Die verfluchten Johannisbeeren

Anekdote zum Thema Erlösung

von  EkkehartMittelberg

Jetzt reifen sie wieder und erinnern mich an meine Jugendzeit, in der sie mir viele missmutige Stunden bereitet haben.
Wir hatten in unserem Garten wohl zwanzig breit ausladende Johannisbeersträucher mit roten und schwarzen Beeren. Das war in den Nachkriegsjahren ein sehr wichtiges Kapital für den Vitaminhaushalt. Aber was scherten mich damals Vitamine. Im Juli und August lockten die kostengünstigen Schwimmbäder, auf die ich so manches Mal verzichten musste, weil mir meine Eltern zugedacht hatten, die Johannisbeeren zu ernten, die einfach kein Ende nehmen wollten. So quetschte ich mich ärgerlich zwischen die Sträucher und kam meistens von dem Saft der Beeren verschmiert wie ein Indianer mit Kriegsbemalung aus ihnen hervor. Da schwor ich mir erbost, dass, sollte ich einmal einen Garten besitzen, in ihm keine Johannisbeeren geduldet würden.
                                                        Nun habe ich einen eigenen Garten, der weitgehend nach den Vorstellungen meiner Frau gestaltet wird. Die liebt Johannisbeeren in verschiedenen Formen der Verarbeitung. Dieser Tage kamen wir aus dem Urlaub zurück, in dem unsere Gestaltungwünsche gut eingespielt harmonieren.
Doch äußerte sie gestern abend nach Inspizierung des Gartens, sie habe einen Wunsch, ich möge ihr  beim Ernten der Johannisbeeren behilflich sein. Ich erzähte ihr blumig meine Jugenderinnerungen an diese und lehnte ihre Bitte rigoros ab.
Meine Frau kennt aber ihren Pappenheimer, nämlich mich, und schweigt in solchen Situationen lächelnd.
Heute morgen pfiff ich scheinheilig ein Liedchen und bot ihr scheinbar gut gelaunt meine Hilfe an. Die Zeit verging beim Pflücken schneller als ich dachte und dann, als ich gerade sagen wollte, dass morgen auch noch ein Tag sei, meinte sie schmunzelnd: „Mit dem Rest tun wir ein gutes Werk und überlassen ihn den Vögeln.“ „Die sind auch viel geschickter“, sagte ich, „sie schaffen die Ernte, ohne sich zu bekleckern.“

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Kommentare zu diesem Text


 Regina (31.07.20)
Meine Mutter war schlau. Wir durften Beeren ernten, wir mussten nicht. So taten wir es gern. Aber mein Vater fasste die Ernte nicht an.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 31.07.20:
Merci, Gina, diese Taktik hat bei mir auch eine Zeit lang funktioniert. Angesichts der Massen von Johannisbeeren durchschaute ich sie aber schnell.
Liebe Grüße
Ekki
Sätzer (77)
(31.07.20)
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 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 31.07.20:
Danke, Uwe, das stimmt. Wenn sie einem zuwider sind, wird der Widerstand jedesmal geringer.
LG
Ekki

 regenfeechen (31.07.20)
Das erinnert mich an viele Erntestunden in meiner Kindheit, wir waren aber viele und hatten Spass dabei

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 31.07.20:
Grazie, regenfeechen, ja, wenn die Arbeit von vielen geteilt wird, kommt man nicht aufr die Idee, dass es anderen besser geht.

 Moja (31.07.20)
Mit eine Schmunzeln gelesen, lieber Ekki!
Ich liebe ja Johannisbeerkonfitüre, dafür würde ich auch schier endlos pflücken.

Lieben Gruß,
Moja

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 31.07.20:
Spassibo, Moja, schade, dass wir uns nicht schon damals kannten. Liebe Grüße
Ekki

 Borek (31.07.20)
Hallo Ekki, ja was ist mit der Natur? Den Kirschen fehlt die
Süße, sodass nicht einmal die vielen Vögel in unseren Garten die
Bäume plündern, den Himbeeren fehlt das Aroma und schmecken
wie ein trockener Lappen. Es ist von Jahr zu Jahr eine Veränderung
der Natur festzustellen Und auch die Johannisbeeren sind nicht
so saftig wie einst. Vitamine hat mir 3 Tabletten täglich
mein Arzt verschrieben. Dabei hätten wir einen riesigen Garten.
Gern gelesen und lieb Grüße
Borek

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 31.07.20:
Danke, Borek, ja es stimmt, dass der Verlust natürlichen Aromas Obsternten nicht mehr so attraktiv macht, wie sie es für manchen einmal waren.
Liebe Grüße
Ekki

 AchterZwerg (31.07.20)
Am lustigsten ist die Sache mit der "Erlösung."

