Vom Denken und dem Prinzip des Daseins - Babette Dalüge gewidmet

Brief zum Thema Ferne

von  LotharAtzert

Ich möchte nicht lange drumherum reden: wir denken nicht aus freien Stücken, sondern können uns selbst dann nicht des Denkens erwehren, falls wir es denn möchten. Das zeigt dem Aufmerksamen, daß da offenbar ein Zwang besteht, der meistens  nicht wahrgenommen werden will, darum verdrängt und oft durch aberwitzige Vorstellungen mit der Qualität des Denkens plausibilisiert wird. Vor allem, wenn es ums rationale Denken geht.

Im Orient geht man anders damit um. Da gibt es nicht wenige Yogapraktiken, welche sich zuallererst um das Beruhigen der Gedanken drehen, bis schließlich nach Jahren vom Betrachter Gedankenstille (Samadhi) erreicht wird - ein langer Weg für Westler.

Zunächst sollte man sensibel werden für den unablässigen Gedankenstrom, dh ihn schlichtweg einmal wahrnehmen. Für gewöhnlich macht er keine Pause, sondern ein Gedanke hängt am nächsten und springt unablässig wie ein kleines Kind, bis sein  Geist schließlich müde wird und es im Meer des Unbewußten einschläft. Darum setzen wir uns am besten nach dem Lesen hin und beobachten das Treiben im Strome.

Es ist wie mit den Wolken: zuerst nehmen wir die Langeweile wahr, (-vollständig bedeckter Himmel) bis wir begreifen, daß wir die Eigner der Langeweile sind. Hier schon brechen alle die ab, die uns später als unseriös beschimpfen werden. Wir Zurückbleibenden aber erkennen, daß vom Betrachten bis zum Greifen des Begriffes, sowie dem Bewußtwerden des Zugriffs nur ein kurzes Zucken verging. Ein Fingerschnippen, ein Lichtblitz durchzuckt uns, andeutend, um was es eigentlich geht, derweil der Gedanke im Zugriff noch zappelt - um den blauweiten Himmel und um die Sonne - mit unsrer Muttererde, die uns zuraunt: "Werdet". Durch letzteres verstehen wir das erstere - nur muß man dazu das Sein sein lassen, wie es ist, egal welcher fette Denkfisch aus der Atlantis gerade vorbei huscht.

Das Zeichen der Fische zeichnet als Bild das Daseinsprinzip, noch unbestimmt, unfassbar für Verfasser, wie Lagerfässer.
Dieses Daseinsprinzip offenbart sich im Lichtblitz durch Wolken (Satori in Japan). Viel zu kurz für den Intellekt. Es ist nämlich das Zucken des Ur zur Polarität, wie es dem mittelteilige Wassermann entspringt, der, sich wandelnd in die Zeitgottheit Saturn, von Ereignis zu Ereignis zwecks Lernens der Lektionen eines Lebens zieht, so lange, bis das Herz still steht. Von da ab zieht nichts mehr, nur noch Projektionen des Vergangenen tauchen auf und spuken als Wiederholung der Vergangenheit herum.
Polarität und Zeit - es lohnt sich, im dreifachen Prinzip des Kreises zu entspannen, Bewölktes weiterziehen lassen und schauen. Der Zug hält, "wenn nichts dazwischen kommt", erst in Dewa Chen wieder an, - nahe eines Jupitermondes, wie mir ein Zugbegleiter aus Samarkand für Bakschisch verriet.

Mögest du Don Juan treffen.

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Kommentare zu diesem Text


 DanceWith1Life (03.07.20)
Manchmal frag ich mich, zum Glück nur manchmal, wie es all jenen ergeht, die sich noch nicht mit dieser Sichtweise auf das Denken beschäfftigt haben. Lach, dann weiß ich es plötrzlich wieder.

 LotharAtzert meinte dazu am 03.07.20:
Meinen Spruch für alle Fälle kennst du ja aus zahlreichen Wiederholungen:
"Wenn der Teich da ist, kommen auch die Schwäne."
Danke dir.

 DanceWith1Life antwortete darauf am 03.07.20:
Ich beschäftige mich ja nun auch schon ein paar Jahre mit diesem Knackpunkt, den du "das Begreifen, dass wir die Eigner der Langeweile sind" nennst und natürlich ist das eine persönliche Entscheidung, daran wird in diesem Universum wohl niemand rütteln, trotzdem scheint es gerade darüber, die meisten Missverständnisse zu geben.

 LotharAtzert schrieb daraufhin am 03.07.20:
Ja, die Missverständnisse sind Legion. Der eine denkt sich seinen Gott so, wie der Bub den Vater versteht und der andere … ach ich weiß auch nicht.

 Mondscheinsonate (03.07.20)
Nun, das Gehirn strebt stets nach Koheränz, die findet es aber erst, wenn das Herz stillsteht. Somit glaube ich nicht an Praktiken, auch nicht aus Fernost oder manche Saufen, ist auch ein Versuch.
Ich muss dennoch gestehen, ich liebe deinen Text. Schöne Sprache!

