ad absurdum

Kurzgeschichte zum Thema Absurdes

von  AvaLiam

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Das Maiwetter war trocken, die Frühlingstemperaturen angenehm warm. Die Sonne lockte schon den ganzen Tag vor die Tür. Nachdem ich den ein oder anderen eingeschlichenen Mangel in meinen Haushaltswaren feststellte, Gewürze fehlten und auch der Kühlschrank immer weniger Auswahl versprach, zog ich also los, nach draußen. Stop. Das soll heißen "wir, 2 Personen eines Hausstandes."
Es tat gut, an der frischen Luft gemeinsam zu laufen, zu reden, zu philosophieren, was man hätte, könnte, würde, wäre, gäbe, wenn.
Es ermöglichte uns, der Normalität nachzuspüren, uns in Vergangenes zu fühlen und auf Zukünftiges zu freuen. Wie eine Oase, aus der wir schöpfen können in einer kargen Zeit.

Entspannt und von Sonne aufgetankt erledigten wir unseren Einkauf im Discounter schnell.
Ein kleines Eis auf die Hand sollte uns den Weg versüßen, wie so oft, auf manchem Weg, in jedem Jahr.

So nahmen wir das Papier, rissen es langsam und vorsichtig rundherum ab, taten es auf die gleiche Weise, wie Mutter und Tochter manche Dinge eben einfach gleich tun. Wir lachten. Genau deshalb. Und weil auch dieses so gleich war, lachten wir gleich noch mal.

"Könnten Sie vielleicht mal aus dem Weg gehen?", tönte es unangenehm kreischend mit sägender Frequenz.
Diese Stimme bohrte sich so in meinen Kopf, dass ich ohne nachzudenken einen Schritt rückwärts ging, unfähig, die Herkunftsrichtung zu orten.
Ich rempelte gegen einen Einkaufswagen, drehte mich um und wollte mich entschuldigen.
Da stand eine Dame, so breit wie hoch.
Bitte entschuldigen Sie, ich will nicht lästern, bin ich doch selbst ein paar Kilos zuviel und habe nichts gegen Dicke. Auch oberflächlich bin ich nicht. Es gehört nur zu dem Bild was mir wichtig ist, es zu beschreiben.
Also. Diese Dame war einfach FETT. Und sie stand da, mit aufgerissenen Augen, als sei ich der Teufel leibhaftig. Reflexartig zog sie ihren Einkaufswagen zurück und brüllte: "ABSTAND!!!"
Meine Tochter stellte sich evolutionstreu in meinen Windschatten. Das veranlasste die Dame direkt zum nächsten Schlag und erneut ertönte es: "Und wieso stehen Sie eigentlich so nah zusammen??"
Ja, genau, wieso eigentlich stehen meine Tochter und ich uns so nahe? Instinktiv legte ich meinen Arm beschützend um mein Erbe. Noch immer bin ich total verunsichert und verstehe die Situation nicht klar zu deuten.
Die Frau möchte irgendwohin, ok. Ja, aber wohin denn? Außer Kreischen und Schimpfen habe ich nichts vernehmen können, was dieser  Situationslösung zuträglich gewesen wäre.

Ich versuchte es diplomatisch. Ich sagte "Entschuldigung" und ging einen Schritt zur Seite nach links, weg vom Restmüllbehälter, um ihr Platz zu machen, für was auch immer.
Während des Positionswechsels schaute ich in die noch immer hervorquellenden Froschaugen. In meiner Fantasie hörte ich die Frau wiehern und schnauben vor Wut, sah wie der Dampf ihr aus den Nüstern trieb und ihr die Lippen flatterten. Mit einem Lächeln hoffte ich, die Stimmung aufzulockern. Statt dessen fuchtelte sie wild mit den Händen und fauchte, dass sie genau da hin wollte, wo ich jetzt stand. Oh man. An meinen Hellseherfähigkeiten muss ich wohl noch arbeiten.