Die Interpretin erkennt, dass es sich beim erhofften Wegfall der Beerenernte ähnlich verhält wie mit dem (vergeblichen) Warten auf den Messias.
Gut, wenn einem ein mitleidiges Weib zur Seite steht!

Liebe Grüße
Piccola

Kommentar geändert am 31.07.2020 um 11:23 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 31.07.20:
Gracias, Scherzosa, der Vergleich mit dem Messias hat mir ein gut gelauntes Lachen entlockt.
Liebe Grüße
Ekki

 AZU20 (31.07.20)
Wir mussten mit einer Kanne beladen zu den Früchtem im Berg pilgern. Dort pflückten wir, bis die Kanne voll war und wir vor lauter Müdigkeit den Berg nur noch hinunterstolpern konnten. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 31.07.20:
Danke,Armin, das kenne ich auch. es hat mich weniger geärgert, weil sich auch andere Kinder dieser Mühe unterzogen.
LG
Ekki
Al-Badri_Sigrun (61)
(31.07.20)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 31.07.20:
Grazie, Sigi, wir hatten daheim einen Garten von etwas 2000 m². Du kannst dir vorstellen, in welchem Umfang der meine Freizeit fern von Spielkameraden in Anspruch genommen hat. Ich hätte damals vielleicht den Garten mehr geliebt, wenn er weniger Nutzgarten gewesen wäre. Heute ist unser Garten wiederum sehr groß. Ich hätte nie gedacht, dass ich gerne in ihm arbeiten würde. Alle von dir so verführerisch beschriebenen sinnlichen Reize des Gartens kann ich heute nachvollziehen. Vor allem teile ich mit dir die Erfahrung , dass Gartenarbeit die Seele für kreative Tätigkeit weitet.
Herzlichst
Ekki

 TrekanBelluvitsh (31.07.20)
Wenn du ihm ein, zwei Beerchen hinlegst, wird der Konsequenzgott Nimmermehr Gnade vor Recht walten lassen.

Kommentar geändert am 31.07.2020 um 14:03 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 31.07.20:
Danke, das stimmt. Ich werde ihn deshalb einladen und ihm statt ein zwei Beerchen etliche Bierchen spendieren. :)

 Didi.Costaire (31.07.20)
Hallo Ekki,

jetzt hast du dir den Freibadbesuch aber wirklich verdient!!!

Viel Spaß und schöne Grüße,
Dirk

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 31.07.20:
Merci, Dirk, das Leben ist so ungerecht. Damals hätte ich öfter meine Apollo-Figur im Freibad präsentieren können. Heute fliegen im Garten die Vögel auf, wenn sie mich sehen. :)
Melancholische Grüße
Ekki

 niemand (31.07.20)
Das ist ja interessant, aber es erinnert mich an meine Kindheit.
Meterweise Johannisbeerensträucher im Garten. Sie mussten gepflückt werden, doch wer sollte sie denn essen? Also ging die Verteilung durch die Verwandtschaft. Oma, Tante etc. Nur die wollten sie schon gepflückt und ich habe das Pflücken gehasst.
Dann durfte ich sie aber auch noch der Sippe in die Wohnung
"schleppen". Einen guten Effekt hatte das, für mich als Kind, denn ich bekam immer etwas dafür, oder ich durfte bei meiner Tante fernsehen. Wir konnten uns solchen Kasten nicht leisten, meine Tante aber doch. " Bonanza" das war was
Aus den restlichen Johannisbeeren [und es waren vieeeele] hat mein Vater Wein gemacht. Ich kann mich noch erinnern, wie ich einmal aus der Schule nach Hause kam, großen Durst hatte, eine Wasserkanne sah von der ich dachte, dass sie einen Saft beherbergt. Und dann habe ich durstig getrunken. Saft war das nicht, aber ich hatte einen in der Krone weil man mir vergas zu sagen was in dem Ding drin war. Das alles habe ich bereits vergessen und durch diesen Text hat es sie wiederbelebt in meinem Kopf Ich mag heute keine Johannisbeeren mehr, aber ich sehe sie mir von weitem gerne an. Sie leuchten so schön rot
Mit lieben Grüßen, Irene

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 31.07.20:
Vielen Dank, Irene. Kennst du den Spruch: " Es ist ein Glück, Im Unglück eine Genossin zu haben." Der gilt selbst rückwirkend.
Es gibt noch eine Parallele in unserer Gartenjugend. Wir haben auch wannenweise Birnen verschenkt an leute, die zu bequem waren, sie sdelbst zu pflücken, geschweige denn sie abzuholen. Ich durfte den Glücksbringer spielen.
Deine Minianekdote mit dem Johannisbeerschnäpschen ist köstlich.
Liebe Grüße
Ekki

 AvaLiam (01.08.20)
Oh - mein lieber Ekki,
da hast du jedes, mir mögliche Mitgefühl...