 LotharAtzert äußerte darauf am 03.07.20:
Schön, daß du wieder da bist. Und herzlichen Dank für das Textlieben.
Es ist eher der Geist, der strebt; das Gehirn ist lediglich der Ausgangsort oder das "Basislager".

Der Glaube an Praktiken ist auch nicht unbedingt nötig. Man muß auch nicht daran glauben, daß wir mittelst der beiden Beine gehen können - es ist einfach so. Aber dazu müssen sie natürlich auf die vorgesehene Weise benutzt werden.

Dem Herzen als Lebenmotor schadete ein bißchen Dankbarkeit keinesfalls. Bei Stillstand folgt auch bald der Hirntod und ein Denken ist nicht mehr möglich.

Gruß
L.
Schneewittchen (40)
(03.07.20)
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 LotharAtzert ergänzte dazu am 03.07.20:
Hallo Schneewittchen,
ich habe zu danken für die freundlichen Worte.
Ja, das verändern zum Guten ist sehr schwierig geworden. Trotzdem würde ich nicht "niemals" sagen. Für Einzelne, also für das Subjekt, ist es jederzeit möglich und an einer einzelnen brennenden Kerze kannst du viele anderen anzünden.

Gruß
L.

 millefiori (03.07.20)
Mit dich selbst eins sein, die Aussenwelt mal abschalten und zur Ruhe kommen. Nichts denken, geht bei mir am besten beim Lesen oder Malen oder Kochen.
Beim Schnippeln von Gemüse sind dvhon die tollsten Gedichte entstanden.

Liebe Grüße
millefiori

 LotharAtzert meinte dazu am 03.07.20:
… beim Schnippeln von Gemüse - wohl dem, der nicht aufs Messer zu achten braucht
Klar, sobald etwas Ruhe einkehrt, steigt was aus dem Unbewußten auf. Ich habe das immer wieder im Wald erlebt, wo plötzlich Tiere auftauchen, die ansonsten im Verborgenen bleiben. Ein Fuchs wäre fast mal über mich gestolpert, hätte ich nicht im letzten Moment ein leises Räuspern von mir gegeben. Da erst ist er weggerannt. Ein andermal kam ein Reh das sah mich allerdings und kam trotzdem immer näher, war sehr neugierig und als es bis auf etwa 2 m heran war und genug gesehen hatte, ist es langsam wieder weiter gezogen.

Danke und auch dir liebe Grüße
L.

 millefiori meinte dazu am 03.07.20:
So komisch es such anhören mag, das Schnippeln hat sowas meditatives, durch die Konzentration auf das Schneiden, schalte ich andere Gedanken aus und auf einmal kommen mir Gedichtzeilen in den Sinn oder irgendwelche Geistesblitze.
Die Natur ist natürlich Nummer Eins ins Sachen Gehirn freimachen. Ein Spaziergang wirkt Wunder.
Da musst du aber wirklich eine große Ruhe ausstrahlen, dass die Tiere so nahe an dich rangehen.
Liebe Grüße
millefiori

Antwort geändert am 03.07.2020 um 10:45 Uhr

 Bluebird meinte dazu am 03.07.20:
Warum in die östlich-mystische Ferne schweifen, wenn das wahrhaft Gute denn so nahe liegt?  hier

 DanceWith1Life meinte dazu am 03.07.20:
Ja, ist mir auch schon aufgefallen, dass die "christlichen" das als "östlichen Trend" betrachten, gruselig.

Antwort geändert am 03.07.2020 um 13:39 Uhr

 LotharAtzert meinte dazu am 03.07.20:
Sorry Bluebird, das "Brief zum Thema Ferne" bezieht sich auf meine Weggefährtin Babette, die im Sterben liegt und gedanklich schon ganz weit weg ist. Diese Schrift ist ihr deshalb gewidmet.
Das Erleben mit Fuchs und Reh spielte sich im Schwarzwald ab, das ist dir hoffelntlich nahe genug. Die Links von dir klicke ich nicht mehr an, es ist sowieso klar, wohin sie führen. - in ein völlig erstarrtes Weltbild.

@ millefiori
Es ist so, daß ich mir zum Meditieren verborgene Plätze im Wald aufsuche und da auch äußerlich bewegungslos sitze. Beim Reh saß ich auf einem Baumstumpf und als es kam, wollte ich gerade aufstehen, denn der Hintern begann schon zu schmerzen. Nun blieb ich aber doch sitzen, um zu sehen, was geschehen würde. Es dauerte geschätzt mindestens nochmal 20 Minuten. Als es endlich in aller Seelenruhe meinen Blicken entschwand, war das wie eine Erlösung. Ich finde damals wie heute, das bißchen Schmerz hat sich gelohnt.

