1968

Text zum Thema Erinnerung

von  Hartmut

Betriebsbesichtigung  bei Ford in Köln: Du beobachtest wie eine junge Frau am Fließband den Raum zwischen Außenblech und Fenster mit Moosgummi ausfüllt. Sie hat dafür zwar ein Werkzeug, aber meist benutzt sie ihre Fingerkuppen. Du bleibst eine Weile stehen. Plötzlich schaut sie dich an und zaubert ein Schild hervor: Füttern verboten!

Semesteranfang im Herbst. Der Rektor der Hochschule erwähnt in seinem Festvortrag Rilkes Gedicht „Der Panther“. Seine Magnifizenz - so lässt er sich anreden - groß, schlank, weißes Haar, ein attraktiver Mann flüstert ihm seine Freundin zu, spricht davon, dass die Jugend das Recht hätte, die Stäbe zu sprengen, der Entzug der Freiheit wäre auch ein Entzug der Wahrheit. Ein linksliberaler Hochschullehrer streitet für mehr Demokratie.     
Die Wahrheit über ihn kam erst kurz vor seinem Tod ans Licht. Nach dem Krieg hatte er eine neue Identität angenommen. Er, ein Hauptsturmführer, gehörte zum persönlichen Stab des Reichsführers der SS, pries den Rassenwahn. Die Täuschung war perfekt. Intelligent, eloquent und skrupellos nahm er mit neuem Namen die Ehrungen an.
Nach dem Vortrag  gehen sie noch „Zum Griechen“ schräg gegenüber, bestellen Schafskäse mit Oliven für 2,50 DM. Der erste Herbstnebel in diesem Jahr. Sie sucht seine Hand, gehen nach Hause und lieben sich.

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Kommentare zu diesem Text

buchtstabenphysik (25)
(07.09.20)
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 Dieter_Rotmund meinte dazu am 08.09.20:
Ich muss auch rätseln. Fensterherstellung am Fließband?
Sätzer (77)
(08.09.20)
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