SSH im Film

Kritik zum Thema Helden

von  Terminator

Joker (Todd Phillips, 2019)

Im vielbejubelten Film „The Dark Knight“ (2008) ist der Joker, wichtigster Schurke in Batmans Welt, ein Gamma-Mann. Deshalb wurde der von Heath Ledger verkörperte Joker, dieser abscheuliche Psychopath, von den Medien gefeiert. Er hat weder polarisiert noch hat er Vorwürfe wie „gewaltverherrlichend“ geerntet, sondern wurde durchweg gelobt. Mit dem „Joker“ (2019), gespielt von Joaquin Phoenix, verhält es sich nun anders: das ganze verfügbare Buzzword-Bingo-Arsenal wird abgefeuert und der Film in den amerikanischen und deutschen Medien sogar als gefährlich bezeichnet (was man ansonsten aus den Medien autoritärer Staaten kennt).

Hollywood ist eine Gamma-Traumfabrik: die Gamma-Männer ähneln von allen Männern am meisten den Frauen, wähnen sich als „heimliche Alphas“, tagträumen davon, „entdeckt“ oder „erkannt“ zu werden, sind in der Regel narzisstische, verwöhnte Kinder mit unbegründeter Anspruchshaltung, voller Neid und Selbstmitleid. Aber sie kommen aus der Mitte der Gesellschaft: der Gamma-Rang ist gegenüber den Durchschnittsmännern, der stillen Mehrheit der Deltas, privilegiert. Der neue Joker ist ein Omega-Mann in der soziosexuellen Hierarchie. Und damit bricht der Film ein grundlegendes Tabu: er fordert Empathie (nicht zu verwechseln mit Sympathie) für einen Omega.

Der Omega hat in unserer Gesellschaft unsichtbar zu sein, er gehört zur Kaste der Unberührbaren. Selbstverständlich ist ein Omega in der Regel auch ein „Incel“, ein von Frauen verachteter oder für Frauen unsichtbarer Mann, weil er eben in der Hierarchie ganz unten ist. Während die Gesellschaft dem Selbstmitleid des Gamma mit Empathie begegnet, ignoriert sie das tatsächliche Leid des Omega. Er hat es am schwersten, aber sein Leid zu thematisieren ist tabu. Die Gesellschaft nimmt gegenüber dem Omega-Mann die Position des Bonzen im Film ein: für die Gesellschaft sind die Omegas „Clowns“, Loser, an allem selber schuld. Darum werden auch die Incels nicht als leidende Männer gesehen, was sie in erster Linie sind, sondern als Frauenhasser.

So lässt sich die Verweigerung der Empathie gegenüber den Omegas rechtfertigen: man wirft ihnen ebendas vor, was die Folge des zynischen und mitleidlosen Verhaltens der Gesellschaft ihnen gegenüber ist, uns sagt dann, dass sie, weil sie so hasserfüllt und verbittert sind, kein Mitgefühl verdienen. Es ist ein universelles psychosoziales Gesetz, dass die Gesellschaft den benachteiligen Gruppen die Folgen der Benachteiligung als ihre eigene Schuld vorwirft. Der neue Joker-Film macht das Gegenteil: er hält der Gesellschaft den Spiegel vor. Die Gewalt des Jokers wird nicht mehr verherrlicht und sein Nihilismus nicht mehr romantisiert als in „The Dark Knight“, aber Ledgers Joker hatte Anspruch auf Empathie, weil er ein Gamma war, und dieser Omega-Joker ist, was jeder Verreißer des Films denkt und nicht ausspricht, nur Abschaum, und wie kann man es nur wagen, diesen Abschaum zu vermenschlichen!


Terminator 2 (James Cameron, 1991)

Der gute Alpha, der ideale Mann, ist nackt und hat nichts zu verbergen. Der böse Sigma, das ultimative Angstobjekt, tötet den ersten Zeugen seines Erscheinens und nimmt dessen Identität an. In der Folge wird er die Identitäten unzähliger Deltas, vielleicht auch Gammas und Omegas, annehmen. Nie wird er echte Beziehungen eingehen: einsam und ohne Furcht und Zögern strebt er einem Ziel entgegen. Er ist ziel, also sach- , nicht beziehungsorientiert. Der Alpha geht nackt in eine Bar, kein Punktabzug bei Selbstvertrauen, 10 von 10, 100 von 100, 1000 von 1000 Punkten. Er nimmt sich was er will und fährt auf einem Bike davon. Er hätte sich unauffälliger Kleidung und ein Fahrzeug beschaffen können, doch ein Alpha kann nicht anders als so.

