Nachtrag

Kurzprosa

von  monalisa

Gestern, als wir uns nach vielen Jahren wieder gegenüberstanden und du mir die Hand reichtest, fror ich bis in die Haarspitzen unter der Tarnkappe. Und darunter lief die x-te Wiederholung des Films mit dem Arbeitstitel „Entschieden zu weit “, sah ich Szenen erbitterten Ringens gegen die GemEinsamkeit, sah Tränen, Flüche, hilfloses Schulterzucken und versteinerte Mienen. Ich sah, wie ihr, Sina und du, einander nur noch ertrugt, ehe ihr schließlich auf gegensätzlichen Eisbergen auseinandertriebt. Ich sah nur die Spitzen, und nicht einmal ihr konntet deren wahre Ausmaße erkennen.

Weißt du, ich vermisse noch jetzt, wie du mit den Händen durch die Luft fährst, sie in Sektoren zerteilst und mit Fingern überdimensionale Bilder verwinkelter Emotionen aufmalst; vermisse dein schiefes Lachen, das die Augen, strahlend und klar, wieder geraderücken. Du fehlst, wenn es darum geht, den Rasenmäher zu warten, Zwetschken zu entkernen oder die feinen Kristallgläser zu polieren, die ich seither nicht mehr benutze. Und manchmal höre ich im Traum noch deine Stimme: „Komm rüber, Martha, wir haben Kaffee und Kuchen!“

So viele Jahre bist du mir Sohn gewesen, viel mehr als ein Anhängsel meiner Tochter, und dann plötzlich nicht mehr, bist mir abhandengekommen, ausgezogen in eine ferne Welt und hast nichts mehr von dir hören lassen. Verwünscht habe ich dich, weil ich mir verbot, dich herbeizuwünschen.

Und dann standst du plötzlich vor mir und gabst mir über den Graben hinweg die Hand, mit dem Anflug deines schiefen Lächeln und schlampig gebundener Krawatte. In abgetretenen Schuhen standst du am Friedhof, verlegen, kleiner als in meiner Erinnerung und sehr viel näher, als mir bewusst war.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (14.07.20)
Keine Ahnung, um was es hier gehen soll.

 Graeculus meinte dazu am 14.07.20:
Ein ehemals nahestehender Schwiegersohn nach der Scheidung?

 monalisa antwortete darauf am 15.07.20:
Ach, Dieter, ich glaube, das kannst du verschmerzen. Dein Drang, der Sache auf den Grund zu gehen, scheint ja nicht übermäßig ausgeprägt.

Liebe Grüße
mona

 monalisa schrieb daraufhin am 15.07.20:
Ja Graeculus, ganz ohne Fragezeichen. Wenn eine Paarbeziehung kaputt geht, sind meistens auch Nahestehende, Freunde, Verwandte mitbetroffen.

Liebe Grüße
mona

 Moja (14.07.20)
Tief berührend empfinde ich wie die Mutter ihr distanziertes Verhältnis zu Tochter und Schwiegersohn reflektiert, in wenigen Sätzen deutest Du die Beziehungen untereinander an, deutlich wird der Verlust der Trennung spürbar, Trauer überlagert ihre Beziehung noch immer - und doch ist da diese Nähe.
Wie ein kleiner Roman! Treffend der Titel!
Mich zog es sofort tief hinein in dieses dichte Beziehungsgeflecht.

Herzlichen Gruß,
Moja

 monalisa äußerte darauf am 15.07.20:
Liebe Moja, vielen Dank für deine Zeilen, die mich wirklich freuen, weil sie zeigen, dass man sehr gut erfassen kann, worums hier geht. Bei einer Scheidung/Trennung gibt es halt auch Nebenschauplätze. Nicht nur das Paar selbst, das auseinandergeht, ist betroffen, auch Freunde, die sich vielleicht für eine Seite entscheiden müssen, Verwandete, Eltern ...

Ganz liebe Grüße
mona
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