Ein junger Hindu auf der Suche nach einem gnädigen Gott

Erzählung zum Thema Lebensweg

von  Bluebird

Illustration zum Text
(von Bluebird)
Diese innere Stimme, die zu ihm gesprochen hatte: "Du bist nicht Gott!",  löste beim jungen Rabi eine tiefe seelische Krise aus:
Tagelang blieb ich in meinem Zimmer, ohne zu essen und zu trinken. Rastlos und händeringend schritt ich auf und ab und fiel dann erschöpft aufs Bett, um einige Augenblicke einzuschlafen.
    Dann nahm ich meine Wanderung im Zimmer wieder auf oder setzte mich auf die Bettkante. Den Kopf in die Hände gestützt, weinte ich und wünschte voll Selbstmitleid, ich wäre nie zur Welt gekommen.

Sein Zweifel an der Richtigkeit des Hinduismus erreichte nun einen Grad, der ein einfaches Weiter so kaum noch zuließ:

Ich wunderte mich über meine Blindheit. Wie konnte man nur glauben, eine Kuh, eine Schlange oder ich selbst sei Gott?
  Wie hätte die Schöpfung sich selbst schaffen können? Wie könnten alle Dinge vom gleichen göttlichen Wesen sein? Das leugnete ja den grundlegenden Unterschied zwischen einer Person und einem Gegenstand.

Mir war klar, dass dieser Unterschied bestand, wenngleich Krishna und die Veden etwas anderes lehrten. War ich gleichen Wesens mit dem Zuckerrohr, dann bestand auch kein wesenhafter Unterschied zwischen dem Zuckerrohr und mir – und das wäre unsinnig.
    Diese Einheit aller Dinge, die ich in der Meditation erlebt hatte, erschien mir nun völlig lächerlich.
 
Aber nicht nur Zweifel an seiner Religion plagen ihn, sondern auch sein Gewissen und die Angst vor einem Absturz auf der Reinkarnationsleiter setzen ihm zu:

Ich dachte an all die Zigaretten, die ich gestohlen hatte, an die Lügen, den Stolz, den Egoismus, meinen Hass gegen Tante Revati  und andere.
    Wie oft hatte ich gewünscht, sie wäre tot. Gleichzeitig predigte ich Gewaltlosigkeit! Auf keiner gerechten Waage würden meine guten Taten die schlechten wieder aufheben.
    Ich erschauderte beim Gedanken an die Reinkarnation, da ich gewiss war, dass mein Karma mich an die unterste Sprosse der Leiter stürzen würde.
    Wenn ich nur den wahren Gott finden könnte! Ich würde ihm sagen, wie leid mir alles tat – allein, was wäre damit erreicht, da Karma doch nicht geändert werden kann?

Er gerät in eine immer schwere Seelennot und versucht jenen wahren Gott über Yoga und Meditation zu finden:

Aber anstatt Gott zu finden, entdeckte ich mehr Bosheit, sodass ich die völlige Verderbtheit meines Herzens nur noch klarer erkannte. Mein Elend wuchs, bis das Gefühl meiner Schuld und Schande zu einer schier unerträglichen Last geworden war.

Man wird hier unwillkürlich an die schweren seelischen Kämpfe von Augustinus und Martin Luther erinnert. Wie finde ich einen gnädigen Gott, war ja insbesondere bei Letzterem irgendwann zur alles entscheidenden Frage geworden und und hatte ihn in manche seelischen Abgründe blicken lassen.
  Und auch der sensible Rabi blickte nun in einen:

Würde ich diesen Gott nicht bald finden, bliebe als einziger Ausweg nur Selbstmord, wie schwerwiegend sich eine so feige Handlung auch auf meine Zukunft auswirken mochte. Doch ein Leben ohne den wahren Gott war sinnlos.
  Aber glücklicherweise kam es dann bei Rabi nicht zu diesem äußersten Schritt. Nach fünf Tagen beendete er seine Selbst - Quarantäne, badete und aß etwas.

Gedankenimpuls:
Angesichts der hier beschriebenen Gewissensqualen frage ich mich, ob nicht die Schuldproblematik in unserer Gesellschaft nicht etwas unterschätzt wird.
      Natürlich wissen wir von Menschen, die schuldig werden und im Gefängnis landen. Oder solchen, die mit einer schweren Schuld nicht fertig werden, sich mit Alkohol und Drogen zu betäuben versuchen, in der Psychiatrie landen und tatsächlich sich sogar auch umbringen oder es zumindest versuchen.
    Aber ist Schuld im ganz normalen Leben noch eine gefühlte Größe? Wird sie nur allzu leicht verdrängt oder mit Ausreden und Beschwichtigungen klein gehalten? Nur nicht groß dran rühren, schließlich will und muss man ja im Alltag funktionstüchtig bleiben?
    Aber wenn dann mal in einer Krise alles an die Oberfläche kommt, wohin dann mit der Schuld? Suchen da nicht viele eher nach einem guten Psychotherapeuten als nach einem gnädigen Gott


Anmerkung von Bluebird:

Folge 14 des  nacherzählten Lebensweges von Rabi Maharaj ... die Zitate entstammen aus seiner Autobiografie: Der Tod eines Guru

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Frühere bzw. ältere Kommentare zu diesem Text


 Regina (26.05.20)
Er lebt auf Trinidad. Dort gibt es eine mehrheitlich aus Afrika stammende Bevölkerung, die ihre Christianisierung schon hinter sich hat. LG Gina

 Bluebird meinte dazu am 27.05.20:
Aber wohl auch viele Hindus leben aud Trinidad

Antwort geändert am 27.05.2020 um 00:36 Uhr

 Regina antwortete darauf am 27.05.20:
lt. wikipeda 55% Christen, 18% Hindu.

 Bluebird schrieb daraufhin am 27.05.20:
Ah, interessant!
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