Der graue Mantel des Regenbogens

Kurzgeschichte zum Thema Sterben

von  LotharAtzert

Zum Buddha nehme ich Zuflucht,
Zur befreienden Lehre nehme ich Zuflucht,
sowie zu den SchülerInnen des ehrwürdigen Weltüberwinders nehme ich Zuflucht.


"Leben ist so." sagte Natascha auf meine Frage, warum sie mich nicht wiedersehen wolle - und ließ mich einfach mitten auf dem Majdan stehen.
Hierzu vielleicht noch: wir hatten vergangene Nacht eng umschlungen viel Spaß mit- und aneinander.
"Leben ist so" - das ist die Antwort auf Frage. Es mag schlechtes Deutsch für alle Totmunds sein, aber selbst bei Verbesserung bis zum Deiwel deutscher Gründlichkeit kann man es nicht klarer ausdrücken.
Egal, ich wollte sowieso die Tochter; doch die zog mit einem Jüngeren davon, der vor kurzem an Krebs verstarb. - Leben ist so.

Über zwei Jahre hab ich kurz darauf das Bardo Thödol gesucht, in meiner kleinen Wohnung in Bad Vilbel, mit überschaubarem Inventar. Die letzte Person, der ich es lieh, war Babette. Sie konnte mir jedoch glaubhaft versichern, es längst wieder zurückgegeben zu haben, wonach ich, mich langsam erinnernd, abermals die Wohnung durchwühlte.
Nichts. Und auch an den restlichen Tagen kein Finden. ... Man stelle sich Ostern ohne Hasen vor.

Erst als ich "Die Reden Gotamo Buddhos" von Karl Eugen Neumann suchte - um eine Stelle daraus zu entnehmen, die Wiedergeburt betreffend, um es einem ungläubigen Griechen unter die Nase zu reiben, fand ich das Werk fast augenblicklich - es sind ja auch mehr, als dreitausend Seiten Pali-Übersetzungen. In einer Reihe stehend sind die unübersehbar, - da stand nun das große Buch tibetischer Sterbekunst  tatsächlich in unmittelbarer Nachbarschaft. Die ganze Zeit über.

Das Gute daran: So war ich quasi gezwungen, die drei Bardos in mir selbst zu empfinden, abzuschmecken, zumindest sensibler diesbezüglich zu werden. Irgendwas stirbt immer.

Aber wie war es möglich, das Tibetanische Totenbuch bei jedem mal suchen zu übersehen? - Die Antwort ist furchtbar banal: ich hatte seinen Rücken als hellblau mit dunkelblauem Schriftzug in Erinnerung. Doch der Staub des Alltags überzog ihn über die Jahre mit Grau in Grau.
Ja. Leben ist so.

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Kommentare zu diesem Text

Hannah (72)
(05.06.20)
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 LotharAtzert meinte dazu am 05.06.20:
So ist es.
Danke dir und lieben Gruß auch von mir
Lothar.
(heute bin ich kurz angebunden, weil es eine neue Baustelle gibt: die Sehkraft des linken Auges ist gerade stark eingeschränkt, sorry.)

 LotharAtzert antwortete darauf am 06.06.20:
Leider muß ich mitteilen, daß das Amselnest im Garten ausgeraubt wurde. Es gab keine Überlebende. Da hilft auch das Wiedererstarken der alten Sehkraft nicht.
:-(

 AvaLiam (06.06.20)
Wenn ich darüber nachdenke, wie viele Dinge ich so oft und auch intensiv gesucht habe, obwohl sie im Grunde aufgeräumt waren - oder zumindest irgendwo in meinen 4 Wänden. Gefunden habe ich sie immer dann wenn ich am wenigstens damit gerechnet, sie aber trotzdem dringend gebraucht habe.

Ja, Leben ist so.


Liebe Grüße - Ava

 LotharAtzert schrieb daraufhin am 07.06.20:
Hallo Ava,
Ich danke dir sehr.
Der letzte Teil deines Satzes, also "... sie aber trotzdem dringend gebraucht habe" ist wohl ein wesentlicher Punkt dabei. Es enthebt nämlich das Finden aus der so genannten Zufälligkeit, auch wenn es nicht für jeden ersichtlich sein mag.

Am "wenigsten damit gerechnet" - ja, Uranus, das Prinzip des Schöpferischen entzieht sich - abgesehen von den 84 Jahren, die er braucht, um einmal die Sonne zu umkreisen - einer Berechenbarkeit. Wo er ins Leben springt, ist es immer plötzlich - und meistens schon wieder vorbei, wenn man es bemerkt.

Liebe Grüße auch an dich
Lothar
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