Düfte aus meiner Jugendzeit

Anekdote zum Thema Wahrnehmung

von  EkkehartMittelberg

Im Alter neigt man dazu, Erinnerungen an die Jugend zu verklären nach dem Motto: Früher war alles besser. In diesen Fehler verfalle ich hoffentlich nicht, wenn ich behaupte, dass die meisten Gerüche in meiner Jugendzeit intensiver waren. Ich stütze mich dabei auf ein ausgeprägtes Geruchs-Gedächtnis, von dem man sagt, dass es besonders lange nachwirke. Man halte mir bitte nicht entgegen, dass es zahlreiche Zeitgenossen gibt, denen heute mehr stinkt als früher. Von der politischen Geruchskunde werde ich ein anderes Mal berichten.
Meine ersten bleibenden Geruchserinnerungen heften sich an unseren Garten. Sicherlich gibt es auch heute Tomaten, die geschmacklich mit denen aus den Fünfziger Jahren vergleichbar sind. Aber der Duft dieser Tomaten war ungleich intensiver. Meine Eltern brachten sie gerne mit Blattwerk auf den Tisch, damit ihr Aroma sich in seiner ganzen Fülle auswirken konnte. Dieses wurde aber noch von dem unserer kleinen Pfirsiche übertroffen, die ihr feines Odeur selbst nach wochenlanger Lagerung im Keller nicht einbüßten.
Doch gab es damals auch unerfreuliche Beleidigungen empfindlicher Nasen, die mit weniger entwickelter olfaktorischer Technik nicht zu überspielen waren. Ich will den Gestank lieber nicht beschreiben, der entstand, wenn unsere private Kläranlage für die Toiletten entsorgt wurde.
Doch ich berichte gerne von einer Redewendung, die in den Fünfziger Jahren viel häufiger als heute zitiert wurde: „Die oder den kann ich nicht riechen.“ Man hatte nicht das Geld, unangenehme Körperdüfte mit raffinierten Parfums so zu überdecken wie heute. Ich kann mich erinnern, dass ich in der Tanzstunde an einigen Mädchen trotz ihre guten Aussehens wegen ihrer Ausdünstungen schnell das Interesse verlor.
Ein unerschöpfliches Reservoir unterschiedlicher Gerüche bot sich mir an, wenn ich in den Ferien die Bauernhöfe meiner Verwandten auf dem Lande besuchte. Aus heutiger Sicht muss ich mich darüber wundern, dass ich dort für rustikalen Geruch eine weniger feine Nase hatte als zu Hause. In Ostwestfalen oder Niedersachsen geht man durch eine sogenannte Diele oder Tenne, in der sich das Vieh aufhält, nur durch eine einzige Tür in die Wohnküche, in die die Stallgerüche unvermeidlich eindringen.  Aber das störte mich damals nie, wohl deswegen, weil ich mit diesen Gerüchen Ferien assoziierte und sie gerne akzeptierte.
Wen wundert es, dass es auf dem Lande Düfte gab, die sich unauslöschlich in mein Gedächtnis eingegraben haben. Mein damaliges Schlafzimmer wurde durch eine Treppe mit dem Dachboden verbunden, auf dem Säcke mit noch ungemahlenen Getreidekörnern gelagert wurden. Ich konnte nicht genug davon bekommen, wenn ein leichter Luftzug das Aroma des Korns ins Zimmer wehte.
                                                Meine größte Freude war aber der Kräutergarten, den eine meiner Tanten angelegt hatte. Je nach Jahreszeit empfingen mich dort unterschiedliche Düfte, zum Beispiel der liebliche des Veilchens, der würzige des Thymians, der beruhigende von Lavendel, der damals noch seltene von Immortellen, der süßliche von Anis und der belebende von Rosmarin.
Leider ist im Leben nicht gegen jedes Unglück ein Kraut gewachsen. Aber wenn es einem gewaltig stinkt, ist es hilfreich, sich an die Düfte der Jugendzeit zu erinnern und besonders an den einen, lieber Leser, der dich auf die hoffentlich richtige Lebensbahn gelockt hat.