 Bluebird meinte dazu am 04.07.20:
@Lothar
Das wusste ich natürlich nicht ... der Name kam mir allerdings bekannt vor, vielleicht noch aus dem "Autorenblog"

 LotharAtzert meinte dazu am 05.07.20:
"Autorenweb", ja.
Schon gut, Bluebird, ich mache dir ja keinen Vorwurf daraus. Ärger ist es allerdings mit deinem "Glauben", den ich als Ausübungszwang und nicht als befreiend empfinde.
Hab einen schönen Sonntag.

 Judas (03.07.20)
Ich hab ja echt Respekt vor diesen Meditationsmeistern, die das stundenlang hinbekommen. Ich selbst hab 'nen Rekord von ca 20 Minuten.

 LotharAtzert meinte dazu am 03.07.20:
Respekt, ja, unbedingt.
20 Minuten gedankenfrei? - Das wäre sensationell. Aber auch 20 Minuten Introspektion sind erstaunlich gut.
Es gibt übrigens auch vereinfachte Betrachtungen, zum Beispiel Atemzüge zählen. Ich mach das gern im Bett abends, (böse Zungen nennen es Schäfchenzählen), wenn ich merke, daß da viele wirre Gedanken sind. Dann zähle ich meistens 28 Atemzüge beim Ausatmen und sobald ich mich verzählt habe, fange ich von vorne an und am Ende schlaft ich dann fast mit dem letzten ein.

Danke

 Judas meinte dazu am 05.07.20:
Ja gut könnten auch 15 gewesen sein. Ist schwer, wenn man so "weg" ist, irgendwie. Ist wahrscheinlich eher Introspektion gewesen. Jedenfalls kein "bewusstes" Denken, was mir quasi aufgefallen wäre, wenn du verstehst, was ich meine?

 LotharAtzert meinte dazu am 05.07.20:
Ja. Weiter üben

 Oskar (03.07.20)
Gute Reise Liebe Babette. ❤️🖤

 LotharAtzert meinte dazu am 03.07.20:
(vielleicht kann ich es ihr morgen zukommen lassen, das würde sie sicher freuen.)

 AvaLiam (03.07.20)
Ja, Meditation ist ne feine Sache - wenn man will.

Während ich dich und die Kommentare so lese, fällt mir auf, wie wenig Zeit ich mir dafür die letzten 2 Jahre genommen habe.
Dabei hatte ich einen echt guten Lehrer und es hat mir wirklich gut getan.
Ich nehme deine Worte mal Erinnerung.

Liebe Grüße - Ava

 LotharAtzert meinte dazu am 04.07.20:
Danke, liebe Ava.
Früher ahnte ich es nur, heute weiß ich es: Meditation ist unter anderem eine Ökonomie des Geistes. Wenn im Alter die Energie abnimmt, hat es viele Vorteile, weniger, dafür zielgerichteter zu denken. Es verhindert das Schwelgen in Vergangenheiten.

Gute Lehrer (- diejenigen, die das vorleben, was sie lehren) sind kostbar. Umso mehr, je dunkler die Zeit ist, in der wir leben. Aber ein bißchen "Spiel-Raum" bleibt uns immer: Betrachtung sollte keinem Leistungsdruck unterliegen. Wenn ich mal gar keine Lust zum Meditieren habe, lasse ich es einfach. Dafür geht es anderntags (oder nach 2 Jahren?) umso besser.

Liebe Grüße
Lothar

 AchterZwerg (04.07.20)
Lieber Lothar,

aufgrund deines neuen Textes bedaure ich einmal mehr, dass unser geplantes Treffen nicht zustande gekommen ist. Coronös bedingt.
Ich hätte mich gern einmal mit dir über schizoide Grundstrukturen unterhalten und darüber, wie es sich verhält, wenn das Denken gleichsam von "außen" übernommen wird ...

Jedenfalls: Ein guter Text von großer Klarheit.

Herzliche Grüße
der8.

 LotharAtzert meinte dazu am 05.07.20:
Auch ich bedauere dies, zumal ich merke, daß meine Energie zu was auch immer, täglich mehr abnimmt und ich immer mehr Kraft für solche Texte brauche, was auch damit zusammenhängen mag, daß ich mich hier wie ein einsamer Exot fühle. Dazu werden die Augen schwächer usw. usf. Auch hat der Besitzer gewechselt. "Apfelkern und Kolibri" besteht nur noch dem Namen nach, der Spirit der Vorgänger ist nicht mehr da - das ist ja allgemeine Tendenz überall.

Genug geklagt, es geht immer weiter bis zum letzten Schlag. Danke für deine freundliche Aufnahme und auch

Herzliche Grüße
Lothar
(Im Garten sitzen ist jetzt auch keine Option mehr: die Beißer und Stecher sind alle schon wieder da )

 Regina (04.07.20)
Babettes Texte vermisse ich schon einige Zeit. LG Gina

 LotharAtzert meinte dazu am 05.07.20:
Auch ich vermisse sie und ihre Eigenart. Babette wird nicht wiederkommen.
LG Lothar
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