Das tägliche Brot

Innerer Monolog

von  monalisa

Neue Version:

Du hasst Abschiede, sagst du, du wirst jetzt einfach durch die Tür gehen und dich nicht noch einmal umdrehen, erst den Bus nehmen, die U-Bahn und dann den Flieger, wirst meine Welt wieder verlassen. Wir wussten das, sagst du, von Anfang an. Ja, ich wusste das, vor achtundzwanzig Stunden wusste ich das!

Aber da ahnte ich noch nicht, wie es sein würde. Hätte ich mich sonst auf dich eingelassen? Ich hätte!
Du konntest so breitmundig lachen, zum Beispiel, als ich dir von meiner Sockensammlung erzählte, den vielen Einzelexemplaren, die die Waschmaschine nicht verschluckt hatte, von meinen Versuchen, sie zu neuen Paaren zu verkuppeln, Ton in Ton, Blau mit Grau und Beige mit Braun.
„Ist sowieso albern“, sagte ich, „man hat doch auch verschiedene Füße, mein rechter ist deutlich breiter als mein linker“. Ich verstummte.
Du lachtest, deine Augen blieben ernst, blieben auf mich gerichtet, und ich mochte das. Bei dir mochte ich es. Auch dann noch, als ich die Bluse auszog, den BH, der ja doch keinen Halt mehr gab. Dein Blick hielt, hielt zu mir. Es hielt mich dein Arm, und Hände hielten mich warm, hielten Zwiesprache mit meinem Leib, und der hatte so viel zu sagen, gab alles preis, nahm alles auf. Da war so viel mehr, als ich erinnerte, wusste, dachte und kannte. Und als ich meinte, er müsse verstummen, das sei nun nichts mehr, hob er erneut an. Ich staunte, staunte noch oft und nicht schlecht, als ich so dasaß, in meiner Küche tatenlos sitzen konnte und dir einfach nur zusehen beim Ham and Eggs Braten.

Ich räume die Spülmaschine ein, wische den Herd ab, die Arbeitsfläche, den Tisch und sehe zum Fenster und sehe nicht hinaus.
Da gehst du nun, den Rucksack geschultert, gehst die Treppe hinunter, zum Bus, steigst in die U-Bahn, das Flugzeug und kehrst zurück in dein junges Leben. Meine wirren Gedanken kleben an dir, am Kühlschrank bunte Notizen, und an mir klebt wie Kaugummi sinnloses Hoffen.
Ich sollte Brot kaufen gehen.

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Du hasst Abschiede, sagst du, du wirst jetzt einfach durch die Tür gehen und dich nicht noch einmal umdrehen, erst den Bus nehmen, die U-Bahn und dann den Flieger, wirst meine Welt wieder verlassen. Wir wussten das, sagst du, von Anfang an. Ja, ich wusste das, vor achtundzwanzig Stunden wusste ich das!
Aber da ahnte ich noch nicht, wie es sein würde, von dir geliebt zu werden. Hätte ich mich sonst auf dich eingelassen? Ich hätte!
Diese Augen, mit denen du in mich hineinhorchtest, Nuancen wahr- und Seufzern die Schwere nahmst. Die Hand, die du auf meine legtest, leicht, fast schwebend, ein Dach, ein Hospiz für all meine Brüche und Narben. Du gabst mich Stück für Stück mir selbst zurück, das Gefühl, wertvoll zu sein.
Jahrelang hatte mich niemand berührt, ich hatte auch nicht mehr damit gerechnet, gedacht, das müsste so sein, das sei jetzt mein Leben. Einsam fühlte ich mich nicht, mein Tag war ausgefüllt zwischen Arbeit und Freund*innen, Kegeln und Kaffeeklatsch, Büchern und Filmen und diversen Notfalleinsätzen zur Rettung gebrochener Herzen.  Dass mein eigenes wund und rissig war wie meine Haut, wollte ich gar nicht ergründen. Erst in deiner Umarmung bemerkte ich, dass sie zum Zerreißen gespannt war, sich darunter ein Überdruck an Leere angesammelt hatte.
Du liebtest mich, tiefer und tiefer drangst du in mich, wieder und wieder. Intensiver, befreiender und erschöpfender hatte ich das noch nie, noch nie zuvor erlebt. Nicht als ich jung war und meinte, mir jederzeit alles nehmen zu können, nicht, als ich sesshaft, heimisch und Mutter wurde, und nicht, als ich die Liebe meines Lebens verlöschen sah, in meinen Armen, jeden Tag ein bisschen mehr.
Da gehst du nun, den Rucksack geschultert, gehst die Treppe hinunter, zum Bus, steigst in die U-Bahn, das Flugzeug und kehrst zurück in dein junges Leben. Wirre Gedanken kleben an dir, am Kühlschrank bunte Notizen, und an mir klebt wie Kaugummi sinnloses Hoffen.
Ich sollte Brot kaufen gehen.

