Fliegende Stühle

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von  beneelim

Rufmord. Heute. Sieben Stunden lang.

Erzähle ich dir ein imaginiertes Gesicht, ein selbstgeschaffenes Verständnis. Wie ich mich verlebt habe, ist lächerlicher, redloser als alles, woran ein Wort sich haften möchte.
In die Nacht gespurt liegt die Straße vor mir, steigt die Stadt über mir empor, die Flut, die ich suche, die mich verschlingt. Gezeitigt.

Vom Leben nach der Flut: mein Schritt fliegt über lichtlosen Asphalt, mein Blick liegt auf den Baumreihen entlang der Straße, die wieder Blätter gewinnen, sich begrünen für den neuen Tanz und die neue Nacktheit. Der Frühling steht breitbeinig über den Fahrspuren der Straße, saugt an der einfallenden Dämmerung und ich gebe meine Glut zum Pfand, reiche sie hinein in blaugraue Täler. Bruder, einen Teil von mir sollst du halten, bis ich alles sonst verloren habe.
Ich gehe leise, dort gelbt der Blick einer lauernden Katze, besteigt meine Schulter, weiter vorn, ein Auto startet mit röhrendem Motor. Funken stieben von der Oberleitung, als die letzte Straßenbahn aus dem Untergrund rollt, ich brenne meine Augen am verschobenen Schlaf. Gehe weiter. Will eine Weile sitzen. Atem holen. Weiter ziehen. Spurlos. Haus um Haus, die Worte im Nacken.
Darf ich blind sein? Einen Moment nur ruhen.

Ein Bettler zieht seine zerschlissene Jacke enger, träufelt die letzten Tropfen Bier aus der Dose auf den Bürgersteig, kichert, schnauft, ein Radfahrer flucht und reißt den Lenker gerade noch herum, um ihm auszuweichen. An der Imbissbude am Eck stehen drei besoffene Jugendliche, der eine kratzt sich leicht am Kinn und spuckt vor sich aus, macht drei Schritte auf den Bettler zu und der grinst und hält den Kopf schief nach unten, hebt leicht die Hand.
Ich höre Grölen, Jammer, Phrasen der Beleidigung und eine Bierdose, wie sie am Asphalt aufschlägt.
Aus der Ferne weht das Geläut des Domes herbei. Groß und fromm. In den Wolken wankt drohend ein Sturm, und mit fünf Schritten durchmisst er den Himmel. Ein Blitz über den Straßen. Irgendwo, in gotischen Türmen tanzen die Glocken, trinken schweren Bass und versinken spielerisch im Märzkleid der Entsagung. Zwischen Straßenlaternen und Mauerwerk duftet die Leere.

Träum mit mir, träum. Ich will der Flut und der Stadt einen Namen geben, vom Brechen der Wogen erzählen, von den Schindeln und Treppen und Ziegeltürmen, den eisernen Gerippen und dem Fleisch aus Glas und Sauberkeit, und meine Lippen finden kein Wort.

Der Bettler liegt blutend im Bett von Taubendreck und Zigarettenstummeln, das Gewölk beschickt den Abend mit Regen, ich hebe die Hand gegen den Schmutz, den der Wind von der Straße hebt. Bezeugt. Vergangen.
Ringsum taumeln die Betrunkenen über brüchige Wege in die Nacht, torkeln, singen, kümmern sich nicht. Ich höre den Schlag der Glocken nicht mehr. Bin so taub wie meine Beine müde sind. Remisen schließen die Tore um erschöpfte Straßenbahnen, hie und da zieht ein Auto vorbei.

Ein Radfahrer, schreit, klingelt, fährt in großem Bogen an mir vorbei, ich drehe leicht den Kopf, schmecke Blut an meinem Mundwinkel, eine Bierdose drückt gegen meinen Rücken. Ich murmle, spucke. Entschuldigung. Verzeih. Es ist kalt geworden, seit ich am Leben bin. Und so vieles habe ich durcheinander gebracht.

Hunger. Manchmal.


Anmerkung von beneelim:

Die Zeit ist ein Ort.

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Kommentare zu diesem Text


 minze (18.06.20)
Der zweitletzte Absatz erreicht mich direkt,irgendwie wird der Erzähler für mich fassbarer. Auch in der Aufforderung des gemeinsamen Träumens. dieser Bezug zu einem Du, zur eigenen tatsächlichen Empfindung und Aktion in einem Guss, ja. sonst sind mir die Bilder nicht nah genug am Erzählenden,vom Gefühl,obwohl sie schon stimmungsvoll erzählt sind.

Kommentar geändert am 21.06.2020 um 21:37 Uhr

 Dieter_Rotmund (19.06.20)
Nettes Experiment mit dem Perspektivwechsel, aber m.E. misslungen. Der Text krankt auch sehr an dieser wolkig-blumigen, vor allem oft substanzlosen Schreibweise. Der Textbeginn macht nur den Eindruck selbstverliebter, manierierter Wortspielerei und fast hätte ich nicht weitergelesen. diese bemühte Poesiehaftigkeit, die so gar nicht zum bodenständigen Thema passt. Betrunkene Jugendliche, die einen Obdachlosen verprügeln ist außerdem ein sehr abgenudeltes Bild, da solltest du kreativer sein, finde ich.
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