Pietät

Sonett zum Thema Wahrnehmung

von  FrankReich

In den Straßen  stapeln sich mit aufgeschlitzter Kehle
turmhoch steife Körper, in den Rippen kalter Stahl,
aus zerstörten Fenstern hängen Tote ohne Zahl,
Leichenteile modern in den Sümpfen der Kanäle.

Auf den Bergen schlängeln Eingeweide sich um Pfähle,
Schleim und Eiter glitschen, gleiten abwärts in das Tal,
Wiesen, Weiden, Wälder sind schon längst Teil dieser Qual,
irgendwo dazwischen stirbt noch manche arme Seele.

Aus dem Untergrund begleitet eine Ukulele
ihren letzten Kampf und steigert ihn bis zum Fanal,
dennoch bleibt das Leben Leben wie der Tod kausal,
über all dem nämlich hängt ein Hauch nur von Querele.

Jeder pflegt letztendlich seine eigene Moral,
tödlich muss der Tod halt sein, denn Sterben ist normal.


Anmerkung von FrankReich:

Am Sonntag eröffnete mir eine Nachbarin, dass die ein Stockwerk unter mir wohnende und seit einigen Monaten im Krankenhaus liegende alte Dame ihrem Krebsleiden erlegen sei, woraufhin sich die Nachbarin vom Bungalow gegenüber es sich nicht nehmen ließ, dieses mit dem Schicksal ihres Schäferhundes zu vergleichen, der in der gleichen Woche eingeschläfert werden musste.
Vielleicht wird anhand dieser Anekdote der schwarze und völlig schräge Humor des Sonetts sowohl inhaltlich als auch formal besser verständlich, falls nicht, ist mir das dann aber auch schon ziemlich egal.

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Kommentare zu diesem Text


 IngeWrobel (20.07.20)
Die kleine zarte Ukulele geht in dem tödlichen Geschehen doch so schon unter ... bitte stärke sie durch eine weitere Silbe. Obwohl im Schwäbischen die Endung ...le eine weitere Verkleinerung oder Verniedlichung wenn nicht sogar Verharmlosung bedeutet. Ich sach's ja: Die passt irgendwie nicht so recht, die kleine zarte ...
Nichts für ungut – ich mag Ukulelen eben.
Liebe Grüße
Inge

 FrankReich meinte dazu am 20.07.20:
Danke Inge, tja, die Wahrnehmung spielt so manchem Menschen Streiche; die dritte Quartett allerdings sollte bewusst verharmlosend wirken, um auf das Couplet vorzubereiten.
Ciao, Frank

 TrekanBelluvitsh (20.07.20)
Passend, wenn auch düster.

Auf der anderen Seite denke ich, dass man mehr Augenblicke lang lebt und nur in einem Augenblick stirbt. Aber da vermute ich nur...

 FrankReich antwortete darauf am 20.07.20:
Danke, Trekan, allerdings passt es meiner Meinung nach auch, weil es düster ist, vor dem Tod hat der Mensch doch nur Respekt, weil er selbst nicht dran glauben will und nur deshalb ist Sterben ganz und gar nicht normal. Ich bin mir nicht sicher, denke aber, dass die Unsterblichkeit bestimmte Menschen noch mehr abstumpfen lassen würde, als sie es ohnehin schon sind.
Zum Augenblick des Todes kann ich aus eigener Erfahrung nur sagen, ihn als sehr intensiv erlebt zu haben.

 TassoTuwas (20.07.20)
Ein mutiges Sonett, ungeschminkt, bedrohlich und rücksichtslos apokalyptisch.
Mit einem Wort tarantinoesk!
Und darum Zartbesaiteten nicht unbedingt vor dem Frühstück zu empfehlen
LG TT

 FrankReich schrieb daraufhin am 20.07.20:
Danke Tasso, Tarantino war mir dazu noch gar nicht in den Sinn gekommen, aber jetzt, wo Du es erwähnst ... 😎
Ciao, Frank

 Moja äußerte darauf am 20.07.20:
Stoßseufzer, muss schon sagen, auch nach dem zweiten Frühstück schwer zu ertragen. Was für eine "Mordsstimmung" treibt Dich durch die Verse?

Oky doky,
Moja

 FrankReich ergänzte dazu am 20.07.20:
Ja, mit Laune hat das schon zu tun, denn es macht Laune, mal so richtig gegen die gängigen Vorstellungen von Lyrik zu verstoßen, trotz Reimung aufzeigen zu können, dass sich eben nicht alles reimt, mit der Sprache Schindluder zu treiben und sprachlos zu machen und vor allem den Mut zu haben, sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen, aber 🤫, sonst 😬, 😄.
Ciao, Frank

 Dieter Wal (20.07.20)
Welches Metrum soll beachtet worden sein? Mehr oder weniger löblich ist die Bemühung um Reime. Unfreiwillige Komik entwickelt die Ukulele. Unser Landserfreund begeistert das Blutbad. Ich wünsche dem Autor kein Wochenende in der Pathologie, doch vielleicht würde es seine sichtliche Freude an Morbidem schmälern?

