Abgebügelt in Halle 3 - repräsentatives Fragment eines Buchmessenbesuch-Erfahrungsberichtes, Frankfurt, 2019

Dokumentation zum Thema Trauma

von  XtheEVILg

... rosafarbenes Hemd. Menschen in gebügelter Kleidung halten sich oft für was Besseres. So kommt es mir jedenfalls vor, ich kann es nicht empirisch belegen. Schweiß rinnt über meinen Rücken; Schweiß, den mein Hemd, ungebügelt, das ich eigens für diesen Anlass trage, nicht mehr auffangen kann. Er rinnt südwärts, kriecht durch eine enge Schlucht und verliert sich in warmer Baumwolle. Es ist insgesamt heiß, Stände und Leute in einer Halle, Sauerstoffmangel, kotzende Blicke, Hektik, eskapistische Fantasien von menschenleeren Gefilden. Ich bin ein hässlicher Fisch, der es immer wieder aus dem trüben Strom ans Ufer schafft, wo ihm keiner Asyl in seinem Aquarium gewähren will, bildlich gesprochen.
„Guten Tag. Ich bin hier auf der Buchmesse, also, nein, ich bin auf der Buchmesse weil, also ich habe hier mein Manuskript und wollte gerne fragen …“
Wahnsinn, wie Menschen nur mit ihrem Gesicht Fick Dich sagen können.
„Also sind Sie hier der Ansprechpartner?“
„Wir können hier leider keine Manuskripte entgegennehmen. Schicken Sie es doch bitte an info ät …“
Also an verpissdich@muelleimer.arschlecken, eine Standardadresse in der Verlagsbranche. Der andere Verlag hat mir gesagt, die Self Publisher Area sei in einer anderen Halle.
Also weiter.
Ein traditionsreiches Verlagshaus. Sie verlegen Charlotte Roche, Richard David Precht, Bertolt Precht, Schopoll Sartre, Dieter Rotmund, Attila Hildmann sowie andere bekannte Ufologen, TV-Köche und VG-Wort-Ausschüttungsgewinner. Eine monumentale Wand aus Büchern, immer drei Exemplare von einem. Keines von X. Theevilg. Aber ich bin gekommen, um zu kämpfen. Wasser in konischen Pappkörpern aus optisch futuristischen Spendern gibt es hier, dazu Kekse. Es sind nur noch welche mit Marmelade in der Mitte da. Ich nehme trotzdem einen, um ins Gespräch zu kommen. Tatsächlich nimmt sich eine Dame in gebügelter Kleidung meiner an.
„Haben Sie eine Frage?“
„Dieser Brecht, liest der auch hier?“
„Sie meinen Precht? Brecht kann nicht mehr lesen, der ist schon seit längerem verstorben.“
Wir kichern – sie über meine Inkompetenz, ich, um tief genug in die Konversation vorzudringen, um meine entscheidende Frage zu stellen. Ein Ergotherapeut, der in seiner Freizeit Kriminalfälle löst, und ein Running-gag sind seine Tinderdates, die jedesmal Ergo- mit Physiotherapeut verwechseln. Mein Plot ist stark wie eine Würgeschlange.
„… ein sehr kapitalismuskritisches Buch, wenn Sie sich für sowas interessieren …“
Wie wird sie nächstes Jahr mein Buch einem Versager vorstellen, der Interesse heuchelt, um plötzlich mit einem „Übrigens …“ einen Stoß Papier hervorzuholen?
„… ein unglaublich spannender Debütroman, die Hauptfigur ist eigentlich Physiotherapeut …“
Träume ich. Sie hält mir das Buch hin, so dass Precht mich kompetent und nachdenklich zugleich anlächelt. Hardcover, 22 Euro.
„Ja, das ist ein heißes Thema“, sage ich, „übrigens …“ Ich zerre das schon leicht vereselsohrte Päckchen Papier aus meiner Umhängetasche.
Das Marketinglächeln meiner Gesprächspartnerin verschwindet jäh. Ich will also gar kein Buch von Richard Berthold Brecht kaufen. Ich bin also nur einer dieser Trottel, die meinen, die Self Publisher Area wäre nicht der richtige Platz für sie, aber sie ist es. Die Gebügelte weiß alles, aber immerhin gönnt sie mir ein paar Worte.
„Ich habe hier mal mein Manuskript dabei, sehen Sie“ – sie will es nicht anfassen – „also es geht um eine Hauptfigur, also ein Mann, der ist eigentlich Ergotherapeut, aber nach Feierabend gerät er immer in Situationen, also plötzlich steckt er mitten in einem Krimi und löst ihn, weil die Polizei ihn nicht ernstnimmt, weil er einen Mord beobachtet hat, zu dem es aber keine Leiche gibt, und deshalb …“
Sie begleitet meinen Monolog mit einem verständnisvollen Nicken. Professionelles Mitleid. „Wir nehmen auf der Buchmesse keine Manuskripte entgegen, tut mir leid. Sie können das Manuskript aber an info ät …“
„Können Sie mir nicht die Mailadresse einer Lektorin geben?“, bettele ich. „Ich weiß doch, dass info ät eine Sammeladresse ist und mein Manuskript von dort ungelesen in den Ordner Papierkorb wandert.“
„Wir lesen selbstverständlich jede Mail und prüfen die Exposés. Aber wir haben in unserem Programm nur begrenzt Platz für Debütanten. Oder haben Sie schon ein Buch auf dem Markt?“
„Ich habe eine Kurzgeschichte in einer Anthologie veröffentlicht, das war ein Literaturwettbewerb von der Sparkasse Warendorf, ich bin Dritter geworden …“
„Also ich würde Ihnen mal die Self Publisher Area empfehlen, die ist gleich in der Nachbarhalle.“
Sie stellt das Buch von Precht zurück und schenkt mir einen Kugelschreiber. Was ist das für eine Botschaft? Dass ich lieber Kreuzworträtsel lösen soll als Romane zu schreiben? Fuck you! Ich bedanke mich in aller Deutlichkeit nicht. Und wenn diese Türsteherin des Buchmarkts glaubt, ich würde nicht reinkommen … Also auf zum nächsten Stand.
Wieder ein großer Verlag. Routiniert positioniere ich mich neben einem Teller Gebäck. Ein höflicher Mann in gebügelter Kleidung sieht einem Dreitagebärtigen mit Reststolz dabei zu, wie er einen Stoß Papier zurück in seine Umhängetasche schiebt. Es von außen zu sehen ist noch viel entmutigender.
...