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Kommentare zu diesem Text


 monalisa (07.08.20)
Eine sinnliche Reise durch die Welt der Düfte, lieber Ekki, und ein leicht melancholisch angehauchter Blick zurück. Ob die Gerüche wirklich intensiver, oder nur die Nase sensibler - wer mag das entscheiden. Ist auch nicht entscheidend, viel wesentlicher ist die starke Verknüpfung von Duft/Geruch mit Empfindungen, Gefühlen und Assoziationen. Kaffeeduft etwa signalisiert mir Gemütlicheit, Pause, Geplauder und wohlige Nähe und wirkt gleichermaßen entspannend und belebend auf mich ...
Du hast diese Verknüpfung in deiner Anekdote sehr fein und liebevoll herausgearbeitet.

Liebe Grüße
mona

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 07.08.20:
Grazie, Mona, ja, darum ging es mir, um Düfte/Gerüche als Auslöser von Empfindenungen, Gefühlen und Assoziationen, Hoffentlich wirke ich nicht penetrant, wenn ich noch einmal darauf zurückkomme, dass früber die Düfte intensiver waren. Ich korrigiere mich gerne und sage: die angenehmen Düfte. Meine Vermutung ist, dass sie in den Gärten und in der Landwirtschaft durch chemische Verbindungen überlagert oder kaputt gemacht werden. Vielleicht liest dies ja ein in der Chemie Bewanderter, der uns Auskunft darüber geben kann, ob meine Hypothese stimmt. Freilich wurde schon in den Fünfziger Jahren mit Chemie gesündigt. Damals spritzten viele E605. Das Zeug stank widerlich.
Du verstehst mich sicher, Mona. Vielleicht gelingt es ja durch Abstinenz gegenüber der Chemie alte Düfte zurückzugewinnen.
Liebe Grüße
Ekki

 AchterZwerg (07.08.20)
Guten Morgen Ekki,

das Erstaunliche an Düften ist, dass man sie nicht nur zurückrufen, sondern (über-)deutlich halluzinieren kann. Vielleicht ist es das, was uns eine größere Intensität der Vergangenheit vermuten lässt.
Wenn man - wie ich - in Berlin groß geworden ist, wird das von dir verbreitete Aroma mit einer gewissen Wehmut "geschnüffelt",

aber trotzdem gern
Piccola

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 07.08.20:
Merci Piccola, jetzt erfahre ich, dass uns zwei Fähigkeiten verbinden: Wir können einen unterbrochenen Traum fortsetzen und Düfte halluzinieren. Das ist spannend. Vielleicht entdecken wir noch etwas Drittes. An gedankliche oder emotionale Übereinstimmungen denke ich hier natürlich nicht.
Halluzinatorische Grüße
Ekki

 Moja (07.08.20)
Düfte überraschen mich auch immer wieder, lieber Ekki, besonders durch die bildhaften Erinnerungen, die sich dann einstellen.
Denke ich an meine Kindheit im Berlin der 60er Jahre nehme ich den muffigen Geruch der Gemüsegeschäfte wahr - es roch nach Kartoffeln, Kohl, sauren Gurken, Sauerkraut. Der abgestandene Geruch der alten Treppenhäuser, immer mehr fällt mir dazu ein.

Deine Anekdote zu lesen und darüber nachzusinnen bereitet mir Vergnügen, eine Geschichte führt zur nächsten - und damals, Ekki, dufteten die Tomaten tatsächlich v i e l intensiver!

Lieben Gruß,
Moja

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 07.08.20:
hallo Moja, ich finde unsere Erkenntnis aufregend, dass nicht nur Tiere und Menschen, sondern auch Gebäude Duftmarken setzen. Ich denke gerade darüber nach, wie es wohl in Schlössern gerochen hat, die keine Toiletten hatten?
Ich sende dir harmonische Duftnoten
Ekki
Jo-W. (83)
(07.08.20)
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 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 07.08.20:
Vielen Dank, mein Freund. Über den Duft von Bäckereien und Fischgeschäften könnte man ein Buch schreiben, von Blumenläden ganz zu schweigen. Es ist übrigens unvermeidlich, dass das Personal mit der Zeit den Duft annimmt. Die meisten Dichter gehen damit taktvoll um. Ich kenne nur Romane, in denen Blumenmädchen ein Rolle spielen . :)
Liebe Grüße
Ekki

 AZU20 (07.08.20)
Von Düften könnte ich auch berichten. Ich gebe Dir Recht. Früher war manches viel intensiver. Man musste ja auch nicht alles aus irgendwelchen Verpackungen lösen. LG

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 07.08.20:
Danke, Armin, das mit den Verpackungen ist eine gute Idee. Vielleicht schreibst du mal ein Kurzgedicht "Der eingesperrte Duft".
LG
Ekki

 AZU20 meinte dazu am 07.08.20:
Gute Idee. LG

 Mondscheinsonate (07.08.20)
Ein schöner Text, ich mag sowas. Oder...man geht in den Wald, das ist auch ein Kindheitsgeruch!