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Kommentare zu diesem Text


 Moja (24.05.20)
Ja, Mona, Brot kaufen gehen, immer wieder, ebenso Ja zum Leben, Lieben sagen. Einfühlsam beschrieben.

Liebe Grüße,
Moja

 monalisa meinte dazu am 24.05.20:
Ja, liebe Moja, man lebt nicht nur von Brot alleine, nicht wahr?

Vielen Dank und liebe Grüße
mona

 IngeWrobel (24.05.20)
Stark! Nachvollziehbar und ergreifend ge- und beschrieben.
Ja, Alter ist relativ.
Liebe Grüße
Inge

 monalisa antwortete darauf am 24.05.20:
Freut mich, Inge, freut mich sehr :)

Danke schön und liebe Grüße
mona

 franky (24.05.20)
Hi liebe Regina

Zeitlos und doch aus einer lebendigen, abrufbaren Zeit geschrieben.
Berührend, wie du deine Wortwahl getroffen hast.

Liebe Grüße

Von
Franky

 monalisa schrieb daraufhin am 24.05.20:
Lieber Franky, auch in meinem dritten Vornamen heiße ich nicht Regina, aber ich freue mich, dessen ganz ungeachtet, über deine schöne Rückmeldung. Das liest wohl jede/r , die/der selbst schreibt gern!

Danke dir und liebe Grüße
mona

 Dieter_Rotmund (24.05.20)
Prinzipiell ein guter Ansatz, aber stellenweise zu kitschig-schwülstig.

 monalisa äußerte darauf am 24.05.20:
Ich habs befürchtet, Dieter, :( !
Könntest du mir auch sagen, wo diese Kitschschwülste besonders hervortreten, vielleicht könnte man ja noch ein wenig begradigen?

Danke dir und liebe Grüße
mona

 Dieter_Rotmund ergänzte dazu am 24.05.20:
Ist das nicht offensichtlich? Das schicksalsschwangere "ich habe es vorher gewusst", schwebende Hände, ganz schlimm: "mich mir selbst zurückgeben" und sehr abgenutzte Gefühls-Metaphern (Narbe, gebr. Herzen, "Überdruck an Leere" - herrje!). Zu viel zu wolkig-sentimental beschrieben. Die wenigen guten Stellen sind die konkreteren: Kegeln und Kaffeeklatsch, Rucksack, Brot.

 monalisa meinte dazu am 24.05.20:
O.k. Dieter, danke, ich nehme einen neuen Anlauf :)
Fisch (55) meinte dazu am 24.05.20:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 monalisa meinte dazu am 26.05.20:
Danke für den Tipp, Fisch. Meinst du, es ginge etwas weniger blutig auch?
Liebe Grüße
mona

 EkkehartMittelberg (24.05.20)
liebe Mona,
vielleicht hast du diesen Text für den einen oder anderen zu einer falschen Zeit geschrieben. Von den Klassikern und Romantikern hätte wohl kaum jemannd an den Textstellen Anstoß genommen, die Dieter Rotmund kritisiert. Unter Kitsch versteht man einfach gesagt, dass irgendein Stilmittel zu viel eingesetzt wird. Ich kann nachvollziehen, dass man heute einen herberen Stil bevorzugt. Aber wir leben hinsichtlich der Ästhetik in einer pluralistischen Epoche. Es kommt wohl auf den persönlichen Geschmack an, ob die monierten Textstellen bereits kitschig sind oder von intensiven Gefühlen zeugen.
Mir gefällt der Text, aber vielleicht bin ich aus der Zeit gefallen.
Liebe Grüße
Ekki

Kommentar geändert am 24.05.2020 um 16:56 Uhr

 unangepasste meinte dazu am 24.05.20:
Das ist ein sehr guter und wahrer Kommentar, dem ich mich gerne anschließe.