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Kommentare zu diesem Text


 minze (26.05.20)
Du bringst mich zum lachen,das vereselsohrte Papier,der Dialog um Brecht,die ungeliebten Marmeladekekse und die Tinderfrauen die Ergo und Phsysio vertauschen finde ich sehr gut.

Die Reaktion der Dame nach dem Precht Gespräch wünsche ich mir etwas realer,weniger nur als Kopfkino des Protagonisten,das mit dem Hemd,was er ungebügelt anzieht wirkt zu kontruiert, hätte nachdem,was er über bügeln denkt,nichts über sein bewusst ungebügeltes geschrieben..oder halt eleganter: hatte keine Zeit zu bügeln,hab kein Bügeleisen,bekomm das nicht hin oder so. Und ich würde das Loosersein weniger häufig betonen,d.h. das sich selbst degradieren..vll kommt es deutlicher raus an der Reaktion der andern Leute oder erinnerten Erfahrungen.
Lg

Kommentar geändert am 26.05.2020 um 10:15 Uhr

 XtheEVILg meinte dazu am 26.05.20:
Das sind gute Anregungen, quasi eine Handvoll Minzbonbons, danke dafür. Hat kein Bügeleisen finde ich gut. Vielleicht baue ich das noch ein.

 minze antwortete darauf am 26.05.20:
Schön, dass du was mit anfangen kannst!