Leider gelang es mir nicht, berührungslos an ihr vorüberzugehen. Wie gesagt, wir waren beide keine Grazien. So lernte ich auch noch ihr Quieken kennen.
Hektisch desinfizierte sie sich ihre Hände und strich sich über den von Panik und mir berührten Oberarm. Sie rückte ihren Mundschutz zurecht, gackerte noch irgendetwas, was unverstanden hinter dem Stoff verloren ging, packte Whisky, Pizza, Zigaretten, Schokolade als auch Gummibärchen in ihren Rucksack und schob den Einkaufswagen zurück.
Die fette Dame ließ es sich nicht nehmen, kopfschüttelnd und mit beißenden Blicken mir - Gott sei Dank stillschweigend - ihre Meinung kund zu tun, zündete sich eine Zigarette an und verließ alsbald mit quietschenden Reifen die Bühne.

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Kommentare zu diesem Text


 ViktorVanHynthersin (15.05.20)
Wer mit Kreissägen gurgelt, Schokoladenpizza mit Gummibärchen frühstückt und ohne Freiraucheinrichtung Auto fährt, kann nicht von dieser Welt sein. Bestenfalls aus dem Stockwerk über mir
Ich finde den Text nahe an der Realität, er würde auch ohne Mundschutz funktionieren. Gerne gelesen!
Herzlichst
Viktor

 AvaLiam meinte dazu am 15.05.20:
Nahe an der Realität?

Ich schrieb ihn während die Kreissäge des Nachbars heulte und eigentlich sollte es eine Dokumentation des vorgestrigen Nachmittagsspazierganges werden. Ok, die Gummibärchen habe ich auch eigenhändig in den Einkaufswagen gelegt. Aber ansonsten ist alles wahr. Die Welt ist einfach ziemlich verrückt zur Zeit.

Danke fürs Lesen Ava

 EkkehartMittelberg (15.05.20)
hallo Andrea,
die Schildrung einer ungewollten Kollision mit einer gereizten Person beim Discounter, wie sie vielleicht jeder schon einmal erlebt hat. Es gibt aber Menschen, die das Alltägliche ins Absurde treiben. Ob das glaubwürdig ist, entscheidet die Sprache. Die stimmt hier in jedem Detail und ist in den Nuancen so genau, dass die für die betroffene Erzählerin peinliche Situation fast schon wieder amüsant erscheint.
Liebe Grüße
Ekki
Sätzer (77) antwortete darauf am 15.05.20:
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 AvaLiam schrieb daraufhin am 15.05.20:
Ach Ekki,

na klar hab ich das mit Humor genommen.
Jemand der sooo eine Panik vor einer viralen Infektion und dabei ein so gespaltenes Verhältnis zu seiner Gesundheit lebt, der kann mich nur zum Lachen bringen.

Und ich hoffe, ich dich auch ein wenig.

lG - Andrea

 AvaLiam äußerte darauf am 15.05.20:
Uwe - hier war ja vor allem das Problem, sich aus dem Weg gehen zu können... ich habs ja versucht. :-D

Ich bin auch der Meinung, bevor jemand derart hyperpanisch reagiert, sollte er/sie/es (um politisch korrekt zu bleiben) an seinem Ernährungsstil feilen und die Zigaretten weglassen. Ok, den Whisky vielleicht auch.

Du hast schon Recht - es ist insgesamt ein ziemlich gereiztes Klima. Da braucht es mehr als die übliche Nachsicht.

ich danke dir und wünsche ein schönes Wochenende - Andrea
Sätzer (77) ergänzte dazu am 15.05.20:
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Al-Badri_Sigrun (61)
(15.05.20)
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 AvaLiam meinte dazu am 15.05.20:
Ja, liebe Sigi,

Gott sei Dank sind sie das.
Wobei ich ehrlich bin und laut gedacht habe, wofür ich mich beinahe schäme, weil das frech war und auch irgendwie - nun ja - nicht mein Stil.
Ich konnte nicht anders, als zu laut zu denken, dass sie wohl eher an Verfettung stirbt als an Corona.
Ich kann ja manche Angst und überzogene Vorsicht, sofern sie tatsächlich überzogen ist, verstehen . Nur bevor man so eine Panik schiebt und derart unverhältnismäßig reagiert, sollte man erst einmal seinen Lebensstil ändern.
Doppelmoral - wie ich sie liebe.
Das ist wie eine Spenderlunge für einen Kettenraucher.
UNBEGREIFLICH.

Nun ja - es sind ja nicht alle so und manche bitten tatsächlich noch höflich, meckern nicht gleich und können verzeihen wenn man mal für einen einzigen Moment Corona vergessen hat und der Abstand eben nur 1,20m beträgt.

Ich hoffe, du verzeihst mir meinen frechen Ausspruch.
LG - Andrea
Al-Badri_Sigrun (61) meinte dazu am 16.05.20:
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 Regina (15.05.20)
Ja, es gibt Gereiztheit. Ist es das Maskentragen oder der Abstand?

 AvaLiam meinte dazu am 15.05.20:
Liebe Regina,

ich bin mir sicher, dass du mit beiden Recht hast und wir noch einige Ergänzungen finden.

Dieser Dame fehlte vor allem Verhältnismäßigkeit. Bei ihrer Lebensweise stirbt sie vor Corona noch zahlreiche andere Tode.

Manche Menschen, manche Dinge, manche Regelungen sind derzeit einfach sehr paradox.

Ich danke dir sehr für dein Lesen und dein Sternchen.
LG - Ava

 TassoTuwas (16.05.20)
Hallo Ava,
das war wohl eine Begegnung mit einem Haus-"Drachen"
In der Extremsituation der augenblicklichen Zeit lassen viele Mitmenschen, obwohl mit Maske, die Maske fallen und outen sich unfreiwillig. Die Reaktionen reichen von Unfreundlichkeit, über Frechheit bis zu erstaunlicher Blödheit.
Ich rege mich darüber nicht mehr auf, schmunzel hinter der Maske, und manchmal staune ich, zu welchen Peinlichkeiten Erwachsen lautstark fähig sind.
Gottseidank kann man auch anderes erleben, wie Freundlichkeit und Rücksichtnahme oder einem Nicken.
Das bleibt in Erinnerung
Herzliche Grüße
TT

 AvaLiam meinte dazu am 17.05.20:
Mein lieber Tasso, ja, die Masken sind wohl gefallen.

Und diese Dame, das war nicht nur ein Drachen. Die Frau lebt einfach unverhältnismäßig. Sie lebt soooooo ungesund, dass kein hochentwickelter Virus sich überhaupt auf sie einlassen würde. Wozu also diese Panik? Dieses ganze Gehabe war einfach nur paradox. Deshalb hat es mich auch nicht aufgeregt - nur verwundert.

Und ja - peinlich und lautstarkt - ich habe ein Video / Beweisvideo angefertigt, wie ein Kunde in einem Discounter die völlige Beherrschung verlor, weil er nur einmal Toilettenpapier kaufen durfte. Er hat eine frisch gelieferte Weinpalette im Gang um die Hälfte erleichtert und wütend auf den Boden gestoßen, wie er auch andere Waren kiloweise zu Boden warf. Der Laden war ein reines Bild der Verwüstung. Dabei war er bereits 3 Tage vorher in einem anderen Discounter aufgefallen und erhielt durch die hinzugerufene Polizei Hausverbot.
Auch in anderen Geschäften und in anderen Zusammenhängen ist er häufig aufgefallen und man sieht ihn derzeit nur noch in einem Supermarkt einkaufen, friedlich und freundlich.
Man denke sich seinen Teil. :D

Herzlichste Grüße - Ava

 TassoTuwas (16.05.20)
Hallo Ava,
das war wohl eine Begegnung mit einem Haus-"Drachen"
In der Extremsituation der augenblicklichen Zeit lassen viele Mitmenschen, obwohl mit Maske, die Maske fallen und outen sich unfreiwillig. Die Reaktionen reichen von Unfreundlichkeit, über Frechheit bis zu erstaunlicher Blödheit.
Ich rege mich darüber nicht mehr auf, schmunzel hinter der Maske, und manchmal staune ich, zu welchen Peinlichkeiten Erwachsen lautstark fähig sind.
Gottseidank kann man auch anderes erleben, wie Freundlichkeit und Rücksichtnahme oder einem Nicken.
Das bleibt in Erinnerung
Herzliche Grüße
TT
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