 monalisa meinte dazu am 26.05.20:
Lieber Ekki, die Kitschgrenze kann wohl auch individuell ziemlich variieren. Das scheint unter anderem auch eine Geschmackssache (Zeitgeschmack) zu sein. Es ist auch immer eine Frage, mit welchen Augen man einen Text sieht. Und da bin ich ganz froh, andere Sichtweisen kennenzulernen, froh über die Möglichkeit, etwas Distanz zum eigenen Text zu gewinnen. Aber es freut mich, dass du den Text, so ein bisschen aus der Zeit gefallen, auch magst und besonders freut mich deine weiser, relativierender Beitrag hier. Dankeschön!

@unangepasste, auch dir ein herzliches Danke für deine Zustimmung zu Ekkis Kommentar!

Liebe Grüße
mona

 AvaLiam meinte dazu am 09.06.20:
Ehrlich gesagt finde ich die ganze Debatte in sämtlichen Texten einfach überdrüssig über kitschig und schwülstig und bla bla bla.

Wenn man über Emotionen schreibt, über Erinnerung, über Hoffen und Träumen, sich sehnen, über Wünsche und das was einen am meisten bewegt ist kaum etwas zu kitschig oder schwülstig. Es geht um Leben, um das pure. Und wenn dir vor Angst die Knie schlottern, was nun einmal auch eine körperliche Reaktion ist, das Herz stehen bleibt - auch faktisch!!! - sich eine Gänsehaut über verbrannte Haut legt, die Augen funkeln, das Wasser im Mund zusammen läuft, der Atem stockt und so weiter und so fort, dann ist es das Leben selbst was da schreibt. Sicher für manchen manchmal zu viel - aber das liegt doch nicht in der Sache - sondern an dem, dem es zuviel ist, an seiner eigenen Geschichte und dem was er zulassen kann oder will. Wenn ich von 1000 Schmetterlingen schreiben möchte weil ich sie fühle, sie sehe, sie in meinem Bauch hin-und her schwirren, wenn die ganze Welt glücklich und unendlich scheint, dann ist es das was ich gerade erlebe - ich schreibe doch nicht das was eventuell und vielleicht jemand anders zulassen wollen würde. Ein diplomatischer Autor? Soweit ich mich umschaue - in der Technik, in der Wissenschaft, in der Malerei - wo auch immer - haben die die größten Schritte getan und Ziele erreicht, die die ungewöhnlichsten und/oder EIGENE Wege gegangen sind und nicht die ihrer Zuschauer. Nicht die Adressaten schreiben den Brief! Sie müssen ihn lesen und jedem Autor gefiele es, wenn seine Zeilen nicht ins Leere gehen - ok, ja. Akzeptiert. Aber ich schreibe doch den Brief des Briefes selbst wegen und nicht weil ich hoffe, dass ihn jemand liest. Dann würde der Brief zum Zweck und wäre nicht mehr MEIN Brief, mein WORT. Nicht mehr MEIN Text. Das musste jetzt mal raus! Also schreibt soviel Kitsch und Pathos, Emotionen und Schnulz wie ihr selber fühlt und wollt, wie ihr seid, nur DAS macht euch authentisch. NICHTS anderes. Auch kein D. oder wer auch immer sich in Kritik daran übt. Eure Texte repräsentieren Euch, eure Phantasie - lasst sie euch doch nicht beschneiden. Wozu dann noch schreiben? Kein Wunder, dass so viele Schreibblockaden zwischen die Texte fallen. Schade. SCHADE! Denn ICH, zum Beispiel, will nicht D. oder wen auch immer lesen, sondern EUCH. Aber wer bin ich schon.

@Mona

Mona, ich finde deine Zeilen wunderschön. Sie spiegeln viel, erzählen viel, gehen unter die Haut, unter die Oberfläche, lassen genug Raum für eigene Phantasie...und Erinnerung. Er ist wunderbar. Und dein Text auch. Und das was du da beschreibst ist sowieso ein großes Geschenk - wenige lernen das kennen. Vielleicht lässt sie genau das Vermissen so einer Begegnung oder das Noch-nie-erlebt-haben so ablehnend dem Bun-t/d und Leben deiner Geschichte gegenüber sein.