...wobei ich die roten ja noch ganz toll fand. Da sind wohl mehr in den Schlund, als in den Eimer gewandert. :D

Und Stachelbeeren - was habe ich sie verflucht. Schmerzlich. Und genauso schmerzlich vermisse ich sie heute. (den Mist aus dem Supermarkt kann man ja nicht essen)

Am allerschlimmsten fand ich aber:
Wir mussten als Kinder immer die Holunderbeeren und die Beeren der Eberesche abfummeln - kein Stielchen durfte mehr dran sein - und wenn wir dann unzählige Kilos - einen ganzen Anhänger voll - im Schweiße unseres Angesichts (und vor allem fluchend) fertig hatte, gings zur Kelterei.
Dort standen wir stundenlang an, um unsere Arbeit abzuliefern. Manchmal über 2 Stunden. Jeder Eimer wurde gewogen. Stichprobenartig prüfte man unsere Arbeit, während man die Eimer umfüllte.
Am Ende gab es einen Zettel mit der Gesamtkilozahl.
Man möge nun glauben, wir hätten pro Kilo Geld bekommen.
Doch aber nicht in der DDR. :D

Wir durften uns mit dem Nachweis unserer Arbeit entsprechend der Kiloanzahl Flaschen an Saft aussuchen, den wir KAUFEN wollen - zu ganz "normalen" Preisen, z.B eine Apfelsaftfalsche EVP 1,70 M oder Mehrfruchtnektar EVP 2,40 M.
In der heutigen Zeit unvorstellbar.

Wie du dir vorstellen kannst, haben wir jeden einzelnen Tropfen genossen und zelebriert.

Nur um Holunderbeeren und Ebereschen habe ich, wie du, viele Jahre einen großen Bogen gemacht. :D

Erinnern kann ich mich auch noch sehr gut an den Holundersaft, der ordentlich einfärbte. Ein ähnliches Bild zeichnet sich mir, wenn ich mir Dich im Garten - zwischen den Johannisbeeren - vorstelle. Du hast doch bei der Kriegsbemalung nicht etwa nachgeholfen?
Ich hörte da von einem scheinheiligen Liedchen. :D
Ein Schelm, der böses denkt.

Ich hoffe, die Beeren haben dir trotz aller Erinnerungen gut geschmeckt. Oder gerade weil.

Ein frisch gepflückter Gruß von mir für dich in den Abend. Andrea

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.08.20:
Vielen Dank, Andrea, das ist hoch interessant. Obwohl ich viel Literatur aus der DDR gelesen habe, erfahre ich immer wieder Neues über das Alltagsleben, soeben von dir. Ich wusste nicht, dass an den Obsternten dort auch Kinder systematisch beteiligt wurden und dass man mit deren Entlohnung so knauserig war. Da konnte euch wahrlich der Spaß vergehen, auch wenn ihr im Unglück Genossen hattet.
Du fragst, ob mir die Beeren geschmeckt haebn. Nicht besonders, vermutlich deswegen, weil sie ohne jede Begrenzung überreichlich vor mir lagen.. Doch jetzt im Alter weiß ich den Geschmack zu würdigen, vor allem den süßsauren von Stachelbeeren. Einmal mehr erfreut mich deine Fähigkeit, nahezu jedem Thema neue Nuancen abzugewinnen.
Heitere Grüße an dich in die Erfüllungsstunden des August
Ekki

 AvaLiam meinte dazu am 01.08.20:
Das liegt nur an deinen Geschichten und ihren Vorlagen.

Die holen verschüttete Bilder hervor und erinnern mich an das, was ich selbst beiseite gelegt hatte.
Ich habe dir zu danken

Der Freund meiner Mutter hat Jostabeeren im Garten...auch genannt: Jochelbeere, eine Kreuzung zwischen schwarzer Johannisbeere und Stachelbeere.
Sehr zu empfehlen.

 harzgebirgler (08.09.20)
der klügere gibt nach und packt dann an
womit wohl (d)eine frau meist rechnen kann.

gerne gelesen! mir mundeten übrigens immer nur die schwarzen johannisbeeren!

lg
henning

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 08.09.20:
Vielen Dank, Henning. Du kennst den Nachgiebigen.
LG
Ekki
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