Ein Anfang

Erzählung

von  minze

Dunja redet mit mir das erste Mal so persönlich. Wir sitzen unter der dem großen Haselnussbaum, zuvor hat sie aus Versehen O-Saft in den Kaffee geschüttet, weil ich Milch in der Flasche habe und O-Saft in der Tüte und ihr Reflex zur Tütenmilch will. Da lachen wir, erleichtert, denn schon vorher ist ihre Stimme seltsam belegt und ich merke, dass sie weinen will. Sie sagt noch etwas davon, dass es doch okay ist, dass Mara jetzt schon ein paar Monate alt ist. Maras Geburt ist zehn Monate her. Dunja war das letzte Mal als Hebamme vor mehr als einem halben Jahr da. Ich schließe nicht aus, sie beim dritten Mal dabei zu haben. Bislang war sie in der Nachsorge da. Mein Verstärkersystem. Weil es so schnell ging mit Mara sagte sie, dass das Dritte vielleicht zu Hause kommt.


Sie hat das erste Mal ein Kind verloren unter der Geburt. Beckenendlagen sind nicht so selten, aber in dem Fall war der Kampf im Geburtskanal so lange, so mühselig und ging schlecht aus. Letztendlich haben sie versucht, das Kind per Sectio zu holen. Ob da das Kind schon verloren war, ob da die Mama narkotisiert werden konnte – wohl nicht. Das Kind war unterversorgt und schon bläulich. Dunja ist ganz leise. Sie sind oft bläulich, das ist gar nicht selten. Blau-grau. Die Mutter in den OP und Dunja dabei, als dann klar ist, wie es ausgeht, beim Vater. Als der klarer wird, zu den nächsten Geburten. Die Tage und Schichten darauf auch und so weiter. Es hätte natürlich Zeitpunkte vorher gegeben, da hätte man auf Sectio umschwenken können, gleich. Es gibt auch Ärzte, die noch erfahrener mit Beckenendlage sind, dieser hatte aber auch schon Beckenendlagen entbunden. Dunja war nicht alleine unter der Geburt. Aber dass sie unter ihrer Hand spürt, dass es schiefgeht, dass da ein Moment ist, an dem es nicht zurückgeht und doch muss, das prägt sie jetzt. Sie fiebert auf diesen schlimmen Moment hin, wenn sie wieder in den Kreißsaal geht. Sie denkt an diesen Moment. Sie arbeitet schon so lange in dem Beruf, sie will nicht, dass sie jetzt falsche Reflexe bekommt. Ihr Mann ist Installateur, er renoviert gerade die Dachgeschosswohnung eines denkmalgeschützten Hauses. Er hat kein Verständnis. Ich bin beklommen. Ich frage, wie sie es als Kolleginnen handhaben. Sie suchen nach einer Supervision, sind an den Coach geraten, den ich mal aufgesucht habe. Ich fand ihn gut. Er ist ein bisschen orientierungslos mit einem Frauenhaufen, der erschöpft, emotional und unstrukturiert lamentiert. Irgendwie geht es da noch mehr um Dienstpläne, um Bedingungen, aber Dunjas Geschichte, die eine von vielen Geschichten ist, treibt sie alleine um und sie nimmt sie mit in neue Geburten. Neue Geburten legen sich auch um die Geschichte, aber ihre Sicherheit, ihre Routinen und vor allem Gefühl und Intuition sind verletzt. Ich finde es gut, mit dir zu sprechen, sagt sie. Vielleicht, weil bei mir Intuition und Gefühl dominierten und ihr Versprechen einlösten, direkt am Anfang. Sie beginnt auch mit ihrer Schilderung über diese Geburt, nachdem ich ihr noch einmal sage, wie gut es war, dass sie meine Intuition immer gestärkt hat, dass sie ihre Hände bei sich ließ und mit ihrer Wärme mein Tun unterstützte.