Ich finde sie genau richtig.
Herzlichste Grüße - Ava

Antwort geändert am 09.06.2020 um 13:40 Uhr

 monalisa meinte dazu am 10.06.20:
Liebe Ava,
es freut mich natürlich, wenn du meinen Zeilen so viel entnehmen kannst und sie mit so freundlich lobenden Worten bedenkst. Dankeschön!
Ich bin wie du der Meinung, dass jede/r so schreiben soll, wie es ihm/ihr, den jeweiligen Erfahrungen und den jeweiligen Vorlieben, dem Geschmack ... entspricht. Sich zu verbiegen, um jemand anderen zu kopieren, wirds sicher nicht bringen.
Ich finde aber auch, dass in einem Forum wie diesem jede/r Kommentator*in ihre/seine Meinung frei sagen dürfen soll, frei aber nicht beleidigend, verunglimpfend etc. für den/die Autor*in. Wenn man auf der Suche ist nach den ganz persönlichen Ausdrucksmöglichkeiten, dem "eigenen Stil", kann es sehr bereichernd und hilfreich sein, die Perspektive zu wechseln, den eigenen Text, quasi mit anderen Augen zu lesen und Schwachstellen auszumachen und zu beheben. Ich bin jedenfalls auch und greade für (negativ) kritische Anmerkungen, Anregungen und Vorschläge sehr dankbar, weil mir zum eigenen Text oft die nötige Distanz fehlt. Gerade deshalb stelle ich ja auch hier Texte zur Diskussion.

Liebe Ava, ein ganz herzliches Danke für dein Feedback zum Text und deine darüber hinausführenden Überlegungen.

Liebe Grüße
mona

Antwort geändert am 10.06.2020 um 09:46 Uhr

 AvaLiam meinte dazu am 11.06.20:
Hallo Mona

Natürlich ist Kritik wichtig und nur durch sie können wir uns weiterentwickeln und wachsen.
Nur lese ich allzu oft unter emotionalen Texten diesen lapidar hingworfenen Kommentar: ...zu pathetisch, zu schwülstig, zu überbordend... nicht mehr zeitgemäß... etc.

Eine kritische Äußerung sieht für mich z. B. so aus: ...Ich finde die Emotionen zu überbordend...es scheint mir zu pathetisch... etc.

Diese hingerotzte Verallgemeinerung ist ja kein Anstoß zum Überdenken, Überarbeiten, nimmt eben nur Anstoß.

Eine Kritik wie du sie beschreibst mit Anregungen und Vorschlägen hingegen empfinde ich auch sehr hilfreich und auch notwendig.

LG - Ava

 monalisa meinte dazu am 12.06.20:
Da stimme ich dir gerne zu :)
Liebe Grüße

 AchterZwerg (24.05.20)
Liebe Mona,
ich finde diesen Text vorzüglich. Und kein bisschen kitschig - obwohl ich in dieser Hinsicht manchmal recht streng sein kann.
Du schilderst die Protagonistin als dankbare, geradezu demütige Frau. Und zwar auf eine ausleuchtende, doch nicht denunzierende Weise. -Ich selber kann mich mit ihr nicht identifizieren.
Das ist natürlich auch nicht nötig, denn es gibt mit Sicherheit sehr viele Damen, die genau dem Bild entsprechen, das du malst. -
Aus meiner Sicht ist es die Ältere, die etwas schenkt, oft ohne sich preiszugeben ...

Trotzdem vom Stil sehr angetan
der8.

 monalisa meinte dazu am 26.05.20:
Hi 8., vielen Dank für deinen Kommentar. Ich denke auch, dass man sich als Schreibender oder Lesende/r nicht unbedingt mit den Figuren identifizieren können muss, um sie glaubwürdig zu finden. Aber manches an so geschaffenen Charakteren kommt einem dann doch bekannt vor, aus Beobachtungen zum Beispiel.
Ich freue mich sehr, dass du meinen Stil trotz der Kitschnähe magst. Ich bin da auf der Suche und probiere aus …

Vielen Dank und liebe Grüße
mona

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 26.05.20:
Nichts für ungut, aber Achterzwerg ist so ziemlich für alles auf kV geschriebene zu begeistern ...

 monalisa meinte dazu am 26.05.20:
Ist doch schön. Begeisterung, ist es nicht das, was unsre Welt voranbringt? ;)!
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