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 07.08.20:
Merci, Cori, der Wald ist wohl die größte Schatzkiammer der Düfte. Die Skala reicht von dem modrigen Geruch der Pilze, über die differenzierten Duftnoten unterschiedlicher Hölzer bis zu dem lieblichen Duft von Maiglöckchen.
Liebe Grüße
Ekki

 TrekanBelluvitsh (07.08.20)
Eine interessante Geschichte.
(...) weil ich mit diesen Gerüchen Ferien assoziierte und sie gerne akzeptierte.
Dieses Phänomen ist durch die Psychologie bestätigt worden. Man nennt es "Übertragung". Funktioniert mit allen sinnlichen Eindrücken. Leider auch in die negative Richtung. Aber wenn es in eine positive Richtung geht und gute Erinnerungen wachruft, sollte man es ruhig genießen.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 07.08.20:
Gracias- Wahrscheinlich kann man mi tdiesem Übertragungseffekt Menschen manipulieren.Der Himbbeerduftmörder wäre zum Beispiel der Titel einer Schauergeschichte für dich.

 Graeculus (07.08.20)
Das kommt auch mir so vor. Tomaten, Äpfel insbesondere rochen intensiver. Und der Geruch eines Kuhstalls war stark, aber nicht unangenehm.
Ob die Dinge ihren Geruch oder unsere Nasen ihre Empfindlichkeit verloren haben?
Man müßte einen Hund fragen.
Lebt der Kerl wohl? Läßt sich schwer sagen. Gerade noch saß er auf der Veranda, trank Orangensaft und rauchte seinen Tabak aus Virginia. Er hatte sich dem Meer zugewandt und lachte, wenn er die Möwen anschrie. Jetzt rührt er sich nicht mehr. Er ist abwesend, plötzlich sinnenlos. Es begann mit dem Riechen. Er führte die Zigarette an die Lippen und roch das süßliche Aroma seiner Spezialmischung nicht mehr. Der Orangengeschmack verschwand, und er hatte nur noch klumpiges Wasser im Mund. Dann entglitten Zigarette und Glas seinen Fingern. Die Flüssigkeit ergoß sich über seine Haut, und er spürte weder Kühle noch Feuchtigkeit. Noch ehe die Panik ihn packte, platzten seine Trommelfelle, es wurde still in ihm. Dann sahen seine Augen nicht mehr, es wurde schwarz um ihn. Von außen waren die Schäden nicht wahrnehmbar. Innen war der Mensch leer. Sein Körper war ein Grab geworden. Wer will da noch sagen, ob der Kerl lebt?

Die Sinne sind fünf Drähte, die uns mit der Wirklichkeit verbinden. Fünf Drähte, die uns glauben machen, daß die Welt existiert, und die unseren Fingern die Kraft geben, sich an ihr festzuklammern. Reißen diese Schnüre, dann finden wir uns im Dunkel und in der Schwerelosigkeit wieder, irren wie Astronauten durchs Leere.

Die Sinne sind das Beste, was wir haben. Gerade Künstler und andere Berühmtheiten haben das immer gewußt. Immer gierig auf volle Sinnenkraft übten sie sich in raffinierten Erfahrungen. So dichtete Schiller niemals, ohne vorher lange am Vorrat verfaulter Äpfel gerochen zu haben, den er in der Schublade seines Sekretärs aufbewahrte.
(Jean Paul Dubois: Das Geheimnis der Sinne; in: DIE ZEIT vom 26. Juli 1991)