Das Schluss-Couplet nach all dem postpubertärem Unsinn ist peinlich platt.

 FrankReich meinte dazu am 20.07.20:
Danke für Deine Wahrnehmungen, Dieter, die ich in etwa nachzuvollziehen bereit bin, und das nicht nur, weil sie von Dir kommen, aber was hast Du gegen einen siebenhebigen Trochäus einzuwenden? 😂🤔

 Dieter Wal meinte dazu am 20.07.20:
Unseren Landserfreund. Sorry.

(1.) In den (2.) Stráßen (3.) stápeln (4.) sich mit (5.,6.) aufgeschlitzter (7.) Kehle. OK.

Bei diesem Ergebnis hat der Vers die Eleganz rostigen Gartenhausmülls.

 FrankReich meinte dazu am 20.07.20:
Mensch Dieter, warum hast Du denn nicht gleich gesagt, dass es Dir in diesem Gedicht um Eleganz und Eloquenz geht? Das ist jetzt aber echt pietätlos von mir.

 Dieter Wal meinte dazu am 20.07.20:
Ein bestimmtes Metrum dient gewöhnlich einem Zweck. So, um eine besondere Stimmung auch metrisch hervorzuheben. Das wurde mir bisher nicht bei diesem Sonett deutlich.

Ich würde gern ein richtiges Gedicht von Dir lesen. Hast Du bisher nur Gedichte zu Übungszwecken geschrieben?

Antwort geändert am 20.07.2020 um 12:46 Uhr

 FrankReich meinte dazu am 20.07.20:
Na klar, aus welchem Grund schreibst Du denn welche? 😂

 Dieter Wal meinte dazu am 20.07.20:
Es ist die Magie der Lyrik, die mich fasziniert. Ob und wie es auf mich mit den Entstehungsprozessen "wirkt". Das Nichtfassbare, das Atmosphärische, das Nonverbale, das Magische. Identisch verhält es sich, schreibt man Palindromquadrate. Die nächste Frage: Wirkt ein Gedicht auch auf andere? Wenn ja, wie? Was bewirkt Lyrik? Ist Lyrik tatsächlich Zaubersprüchen der Antike verwandt und nichts Anderem?

Warum schreibst Du Gedichte?

Antwort geändert am 20.07.2020 um 14:56 Uhr
Aha (53) meinte dazu am 20.07.20:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 FrankReich meinte dazu am 21.07.20:
Danke, Aha, denn genau das ist der Punkt, der mich zur Beantwortung der Frage Dieters führt. Es gibt sicherlich viele Gründe, warum ich schreibe, nicht nur Gedichte, der Hauptgrund scheint aber an der Wehrhaftigkeit der Sprache zu liegen, und teils hast Du nicht unrecht, Dieter, denn Übung macht den Meister.

 Dieter Wal meinte dazu am 21.07.20:
@Ralf_Renkking : "der Hauptgrund scheint aber an der Wehrhaftigkeit der Sprache zu liegen, und teils hast Du nicht unrecht, Dieter, denn Übung macht den Meister."

Dann bist Du einer der ganz Wenigen hier, die sich nicht im Grund nur für sich und ihre narzisstischen Spiegelungen interessieren und darum ausschließlich Lob bedürfen.

Fragte mich, ob irgend ein Vers an dem Text gelungen erscheint. Ich zumindest konnte keinen entdecken. Ist ein wahres Bild darin, eine originelle Wendung, eine griffige Formulierung? Leider nicht. Steht ein Bildaufbau? Sind gestalterische Mittel erkennbar? Ich fürchte, mehr als magere Verwendung. Gibt es eine Aussage und erkennbare Textintention? Vielleicht für Fünfzehnjährige. Zum Vergleich sah ich mir  Gedichte Georg Heyms an. Der Autor hier bemühte sich redlich, ein postexpressionistisches Sonett zu verfassen. Formal gelang es mehr schlecht als recht. Doch immerhin erfüllt es Minimalstanforderungen.

Auf kV publizieren zwei Autoren in seriösen Verlagen postexpressionistisch.

Antwort geändert am 21.07.2020 um 11:33 Uhr

 FrankReich meinte dazu am 21.07.20:
All das allerdings würde wahrscheinlich in einem anderen Licht erscheinen, wenn Du den Anlass zu diesem Text kennen würdest, ich glaube wirklich, wie ich auch Sätzer schon mitteilte, der diesen Text ebenfalls völlig verkannt hat, dass nun eine Anmerkung fällig wird. Mensch Leute, nehmt Euch mal nicht so furchtbar ernst und was die Komik bzgl. der Ukulele anbetrifft, warum bist Du Dir da so sicher, dass sie unfreiwillig ist, Dieter, warum bist Du Dir überhaupt so sicher in Deinen Behauptungen, von wegen "Der Autor bemühte sich redlich", ziemlich heftig auch, Georg Heym als Vergleich anzuführen, mit Verlaub, leidest Du vll. an einer Form von Größenwahn? Also ich käme niemals auf den Gedanken, Deine Kritik hier mit der von Marcel Reich-Ranicki zu vergleichen, ebenso wenig, wie ich Deine Gedichte an denen eines Hölderlin oder Hardenberg messen würde. 😄

