Audrey macht das

Erzählung

von  minze

An diesen Abend setze ich mich zu Audrey, sie hat als erste der Clique einen großen Kugelbauch und einen Gesprächsanlass für mich. Ihre Augen funkeln und sie kullern fast aus den Augenhöhlen heraus. Wir sitzen am Feuer und reden über ihre Beziehung beziehungsweise den Beziehungsstopps und die schöne Zeit währenddessen. Sie war damals in Dublin. Klingt sehr schön auf französisch. Die beiden hatten sich ein bisschen Luft durch einen Break gegönnt. Sie waren schon seit der Jugend ein Paar. Da war was Großes, von Anfang an, aber auch irgendwann der Moment, da wird es eng, du fragst dich, was noch kommt. Was kannst du noch sehen, was willst du nicht verpassen. Du willst raus. Und, Audrey sagt das so, sie will sich auch jetzt nicht festlegen. Er ist ihr Mann und der richtige, um eine Familie zu gründen, aber woher weißt du schon, wohin dich dein Leben führt. Es wäre schön, wenn er bleibt, aber wir schauen mal. Sie streichelt ihren Bauch. Es ist entspannend, zu hören, dass ihre Eltern nicht verheiratet sind. Sie haben immer wieder an unterschiedlichen Orten gelebt und gearbeitet. Sie waren tief ineinander verwurzelt, ohne sich einen Zwang vom festen Lebensmuster anzulegen. Audrey ist lebendig, elegant und rund. Auf jeden Fall war in Dublin so ein Barkeeper, mit dem sie eine nette Zeit hatte. Diese Zwischenromanze brauchte sie, um dann geordnet zu Grégo zurück zu finden. Und dann waren sie ruckzuck schwanger. Aber so schnell, dass sie das erste nicht bekommen wollten. Sie war daraufhin melancholisch, sehr verliebt und bereit für das richtige erste Kind. Sie vertraut mir sehr, das zu erzählen. Ich finde es schwerwiegend, aber sie legt ihre Hand auf mein Knie und ihre Stimme ist versöhnlich, sie ist kurz bewegt und dann doch fest. Ihr Lächeln schließt das verlorene und das werdende Kind ein. Mir fällt es noch schwer, in allen Kontexten angemessen zu kommunizieren, aber unser Körperkontakt schafft einiges zu kompensieren.

Sie hat in Dublin englisch gelernt, Ales getrunken, regionale Spezialitäten ausgetestet und all das ist super für ihre Arbeit in der Gastronomie. Sie bringt das gut rüber, dieses kleine Weltmännische, was sie da mitnehmen konnte. Mich fragt sie auch nach einfachen deutschen Sätzen, zieht an ihrer Selbstgedrehten, sie bekommt die Aussprache ganz okay hin. Ich lache trotzdem mit ihr drüber. Sie erklärt, dass sie sanft raucht, bis das Baby kommt und ich nicke. Ich kann mir kein Urteil erlauben, weil sie die erste Mama sein wird.
Grégo wird mir später sagen, dass er keine Vorbehalte hat, aber deutsch einfach hart klinge – oder anders gesagt: er habe da absolut kein Gefühl, wenn er diese Sprache höre. Ich bin angepisst und erstaunt. Ich führe keine Deutschendiskussionen. Aber ich denke schon an die Poesie meiner Sprache und wie lieb ich sie habe. Und dann denke ich noch gehässig an die Momente, in denen ich die Sprache seiner Landsleute besonders aufdringlich finde: in Radiosendungen, wenn dieser krasse Singsang sich in seinen melodiösen Schleifen und Übertreibungen nicht mehr einbekommt. In der Musik liebe ich die Franzosen. Für ihre Möglichkeit der Akzentuierung und Ausschweifung. Da verliebe ich mich in immer neue Songs. Ich versuche mich seit dieser unangenehmen Unterhaltung mit Grégo unverstellt zu zeigen, offen zu sein - aber ein kleiner Teil denkt immer wieder an diese Gefühlsgeschichte, die er mit den Deutschen hat. Ich bin zu assimiliert, dass es jetzt noch Thema wird seinerseits. Jahre später erinnere ich ihn daran und er lacht nur und klopft mir auf die Schulter. On passe à autre chose. Ich erinnere mich, wie er spät nachts nach der Geburt von Mathilde zu unserer Runde bei Nolwenn stößt. Er ist aufgelöst durch das Geburtserlebnis, durch den Apéro mit seinen Brüdern und wir sind bereits beim Digestif. Er wirft sich in Régis‘ Arme, weil er als Einziger was vom Vatersein weiß. Bei ihm ist es allerdings schon wieder 14 Jahre her. Die zwei Papas sind rührselig, verbunden. Und fast schmusig nach den Absackern. Ich bin auch berührt. Von dieser Art, das Vatersein zu begreifen. Im Arm des Kumpels und im Angesicht von Schnaps.

Eli, seine zweite Tochter, ist auf die Welt gekommen, als er im Krankenhaus einen Kaugummi am Automaten holen ging. Audrey brauchte frischen Atem. So schnell ging das. Wir lachen erleichtert und ungläubig.  Audrey lehnt mit dem Kind an der Türe und strahlt. Sie macht das einfach gut. Als wir gleichzeitig mit ihrem dritten und meinem zweiten Kind unterwegs sind, trinkt sie mal einen Mojito ohne Alkohol mit mir und wir können ähnlich wie zu Anfang solche wer-weiß-schon Diskussionen über Beziehungen führen. Bisschen Druckausgleich, denn gleichzeitig rühren wir in der Erfülltheit unseres Sesshaftwerdens. Dieses Gefühl, dass die Entscheidung für ein Kind eine Entscheidung ist, die du als Frau für dich alleine triffst, zuallererst, kenne ich. Sie weiß jetzt, dass das dritte ein Junge wird. Es sollte einen arabischen Namen bekommen, aber vielleicht kommt das auch komisch an. Man muss auch an die Zukunft des Jungen denken. Ich ermutige Audrey. Bitte lass dir nicht von diesen Erwartungen die eigene Phantasie bescheißen! Trotz ernst zu nehmender Bedenken erfahre ich später, dass der Kleine Malik heißt. Ein bisschen in der Schreibweise verändert, dann sieht es französischer aus als im Arabischen.