Der echte Mann ist von seinen Gefühlen getrennt, ein perfektes „human doing“. Seine Aufgabe ist es, „human beings“, eine Frau und ein Kind, zu beschützen. Dem Kind gehorcht er ohne Widerrede, bei der Frau stellt er sich nicht wie ein hündischer Gamma an, sondern lässt sich erst vom Kind befehlen, auch sie zu beschützen. Stoisch erträgt er dann ihre zynischen Seitenhiebe, die seine Brutalität und Gefühllosigkeit betreffen, genau die Eigenschaften, die ihn zum perfekten Beschützer gegen den stärksten möglichen Feind machen, den absolut entschlossenen Sigma-Einzelgänger. Die Frau kritisiert, verachtet, entwertet den Mann für ebenjene seiner Eigenschaften, von denen sie und ihr Kind profitieren, und an denen der Mann selbst nur leidet. Doch er wäre kein Mann, wenn Dankbarkeit oder auch nur Verständnis verlangte. 

Ein richtiger Mann lebt für Frau und Kind und wächst in der Extremsituation über sich hinaus, opfert sein Leben, um deren Leben zu retten. Nachdem der negative Sigma vernichtet ist, zelebriert der positive Alpha, der ideale Mann, „male disposability“: jetzt wird er nicht mehr gebraucht und geht in den Tod. Ein echter Mann versteht Gefühle, auch wenn er selbst keine hat: „Jetzt weiß ich, warum ihr weint“.


The Shawshank Redemption (Frank Darabont, 1994).

Ein Mann jungen bis mittleren Alters kommt unschuldig lebenslänglich hinter Gittern: das kann eine allgemeine Metapher für die Geworfenheit in die Welt sein, aber auch eine besondere für z. B. ein toxisches Elternhaus, das das Leben nachhaltig vergiftet. Er ist introvertiert und wird in der neuen Lebenssituation sofort omegaisiert. Der feine Unterschied zwischen einem Außenseiter, als der er scheint, und einem Einzelgänger, der er eigentlich ist, deutet schon an, dass der Mann charakterlich ein Sigma ist.

Ein Sigma leugnet nicht die Hierarchie, er nimmt sie an, lebt und spielt damit. Auch ein omegaisierter Sigma entwickelt keine Ressentiments, sondern entwickelt sich zu einem „Mann des langen Willens“, wie die alten Mongolen sagten. Für den tyrannischen Gefängnischef nimmt er die Rolle des Gamma an, wäscht für ihn Geld, doch dabei baut er all die Jahre für sich selbst dort draußen eine Identität auf. Während seine Mitgefangenen darauf warten, dass er sich irgendwann umbringt, denkt er immer an Freiheit, nicht an den Tod. Durch seinen Charakter und seine sigma-souveränen, nicht gamma-manipulativen guten Taten wird er immer mehr zur lebenden Freiheitsstatue an einem Ort der Unfreiheit. Doch alle konkreten Pläne für seine Selbstbefreiung behält er für sich.

Auf einmal ist er weg, und keiner weiß, was passiert ist. Nur ein großes Loch in der Wand lässt die Kraft seines Willens erahnen: viele Jahre lang grub er heimlich einen Fluchtweg. Jeden Tag musste er damit rechnen, dass das Loch bei 10, 50, 90, 99% der getanen Arbeit bei einer Zimmerkontrolle doch noch entdeckt wird. Doch er führt seinen Plan konsequent zu Ende. Das ist die Art, auf die ein Sigma positiv denkt. Ein Gamma dagegen malt sich die Welt schön, lebt Lebenslügen, verzerrt seine Wirklichkeit, um „positiv denken“ zu können. Taten folgen dem positiven Denken eines Gamma nicht, es bleibt bei Hoffnungen und Absichten.