Ich habe ihr beschrieben, wie Samantha, die Hebamme bei Joschas Geburt, so durch einen seidenen Faden, durch einen unbewussten Scheinwerfer durch den Nebel der Ekstase, der Wehen, immer sichtbar, immer spürbar war für mich. Eigentlich waren die Scheinwerfer, der warme Lichtstrom, ihr Atem, der sich mit meinem verbunden hat, der mich immer weiter hat atmen und machen lassen. Es ging lange mit Joscha. Sein Herz war ruhig, erstaunlich ruhig, so lange, wie er im Geburtskanal war. Ursprünglich heißt es ja, dass das der letzte Part ist, also dachte ich an drei bis vier Wehen in dieser absoluten Enge. Das Eröffnen ist der Stundenmarathon. Aber mein Reinfinden war absolut und das Atmen blieb stark, das blindvertraute Ausliefern an diesen wahnsinnig schönen Öffnungsschmerz. Ich habe während der Stunden der Eröffnungswehen mich nirgends halten können, mein Körper war zum Zerspringen gespannt und so waren’s meine Finger, die aufgestellt an Schränken, an der Fensterbank eine Verbindung zur Erde gesucht haben, meine Füße schienen schon wie abgehoben und andauernd war Samantha wie ein stiller Tanzpartner, wie ich da am Tänzeln, am mich Biegen und Drehen und Aufgehen in dieser Körperlichkeit war – eigentlich war ja ich diejenige die führte und doch war sie die, die mir auch Halt gab oder anders herum: führte sie mich und ich gab mich hin? Konnte sie durch eine sanfte Führung meine Hingabe halten? In ihrem Scheinwerfer war alles gut, was kam und als ich mehr bei Sinnen war lachten wir drüber, dass ich ja ursprünglich keine Wassergeburt gewollt hatte, aber sie nur noch mit Unterlagenwechseln beschäftigt war, so beständig lief und triefte und wollte alles aus mir heraus. Ich fand das eine sehr schöne Erfahrung. Alles loszulassen. Alles hergeben zu können. Und ihre Freude darüber und das Kichern über die Frequenz des Lakenwechselns öffneten mich weiter. Sie schaute unten, Yann war oben, bei meinem Gesicht, meinen zielgerichteten Wünschen, Blicken, meiner verschwitzen Stirn. Ich drückte meinen Kopf gegen seine Brust. Er musste nur ein paar Codes lesen und hören, er rannte als DJ zum CD-Player, versorgte mich mit Waschlappen, Wasser, sich mit Zigaretten, wenn ich ihm Pausen bedeutete. Samantha sagte nach der Geburt, dass es immer wieder vorkommt, dass die Presswehen lange dauern. Ich habe diesen Schmerz anders gut empfunden. Das Öffnen zog aus mir alles heraus, machte Platz, exponierte meinen Körper, meine Vagina in eine absolute Offenheit, verzerrte, barst jedes Zumachen, Schützen wollen, ich konnte auch keine Berührung Yanns zulassen, weil ich mich veräußerte – und das Pressen war ein Druck, ein Hinarbeiten zum Druck, ein sich Beugen, Dehnen der letzten Möglichkeiten, ein In-sich-platzen-können, ein sich Verlieren in einem großen Platzen. In den Presspausen fiel ich in einen Sekundentiefschlaf und der war so angenehm, dass ich unbegrenzt Kraft sammelte für die nächsten Wehen. Die aber zu kurz waren, über die ich hinweg pressen musste, so gut und stark das ging, da sie zu schnell abflachten. Tiefschlaf und sich Überwältigen im Minutenwechsel, wie verrückt meine Modi waren. Schließlich fasste Samantha an meinen Damm, mit einem feuchten Tuch, was brutal meinen wunden Punkt verletzte. Den, der zerspringen wollte. Um mir zu zeigen, wo ich hinmusste. Mein Vertrauen war gewachsen. Platzen. Lassen. Immer war Joscha der Grund. Immer war Joscha der Antrieb. Immer machte er mit und ging und ging seinen Weg und immer beruhigte ich ihn, weil er es nicht wusste, weil er nicht wissen konnte, wozu und er nur seine Intuition haben konnte und ich ihn voll ausstatten und auskleiden wollte mit meiner Liebe, meinem Gefühl, dass er behutsam durch dieses Platzen kommt, dass er aus mir bricht und zu mir kommt.

Erst jetzt, als ich mit Dunja über Komplikationen spreche, da wird mir bewusst, dass dieses fast dreistündige Verweilen von Joscha in meinem Geburtskanal auch gefährlich hätte sein können. Es ist immer eine kritische Situation. Ich werde gewahr, dass es hätte anders ausgehen können. Samantha und die Ärzte haben aber gesehen, dass er ruhig war, er hatte ein cooles Herz. Die Ärztin meinte zu mir, dass Jungs typischerweise schlafen, auch wenn die Mutter völlig in Schmerzekstase sei. So war es. Sie lag richtig mit seinem Geschlecht. Es geht mich seltsam an, auf einmal einen verletzlichen Blick zu haben. Zumal das Kind, was gestoben ist, sich ähnlich verhakt hat wie Joscha. Sein Kopf war bereits geboren und er war mit seinen Schultern verhakt. Alle waren hektisch und drehten und rüttelten und saßen auf mir und sprachen wenig. Wo zuvor noch Einigkeit herrschte, dass sie sämtliche Hilfsmittel außen vorlassen, weil ich’s so wollte. Sie hatten mir einiges angeboten. Ich hab‘s ausgeschlagen. Sie würden das schaffen. Das sagte die Ärztin nach der Geburt, dass sie das gemerkt habe. Sonst hätten sie die Glocke genommen.

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Kommentare zu diesem Text

PowR.TocH. (58)
(07.08.20)
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 minze meinte dazu am 07.08.20:
Dankeschön. freu mich, dass du ihn empfehlenswert findest.

 Dieter_Rotmund (09.08.20)
Ich finde es persönlich gruselig, wenn Protagonisten einer Erzählung einzig durch ihre Krankengeschichten charakterisiert werden. Rein handwerklich jedoch gut gemachter Text.

 minze antwortete darauf am 09.08.20:
Krankengeschichte.boah

 Dieter_Rotmund schrieb daraufhin am 09.08.20:
Nur ein sinnverwandter Hilfsbegriff, mir ist auf die Schnelle kein besserer eingefallen. "Niederkunfts-CV"? "Geburts-Legende"? "Fortpflanzungs-Bulletin"? Alles Mist.

Ein Boah auch von mir.

 minze äußerte darauf am 09.08.20:
Geburtslegende!!!!

 Dieter_Rotmund ergänzte dazu am 09.08.20:
Im Sinne von "romantisierend-verklärende, leicht pathetische Erzählung" ? Ja, würde passen.

 minze meinte dazu am 09.08.20:
"Alles Mist"
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