

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Kommentare zu diesem Text


 monalisa (02.05.20)
Hallo Beba,
dein Text vermittelt den Blick des Städters auf die Dorfidylle, die dem Tod geweiht scheint, gefärbt von Sehnsucht, Wehmut, vorsichtiger Zurückhaltung und Abneigung. Der Dorfbewohner in Gestalt des Lehrers verbreitet stille Resignation. Alles enspricht haarklein den Erwartungen des Ich-Erzählers, aber vielleicht wird ja gerade in Peiningen das Schicksal zuschlagen, die große Liebe um die nächste Ecke biegen, Freundschaft oder Tod ... Im Erwarteten taucht ja oft das völlig Unerwartete auf.

Ich mag die stille Art, in der mich der Text mitnimmt, erst in die Beschaulichkeit der Regionalbahn und vorauschauend aufs Dorf, in dem nichts los ist, man schon einen guten Grund braucht, um sich dahin zzu 'verirren'.

Liebe Grüße
mona

 BeBa meinte dazu am 02.05.20:
Danke, liebe Mona,

für deine Beschäftigung mit dem Text. Deine Auslegung gefällt mir und deine hoffnungsvollen Worte machen Mut.

LG
BeBa

 AchterZwerg (02.05.20)
Mir gefällt, wie sich hier Traum und Wirklichkeit mischen. Gleichsam nahtlos - bis auf die (gedoppelte) Dackel-Dackel-Mischung, die raffiniert auf eine, wenn auch nur leichte, Verdutzung hinweist.
Der Name des Zielortes (Peiningen) lässt auf einen eher misslingenden Urlaub schließen.

Der Reisende könnte froh sein, wenn dieser Urlaub noch gecancelt würde und er einen Gutschein erhielte.
Beispielsweise für Freudenstadt.

Liebe Grüße
der8.

 BeBa antwortete darauf am 02.05.20:
Hallo 8.,

auch dir vielen Dank, Ja, in der Tat, man weiß nicht, was für den Prot besser wäre ...

LG
BeBa
Jo-W. (83)
(02.05.20)
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 BeBa schrieb daraufhin am 02.05.20:
Gruß zurück an den ehemaligen Dorfschullehrer.

Mein Onkel hat auch als Dorfschullehrer angefangen in dem kleinen Ort Dörnberg, bevor er nach Kassel an eine Realschule kam.
Ich komme aus dem Ruhrpott. Das ist ja bekanntlich eine riesige Stadt . Heute lebe ich dörflich nahe Frankfurt. Und mir gefällt es hier. Aber etwas städtischer dürfte es manchmal schon sein ...

Danke dir für deine Gedanken.

LG
BeBa

 AvaLiam (02.05.20)
Hallo BeBa...

...ich mag deine "Empfehlung" und durch meine eigenen, langen, zum Teil sehr einsamen Zugfahrten konnte ich auch ziemlich schnell auf deinen Zug aufspringen...habe die Bilder vorbeiziehen sehen und bin irgendwann in einer Einöde angekommen...

Für mich ist das sehr beruhigend...dieser Blick auf ein einsames Dorf, ohne Trouble, still und abgelegen, zum Entschleunigen und dem Raum, zu sich finden zu können....

Klar, woher will jemand wissen, was gut und richtig für dich ist? Berechtigter Gedanke.

Aber in meinem persönlichen Falle wäre es eine sehr gute Empfehlung gewesen.

Aus der Geschichte selbst kann ich (das mag zur Zeit absolut an mir selbst liegen - ich bin ziemlich unkreativ und blockiert derzeit) ehrlich gesagt nicht so recht filtern, wie das LyrIch sich selbst gefühlt hat. Ob diese Reise nun gut oder schlecht ist / war.

Deutlich wird für mich nur die Vorstellung und Erwartung an die Fremde.
Jetzt frage ich mich natürlich, ob ich für etwas blind bin, zu blöd zum Lesen oder tatsächlich einfach nur in meiner eigenen Unkreativität gefangen.

Ich hoffe, du siehst mir das nach.

Bis zu diesem offenen Gedankengang gefällt mir der Text sehr.

herzlich - Ava

 BeBa äußerte darauf am 02.05.20:
Hallo Ava,

danke dir für deine (teils auch sehr persönlichen) Anmerkungen zum Text.
Und ich gebe dir Recht: Ich selbst brauche auch oft Einsamkeit und Ruhe. Da sind solche dörflichen Gegenden geradezu ideal.

LG
BeBa

 EkkehartMittelberg (02.05.20)
hallo Beba,
manchmal spüren andere, dass man zu sich selbst kommen muss. Vielleicht sind also die Empfehlungen trotz des Zweifels des Erzählers gut.
In Peinigen, wo freiwilig niemand hinkommt, wo der Hund verfroren ist, kann der Reisende über sich nachdenken. Vielleicht hilft das Gespräch mit dem Dorfschullehrer dabei.
Dein Text lässt noch andere Deutungen zu. Deshalb gefällt er mir sehr.
Liebe Grüße
Ekki

 BeBa ergänzte dazu am 02.05.20:
Danke dir, Ekki.

Ja, der Text sollte durchaus mehrere Deutungen zulassen. Und sich auf das einzulassen, was ihm bevorsteht und dass er vorab schon verurteilt (vielleicht sogar als hochnäsiger Großstaädter gegenüber der ländlichen Gegend), tut ihm evtl. ganz gut.

LG
BeBa
Sätzer (77)
(02.05.20)
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 BeBa meinte dazu am 02.05.20:
Danke dir, lieber Sätzer. Freut mich, dass du den Text nachempfinden kannst.

LG
BeBa
Al-Badri_Sigrun (61)
(02.05.20)
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 BeBa meinte dazu am 02.05.20:
Danke, liebe Sigrun. Raum für Interpretation: Für mich sehr wichtig bei solchen kurzen Texten.

LG
BeBa
Aha (53)
(02.05.20)
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 BeBa meinte dazu am 03.05.20:
Das freut mich sehr, Aha.

Danke dir dafür.

LG
BeBa
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