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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (15.05.20)
Eine auf seltsame Art ruhige, "selbsgedrehte" Erzählung, Eine, die sich in einer Szene bewegt, die Moralapostolische auf die Barrikaden treiben und tolerantere Menschenkenner entzücken kann.

Der8.

 minze meinte dazu am 15.05.20:
Hey danke dir. diese Haltung mag ich ganz gerne (auch transportieren!) Und bei den verschiedenen Zeitsprüngen und Ebenen bin ich sehr glücklich über eine Rückmeldung,die von einer "ruhigen" Erzählung spricht!! LG

 Dieter_Rotmund (15.05.20)
"Brake"? Was ist das?

 minze antwortete darauf am 15.05.20:
Ich denke "Break" ist besser.Beziehungsbruch,Beziehungspause auf engl./frz.Guter Hinweis von dir.

 Dieter_Rotmund schrieb daraufhin am 15.05.20:
Über von FOMO getriebene junge Menschen wird da erzählt.
Dieses Wir-haben-uns-alle-lieb ist auch nur was für Teenager (als Leser).
Gruselig finde ich die Naivität, die zum Ausdruck kommt, wenn so erzählt wird, als sei eine Schwangerschaft eine Ehre und Auszeichnung. Etwas, mit dem man in Lagerfeuer-Bioholz-Hipsterunde bei Quinoa-Bier angeben kann.
Nicht gerne gelesen, aber nicht, weil es handwerklich schlecht gemacht wäre, sondern wegen der überbordenden Naivität der Protagonisten. Dauernd muss man denken: "Das dicke Ende kommt noch".

"Nolwenn" - soll das 'ne walisische Kneipe sein?

 Judas äußerte darauf am 15.05.20:
@Dieter was ist Quinoa-Bier?

 Dieter_Rotmund ergänzte dazu am 15.05.20:
Z.B. "Birra Ale alla quinoa senza", eine Flasche 330ml für 2,80 Euro.

 minze meinte dazu am 15.05.20:
Nolwenn ist ein französischer Frauenname.genauer:ein bretonischer,auch gälisch,gibt's also auch in Great Britain.

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 15.05.20:
Das ist dem deutschsprachigen Leser nicht klar. So, wie es jetzt dasteht, könnte es alles bedeuten, wie ich schon andeutete.

 minze meinte dazu am 15.05.20:
Joa.würde auch reinpassen!

 ViktorVanHynthersin (15.05.20)
Audrey macht das - Du kannst das
Herzlichst
Viktor

 monalisa (15.05.20)
Hallo Minze,
auch ich empfinde deine Erzählweise, wie der 8. , als wohltuend unaufgeregt, ja gelassen. Und Gelassenheit verbreitet auch die titelgebende Figur der Audry, die der Ich-Erzählerin ein fast beiläufiges „Andocken“ ermöglicht und ganz selbstverständlich Leser und Leserin mit hineinnimmt.
Es ist ein Text unsrer Zeit mit Themen unserer Zeit, unauffällig serviert: ein bisschen Multikulti, Verbindendes und Trennendes, das Auf-der-Suche-Sein nach Beziehungsformen, Familie, Heimat, losgelöst von Traditionen, Konventionen, Schablonen …
Aber diese Zeilen sind auch zeitlos in ihrem Kreisen um Mutter- und Vaterschaft, Sesshaftwerden und Sicherheit, Abenteuerlust und Sinnsuche.
Ich persönlich spüre als Mutter auch die starke Verbindung zweier schwangerer Frauen, weil es an eigene Erfahrungen anknüpft, ich dieses Band selbst damals als sehr bereichernd, wohltuend und beruhigend empfunden habe.
Ich hatte, denke ich, keine Probleme, mich in den Zeitebenen zurechtzufinden, kenne aber aus eigenen Texten die Schwierigkeit, den Verben die richtige Zeitform zu verpassen, wenn man zwischendurch ein bisschen vor- und/oder zurückspulen möchte. Ich mag das sehr, weil es assoziativ Brücken baut und Entwicklungen verdeutlich, Personen Tiefe und Profil gibt.

Dein Text gefällt mir in seiner Gesamtheit.
Liebe Grüße
mona

P.S.:
Klingt sehr schön auf Französich.
Gönn dem Französischen doch ein großes F (ich glaub die stehn auf sowas ;)).

 minze meinte dazu am 15.05.20:
Ein sehr ausführlicher und genauer Kommentar zu deiner Rezeption - das finde ich sehr schön und wertschätzend, Danke! Prima, wenn das spulen für dich so funktioniert, das wünsche ich mir, habe festgestellt, dass das gerade Erzählen mich oft langweilt :) wie du schon sagst.
Diese starke Verbindung der Frauen wollte ich gerne schon vorher nähren - dieses sich austauschen, projeziieren in genannte Lebensmuster oder Nichtmuster...einfühlen. Bis dann am Ende auch beide schwanger sind und diese Verbindung vielleicht offensichtlich oder besonders nah erscheint.

Ich finde es irgendwie unaufregender und schöner, wenn Sprachen als Adjektiv klein geschrieben werden, auch wenn wohl beides geht. Habe aber in der Konsequenz nun auch "englisch" klein geschrieben.
Liebe Grüße!
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