 Judas (26.05.20)
verpissdich@muelleimer.arschlecken

:D

 XtheEVILg schrieb daraufhin am 27.05.20:
Die gibt's wirklich!
Fisch (55)
(26.05.20)
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 XtheEVILg äußerte darauf am 26.05.20:
Eine messerscharfe Analyse aus den Untiefen der See. Das Wort Zicklichkeit kannte ich noch nicht ...

 FRP (26.05.20)
So in etwa hab ich das auch hinter mir. Bringen Sie es doch zu uns in den Verlag, hier auf der Buchmesse haben wir keine Zeit für Literatur

 XtheEVILg ergänzte dazu am 26.05.20:
"Bringen Sie es zu uns in den Verlag" - ehrlich? Ich hätte geglaubt, dass die Verlagsleute da noch viel weniger Bock drauf haben.

 FRP meinte dazu am 27.05.20:
Haben sie auch nicht. Waren nur Ausreden. Aber da hätte ich wenigstens zusehen können, wie sie den Umschlag ungeöffnet in den Papierkorb werfen.

 XtheEVILg meinte dazu am 27.05.20:
Ja, so geht das. Ein Bekannter ist Lektor in einem relativ kleinen Verlag. Die kriegen im Jahr circa 1.000 Manuskripte angeboten. Die haben also nicht mal die Zeit, alle Exposés zu lesen. Zumal viele Leute sich gar nicht erst damit befassen, welche Art von Lektüre ein Verlag anbietet, sondern einfach eine Sammelmail an 100 Verlage raushauen. Ich kann diese Seite also gut verstehen.

 FRP meinte dazu am 27.05.20:
Ja. Nein. Du verarbeitest es ja auch, schreibend, und in diesem Sinne: Das Literatur-Verleger Literatur-Schaffenden ein so kaltes, gleichgültiges, ignorantes unverholenes "hab mich mal gern" und "verleg deinen Mist doch selbst, verleg ihn, und vergiss, wo du ihn verlegt hast" entgegen schreien, ist schon ein starkes Stück. Die sind zu faul zum Lesen in ihren bequemen Sesseln, möchte man oft meinen. . Dabei wäre das genau ihr Job, oder was machen die sonst, tagein, tagaus.

Antwort geändert am 27.05.2020 um 08:18 Uhr

 XtheEVILg meinte dazu am 27.05.20:
Das ist leicht zu beantworten. Sie gehen systematisch vor:

- Sammelmails werden sofort gelöscht
- offensichtlich nicht ins Programm passende Manuskripte auch
- vielleicht ins Programm passende Manuskripte ohne Exposé werden gelöscht, ausgenommen das Thema weckt Interesse, dann wird ein Exposé eingefordert
- vielleicht ins Programm passende Manuskripte mit Exposé: das Exposé wird gelesen, bei Interesse dann auch das Manuskript bzw. die Textprobe aus dem Manuskript

Und es gibt ja die Bestandsautor*innen zu betreuen, das ist auch schon ein Haufen Arbeit.

 AchterZwerg meinte dazu am 27.05.20:
Einfach das Manuskript an KeinVerlag schicken. Jan freut sich bekanntlich immer!

Eine amüsante und anrührende Geschichte, aus der einmal mehr hervorgeht:
Das falsche Blatt am falschen Ort, bringt Kummer dir am Ausflugsort!
Vor Kurzem auch ein fehlendes.

Jedenfalls: Sehr angetan
der8.

 XtheEVILg meinte dazu am 27.05.20:
Ist Jan quasi der Cheflektor hier?

Mein Vater, ein Skatbetrüger, hat mal gesagt: Das falsche Blatt am falschen Ort/ führt schnell zum Kartenspielermord.
Eines Abends ging er und kam nie zurück.

 RainerMScholz (13.08.20)
Von den ganzen Plätzchen bekommt man noch Verstopfung. Und Löcher. In den Zähnen.
Grüße,
R.

 XtheEVILg meinte dazu am 01.09.20:
Zahnärzt*innen bezuschussen heimlich die Verlagsbranche, es ist ein offenes Geheimnis.
Zur Zeit online:
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