Kommentar geändert am 07.08.2020 um 18:06 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 07.08.20:
Vielen Dank, Graeculus. Wieder einmal hat mein Trüffelkönig etwas Besonderes erschnüffelt. Die Interessantesten olfaktorischen Wahrnehmungen sind für mich immer noch in Parick Süskinds "Das Parfum" versammelt. Aber damit verrate ich dir bestimmt nichts Neues.
Al-Badri_Sigrun (61)
(07.08.20)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 07.08.20:
Liebe Sigi, für deinen differenzierten Kommentar bedanke ich mich besonders. Ich habe einige arabische Länder bereist und kann von daher ein wenig nachvollziehen, was du über die arabischen Kräuter schreibst. Aber du weißt noch viel besser als ich, dass der Besuch eines arabiscn Parfum-Geschäfts das Non plus ultra ist. Ich habe einmal für meine Frau ein kleines Fläschchen arabisches Parfum gekauft, das sündhaft teuer war. Obwohl der Duft so intensiv ist, dass man ihn in unseren Breiten kaum tragen kann, haben wir den Kauf nie bereut,, weil nur das häusliche Schnuppern an dem Flacon uns in die Stimmung von Tausend und eine Nacht versetzte,
Ich muss aber noch viel über die arabischen Kräuter lernen. Magst du nicht mal einen Text darüber schreiben?
Ich wünsche dir und Siyad bezaubernde Düfte des Orients für das Wochenende.
Herzliche Grüße
Ekk
Al-Badri_Sigrun (61) meinte dazu am 08.08.20:
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Agnete (66)
(08.08.20)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 08.08.20:
Merci, Monika, auf diese Weise kann man sich ein Stück Jugend zurückholen,
LG
Ekki

 AvaLiam (10.08.20)
Geschätzter Ekki,

gern spazierte ich mit dir durch Erinnerungen und Gerüche.

An der ein oder anderen Stelle erfasste mich dann selbst ein kleiner Hauch von wohligen Aromen von Tomaten, Stroh, Korn und Kräutern.
Leider war unser Kinderzimmer auf dem Bauernhof direkt über dem Schweinestall. Ob das Chaos in unserem Zimmer wohl daher stammt? :D
Auch der große Misthaufen war direkt ums Hauseck auf einem eigenen kleinen Hof. Also auch keine Wonne.
Doch wenn wir draußen oder in der Scheune waren - am spielen, toben oder einfach nur die Zeit totschlugen - gab es diesen warmen, leicht süßlichen Geruch von Stroh und auch von Pferden.

Tomaten haben wir in einer schweren Holztruhe gelagert in einer Art Keller. Dort hielten sie sich über Monate.
Auch wenn ich keine essen wollte, öffnete ich mit heller Freude den Deckel. Denn es roch einfach traumhaft in dieser Truhe.
Ähnlich war es mit den eingekellerten Äpfeln und Birnen.

Schade, dass der Geruchssinn selbst mit den Jahren abnimmt und nie wieder im Leben so intensiv ist, wie in der Kindheit und Zeit der Jugend.
So manche Erinnerung würde davon profitieren.

Um an den Schluss deiner Zeilen anzuknüpfen:
Der richtige Riecher ist schon so eine Sache. Da bedarf es einem gut entwickelten Sinn, um festzustellen, ob etwas zum Himmel stinkt oder viel sprechend ist..
Unbestreitbar - selbst mit Deo und Parfüm - gibt es Menschen, die sich einfach nicht riechen können.
Amüsant, wie du diese "kleinen" Randläufer deiner Anekdote mit eingeflochten hast. So lockte trotz diesen heißen Wochenendes mich der Frohsinn.
Ja, so gab es für mich wieder ein Fest der Sinne.

Du bist eben dufte.
Liebe Grüße - Ava.

Kommentar geändert am 10.08.2020 um 11:51 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 10.08.20:
Liebe Andrea, das finde ich ja interessant, dass wir beide so intensive Erfahrungen mit Gerüchen auf dem Lande haben.
Auch mich haben immer die Gerüche der unterschiedlichen Tiere beschäftigt, Besonders lange verweilte ich deswegen vor dem Pferdestall. Es gab nur eine Ausdünstung, die ich unerträglich fand: Hühnerkacke., Meine Cousine und ich mussten die Eier aus dem Hühnerstall holen und haben danach jedesmal die Flucht angetreten.
Über die Düfte von Obstsorten könnte man eine Doktorarbeit schreiben, auch über die nicht veredelten von Schlehen und Brombeeren
Grazie, schön, dass wir uns über den Austauch dieser Erinnerungen die sinnlichen Erfahrungen unserer Jugend zurückrufen können, liebe Freundin
Mirabellengrüße
Ekki

 harzgebirgler (05.09.20)
auch aus ner gerüchteküche
dringen selten wohlgerüche.

tolle anekdote, gerne gelesen.

lg
henning

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.09.20:
Vielen Dank, Henning, das freut mich.
LG
Ekki
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