Wo es in einem Knast mal richtig rund lief

Beschreibung zum Thema Gerechtigkeit/ Ungerechtigkeit

von  eiskimo

Die Stadt Autun in Burgund besitzt ein sehr seltenes Relikt aus dem frühen 19. Jahrhundert: Eine „prison circulaire, cellulaire et panoptique“, zu Deutsch: Ein Rundbau-Gefängnis mit dem Durchmesser von 23 Metern, 13 Meter hoch, das auf drei Etagen jeweils die gleiche Zahl und Ausstattung von Zellen hat, alle mit der Tür zum Kreisinneren, welches durch eine Glaskuppel perfekt ausgeleuchtet ist.
Der Architekt dieser Rotunde, André Berthier,  bezeichnet den Bau als „modèle idéal“ für den damals neu konzipierten Strafvollzug, der sich an der Philosophie von Jeremy Bentham orientierte.
Ideal, weil alle Sträflinge zeitgleich dem in der Mitte des Erdgeschosses abgehaltenen Gottesdiensten beiwohnen konnten; ideal auch, weil diese bauliche Anordnung gut und billig zu beheizen war und nicht zuletzt ideal, weil man mit sehr wenigen Wärtern auskam.
Eine runde Sache also, die beweist, dass die Französische Revolution tatsächlich im Strafvollzug die „Bekehrung zum Guten“ voran getrieben hat, modern ausgedrückt: die Wiedereingliederung straffällig Gewordener in die Gesellschaft.
Ob allerdings die Stadtväter von Autun damals André Berthiers Modell aus diesen humanitären Gründen bewilligten, oder ob für sie die Energie- und Personalersparnis den Ausschlag gab,  wird nirgendwo verraten. Jedenfalls ist dieser Rundbau, der bis 1946 als Gefängnis diente,  jetzt wieder sehr im Gespräch, weil er Pate stehen soll für den Neubau von Schulen und Seniorenheimen.

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Kommentare zu diesem Text


 blauefrau (01.08.20)
Das Panoptikum: jeder beobachtet jeden.

 Regina (01.08.20)
Ein Innenhof ist ideal für die Kinderbetreuung. Kein Kind kommt überhaupt auf die Idee, wegzulaufen. Atriumschulen gibt es, nicht unbedingt runde. Geeignete Architektur erleichtert die Lehrerarbeit ungemein. Anregender Artikel. LG Gina

 eiskimo meinte dazu am 01.08.20:
Danke! Architektur kann irre viel bewegen, da pflichte ich Dir bei!
lG
Eiskimo

 AZU20 (01.08.20)
Energie- und Personalersparnis spielt vermutlich auch da eine Rolle. LG

 AvaLiam (01.08.20)
Die Schule, an der ich zuletzt gearbeitet hatte, war quasi auch um einen Hof herum gebaut - dem sogenannten Lichthof. Dieser war mit einem gläsernen Dach geschlossen und erlaubte den Kindern und Jugendlichen auch an kalten und regnerischen Tagen, bei Tageslicht zu spielen und ihre Pausen zu machen. Ebenfalls fanden unter diesem Himmelsdach Veranstaltungen wie tatsächlich auch Gottesdienste oder Verabschiedungen statt.
Selbst Wettlaufen und Rollerfahren war so möglich.

Unsere Kinder waren glücklich und selig - dieser Hof verschaffte ihnen sehr viel Freiraum (wir sprechen von geistig behinderten Kindern, auf die man IMMER ein, besser noch zwei Augen haben sollte).
Wir Erwachsenen hatten alles gut im Blick und konnten so auch bei Personalmangel durch Krankheitsfall o.Ä. einen angemessenen Unterricht gewährleisten.

Ja - das macht schon Sinn, so ein Bau.

LG - Ava

 eiskimo antwortete darauf am 01.08.20:
Toll, was Du da schreibst. Beste Werbung für diese Art Architektur. Ich sehe meine Knast-Geschichte jetzt mit ganz anderes Augen!
LG
Eiskimo

 AchterZwerg (01.08.20)
Ja, das macht Sinn!
So möchte ich auch gern wohnen - mir würde allerdings auch ein Haus in Marrakesch ausreichen. Mit Atriumhof und Wasserspielen selbstverständlich!

*träum

 EkkehartMittelberg (01.08.20)
Der Schluss bringt mich auf den Gedanken, ob Gefängnisse, Schulen und Seniorenheime tatsächlich etwas gemeinsam haben
LG
Ekki

 eiskimo schrieb daraufhin am 01.08.20:
Sicher! Die Bewohner sind nicht ganz freiwillig da. Aber in allen drei Einrichtungen kann auch sehr viel Gutes bewirkt werden.
lG
Eiskimo

 AchterZwerg äußerte darauf am 02.08.20:
Ja,
dafür gibt es viele praktische Beweggründe.
Gern werden solche Institutionen nebeneinander gebaut, um gleichsam eine natürliche Selbstausrottung zu bewirken.

Der8.Ghettozwerg

 Teichhüpfer (01.08.20)
Diese Gefängnisinsel, vielleicht erinnert sich der Eine oder andere an das Zitat eines befreundeten Schrifstellers von mir?
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