Dieser Film zeigt, dass der Sigma-Rang in der soziosexuellen Hierarchie nicht situativ oder fraktal eingenommen werden kann (in der Familie ein Alpha, auf der Arbeit ein Delta; in der Schule ein Omega, im Nerd-Freundeskreis ein Gamma usw.), sondern auf einer bestimmten charakterlichen Grundstruktur basiert. Nicht weil der Sigma es am schwersten hat, ist es am schwersten, ein Sigma zu sein, sondern weil der Sigma-Rang sehr voraussetzungsreich ist und einen festen Charakter, einen starken Willen und viel Persönlichkeitsentwicklung erfordert. Allein mit einem großen „Selbstbewusstsein“, das durch ein positives Elternhaus und überlegene genetische Ausstattung (physische Stärke, Intelligenz) zustande kommt, wird man mit großer Wahrscheinlichkeit ein Alpha oder Beta/Bravo, aber noch lange kein Sigma.


Der Fall Richard Jewell (Clint Eastwood, 2019)

Bei diesem Film überschlagen sich Film und Wirklichkeit: Folgendes ist tatsächlich passiert. Ein unscheinbarer übergewichtiger Security-Typ mit geringem Selbstvertrauen, der bei seiner Mutter wohnt, Waffen besitzt, gern schießt und jagt, wird zum Helden, indem er bei einem Bombenanschlag die Bombe rechtzeitig entdeckt und Schlimmeres verhindert. Doch in dieses Profil passt der Omega Jewell so gar nicht, stattdessen in ein anderes: ein frustrierter Mann mittleren Alters, der selbst die Bombe legt, um als Held berühmt zu werden. Die Story ist so glaubhaft, dass die Öffentlichkeit sofort überzeugt ist, der vermeintlich vermeintliche Held sei der Täter. 

Als Zweifel an der Schuld des Omega-Mannes aufkommen, der sein Leben lang verzweifelt versucht, ein starker Delta zu werden (er will nichts Besonderes sein, sondern seinen Beitrag in der Gesellschaft leisten und dafür respektiert werden), ist sein Schicksal dem Staat und der Presse einfach zu wenig wert, um ihn in Ruhe zu lassen und weiter nach dem wahren Täter zu suchen: der FBI-Ermittler erntet den Ruhm, den Bombenleger gefasst zu haben, die Reporterin feiert einen Erfolg mit ihrer sensationellen Story, der Staat kann den Bürgern weiterhin vorgaukeln, sie vor terroristischer Bedrohung schützen zu können, indem der vermeintliche Täter schnell gefasst wird.

Anders als der Joker (2019) ist Richard Jewell eine reale Person, deren Leben durch die Medienhetze zerstört wurde und die mitunter an den Folgen der Mediankampagne schwer erkrankte und frühzeitig starb. Der Fall Richard Jewell ist aber nur deshalb bekannt geworden und verfilmt worden, weil die Unschuld dieses Helden letztlich doch erwiesen wurde. Wie viele Omegas werden aber von der Gesellschaft als Sündenböcke geschlachtet, nur weil die Story sich plausibel anhört, nur damit Staatsbeamte und Journalisten Karriere machen können, nur damit die Leute wieder ein Gefühl von Sicherheit haben!

Laut Vox Day muss man davon ausgehen, dass wenn einer Amok gelaufen ist, es mit großer Wahrscheinlichkeit ein Omega war. Ja, manchmal laufen Omegas Amok, aber es ist eher ein Wunder, dass so wenige Omegas Amok laufen angesichts dessen was die Gesellschaft ihnen antut. Als es um die Joker-Kontroverse ging, stellte der Youtuber Sargon of Akkad lapidar fest: „We live in a society“. Der fiktive Joker läuft Amok nicht im Vakuum. Es gibt Gründe dafür. Während sich der Joker-Film auf die Verwandlung eines gebrochenen Mannes in einen Schurken konzentriert, zeigt der andere große Omega-Film von 2019 den realen gesellschaftlichen Hintergrund, der jemanden wie Joker sowohl möglich als auch nötig macht.

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