 Dieter Wal meinte dazu am 22.07.20:
Ich bestehe darauf, dass Du meine Kommentare nur mit Marcel Reich-Ranickis vergleichst! Shit, weshalb denken eigentlich alle, Marcel Reich-Ranicki hätte "Mein Leben" geschrieben und nicht Dieter Wal? Wurst. Ich bestehe entschieden darauf, "Mein Leben" zur absoluten Pflichtlektüre an deutschen Schulen zu machen. Einmal, um dadurch ein vielleicht exemplarisches Leben der jüngeren deutschen Geschichte mit Aufstieg und Fall des Dritten Reichs zu begleiten, ein andermal, die darin enthaltenen Roman- und Dramentipps wenigstens in ihrer Zusammenfassung zur Kenntnis zu nehmen. Wer seine erbärmlichen Verse nicht wenigstens an Georg Heyms misst, sollte sein Geschreibsel magnetisieren und sich eine neue Betätigung suchen. Denn Lyrik ist nix für Weicheier, sondern für die Harten im Garten.

Antwort geändert am 22.07.2020 um 08:52 Uhr
Aha (53) meinte dazu am 22.07.20:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 FrankReich meinte dazu am 22.07.20:
Na, ihr seid ja drauf, aber egal.

Antwort geändert am 22.07.2020 um 18:01 Uhr

 Dieter Wal meinte dazu am 22.07.20:
"Lyriker ist einer der härtesten Berufe der Welt." Aber sowas von! :)

 Dieter Wal meinte dazu am 25.07.20:
Es geht eben nicht um Vergleiche, sondern die Frage, wie und womit Heym sein Gedicht gestaltet. Dadurch lässt sich viel übertragen.

https://www.projekt-gutenberg.org/heym/gedichte/chap005.html

 loslosch (20.07.20)
ab und an etwas sperrige betonung.

Schleim und Eiter glitscht und gleitet vom Berg in das Tal,

Schleim und Eiter glitscht und gleitet bergab in das Tal,

nicht richtig gut, sondern etwas besser.

Kommentar geändert am 20.07.2020 um 14:32 Uhr

 IngeWrobel meinte dazu am 20.07.20:
... dann will ich aber auch nochmal:

Schleim und Eiter müssten im Plural stehen, insofern ist Lothars Vorschlag nicht wirklich eine abschließende Verbesserung.

Vorschlag:
- Schleim und Eiter glitschen, gleiten bergab in das Tal,/Wiesen, Weiden, Wälder sind schon länger Teil der Qual, -
Dann wären auch die Hebungen wieder rhythmisch...

Gruß, Inge

 FrankReich meinte dazu am 20.07.20:
Vielen Dank Euch beiden, allerdings stört das "bergab" immer noch, aber dazu habe ich schon eine Idee. 😎

 Misanthrop meinte dazu am 20.07.20:
Nein Inge, müssen sie nicht. Spätestens seit Baudelaires Vampir bilden Schleim und Eiter eine lyrische Einheit, ähnlich Hopfen und Malz "ist alles verloren". Loddars Freiheit. Definitiv runder zu lesen als bergab auf der ersten Silbe zu betonen.

Editha meint: abwärts ist schon mal besser.

Antwort geändert am 20.07.2020 um 17:10 Uhr

 Dieter Wal meinte dazu am 20.07.20:
Schleim und Eiter schwabbeln, sacken festlich in das Tal,

Antwort geändert am 20.07.2020 um 17:29 Uhr

 FrankReich meinte dazu am 20.07.20:
Dieter!!! 😂

 loslosch meinte dazu am 20.07.20:
jung und alt hat sich (haben sich?) mehr oder minder erfolgreich an der sog. kongruenz abgearbeitet.

ps: ich wollte auch noch mal!

 loslosch meinte dazu am 21.07.20:
die nachgeschobene anmerkung passt!

von meinem kollegen, der früh seine frau verlor und sehr darunter litt, erfuhr ich, seine chefin habe ihm sehr schräg kondoliert, etwa so: ich leide mit Ihnen, herr Engel und erinnere mich jetzt an den tod meiner mutter."

 eiskimo (20.07.20)
Ein echtes Schlachtfest. Dagegen ist der reale Krankenhaus-Tod zwar auch schön tödlich, aber total langweilig.

 FrankReich meinte dazu am 20.07.20:
Wie jetzt, es gibt noch Krankenhäuser, die keiner Schlachtbank gleichen? Was die hier machen, um ihre Patienten am Leben zu erhalten, ist zwar auch tödlich, aber so schmerzhaft, dass Du garantiert nicht an Langeweile stirbst.
Sätzer (77)
(21.07.20)
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 FrankReich meinte dazu am 21.07.20:
Danke, mein Lieber, allerdings sollte der Text mehr ein Abstraktum
darstellen, ich glaube, dass es wirklich an der Zeit ist, eine Anmerkung dazu zu liefern.
Ciao, Frank
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