Abwarten

Kurzprosa

von  BeBa

Ich stehe unter Arrest. Darf die Wohnung nur verlassen, um mich behördlich zu melden. Seit drei Wochen jetzt, und über die Dauer der Maßnahme wurde ich noch nicht aufgeklärt.
Abwarten, sagen sie, wenn ich den täglichen Besuch auf dem Amt antrete. Mit diesem Abwarten auf den Lippen schauen sie auf meinen Ausweis, jeden Tag aufs Neue, als wäre ich das erste Mal hier. Dann reichen sie mir das Formular, das ich draußen im Gang mit den Daten zu füllen habe, die vom Ausweis abzulesen sind. Setze mich dazu ans Ende der Reihe von Leuten, die ebenfalls die Daten ihrer Ausweise in ein Formular übertragen.
Irgendwann sitze ich wieder in diesem Büro. Ihre Blicke gehen hin und her zwischen Formular und Ausweis, den sie zum Zwecke des Abgleichs erneut von mir verlangt haben.
Mit jedem Tag spüre ich sie mehr: Die Furcht davor, ich könnte mich verschrieben haben. Ein neues Formular wäre die Folge, das draußen auszufüllen ist. Und dann wieder das Warten, bis man vorgelassen wird.
Aber sie nicken! Legen das Formular auf den vor ihnen liegenden Stapel, geben mir den Ausweis zurück und raten zum Abwarten.
Es ist nach Mittag, als ich zuhause im Hausflur meinen Nachbarn treffe.
„Was haben sie gesagt?“, fragt er.
Abwarten!“, antworte ich, doch er ist schon fort.
Bei ihm sind es mittlerweile drei Monate. Mit der Vergünstigung, dass er sein Formular für den nächsten Tag vorab ausgehändigt bekommt, womit er nur einmal in der Warteschlange sitzt und erst am Nachmittag erscheinen muss. Solange er gewissenhaft vorarbeitet!
Ich stehe am Fenster und es dunkelt, als er mit seinem Zettel in der Hand heimkehrt.
Es wird schon, sage ich mir, wenn wir nur abwarten.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

Aha (53)
(06.09.20)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 BeBa meinte dazu am 06.09.20:
Danke dir, Aha. Und das "kafkaesk" kann doch nur ein Lob sein ...

LG
BeBa

 AchterZwerg antwortete darauf am 06.09.20:
Das wollte ich auch sagen, Aha, muss also irgendwie auf der Hand liegen ...

 DanceWith1Life (06.09.20)
Manchmal weiß ich nicht, wie ich mit Literatur imgehen soll. Soll ich den Text gut finden, weil er etwas gut darstellt oder schlecht finden, weil das Beschriebene eigentlich eine Katastrophe ist.

 BeBa schrieb daraufhin am 06.09.20:
Tja, das ist (d)ein Problem ...

LG
BeBa

 eiskimo (06.09.20)
Beklemmend. In mir war sofort das Gefühl von Ausgeliefert-Sein wach, das mich in deutschen Amtsstuben beschleicht....
Bürokratie kann wie ein Monster sein.
lG
Eiskimo

 BeBa äußerte darauf am 06.09.20:
Danke, Eskimo. Du hast es passend ausgedrückt.

LG
Beba

 EkkehartMittelberg (06.09.20)
hallo Beba,
obwohl Bürokratie eine Notwendigkeit ist, pervertiert sie immer wieder ins Kafkaeske. Das stellt dein Text gut dar.
LG
Ekki

 BeBa ergänzte dazu am 06.09.20:
Danke, Ekki.

LG
Beba
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram