06 - Gelbe Vögel

Erzählung zum Thema Aufwachen

von  TassoTuwas

Dieser Text ist Teil der Serie  Ferne Lichter so nah.
Das Glas war gut gefüllt. Robert hielt es gegen das Licht, schwenkte er vorsichtig, bis sich durch die helle Bernsteinfarbe die ersten Schlieren zogen, dann führte er es langsam geradezu feierlich zur Nase. Mit geschlossenen Augen sog er das süßlich würzige Aroma tief ein, hielt den Atem an und nahm den ersten kleinen Schluck.
Es war ein wunderbar weicher, intensiv malziger Speyside-Whiskey. Er nickte zufrieden, genau richtig zu einem einmaligen Ereignis.
Mit dem zweiten Schluck lehrt er das Glas fast bis zur Hälfte. Er griff noch einmal nach der Flasche, strich nachdenklich den letzten Staub von dem Etikette, "Zwanzig Jahre" war darauf in geschwungenen Lettern zu lesen. Zwanzig Jahre, ging es ihm durch den Kopf, plus die zehn Jahre im Kästchen, machten zusammen dreißig Jahre. Ich bin um einiges älter, Doro um das gleiche jünger, ging´s ihm durch den Kopf. Vielleicht war alles nur ein Zahlenspiel, das damals angefangen nun eine Summe ergeben hatte.

Auf der Industriemesse war sie ihm aufgefallen. Robert musste lächeln, aufgefallen, ins Auge war sie ihm gesprungen, Eine von einem Dutzend Standhostessen, alle in einheitlich gelben Kostümchen, mit gleichfarbigem, fesch geknoteten Halstuch. Wie große freundliche Kanarienvögel umflatterten sie dienstlich neugierige Herren. Eine von vielen Gleichen und doch, das war ihm sofort bewusst, ganz anders.
Sie hatte ihm unverbindlich lächelnd die besonderen Vorzüge der neuen Produktreihe geschildert, die vielfachen Anwendungsmöglichkeiten betont, auf das wirklich erstaunliche Preis-Leistungs-Verhältnis hingewiesen, die herausragenden Unterschiede dieser hochmodernen Technologie gegenüber allen Wettbewerbermodellen hervor gehoben. Er hatte zugehört, ab und zu genickt, aber hauptsächlich sie angeschaut.
Die technischen Einzelheiten waren ihm einerlei. Genaugenommen interessierte er sich nicht einmal für die auf diesem Stand präsentierten Automaten, er war wegen völlig anderer Dinge auf der Messe und nur durch einen Zufall in diese Halle geraten. Ihre Stimme, ihre Bewegungen hielten ihn fest. Sie drückte ihm das Werbematerial in die Hand. Er ging.

Drei Stunden später war er wieder zurück und obwohl reger Betrieb auf dem Stand herrschte hatte er sie schnell erspäht. Sie führte ein Gespräch mit zwei Herren. Er stellt sich etwas abseits und beobachte aus der Entfernung das Geschehen. Ein gelber Vogel flatterte heran, formte den Mund zum Schnabel und flötete ihn an, "Nein danke...", sagte er lächelnd und, "...ich warte!".
Die beiden Herren waren entweder von besonders langsamer Auffassungsgabe oder wollten alles ganz genau wissen. Es dauerte. Es störte ihn nicht, im Gegenteil, es bereitete ihm Vergnügen sie aus der Ferne zu beobachten. Als den beiden Herren die Fragen ausgegangen waren und sich verabschiedeten, trat er mit schnellen Schritten auf sie zu.
"Einige Dinge sind mir nicht ganz klar geworden, vorhin, sie erinnern sich?" Auf ihrem Gesicht zeigte sich eine Spur Unsicherheit, aber nur für einen winzigen Moment.
"Wenn sie mir das noch einmal erklären könnten?"
"Oh...",sagte sie mit einem bezaubernden Lächeln "...natürlich gern. Also, das Besondere an...

Er war sich längst darüber im Klaren, was das Besondere auf diesem Stand war. Sie sprach vom günstigen Einsteigermodell, doch er dachte, es gibt Dinge, da sollte der Preis keine Rolle spielen. Sie sprach vom geglückten Design und er taxierte dabei ihre Figur. Sie sprach von Bedienerfreundlichkeit und er stellte sich ein Rendezvous mit ihr vor. Er ließ die technischen Einzelheiten an sich vorbei rauschen. Es war der Klang ihrer Stimme, der ihn in den Bann zog. Als sie eine Atempause machte, murmelte er, "Wirklich reizend, ausgesprochen charmant". Sie sah ihn verständnislos an. Funktionell, Raum sparend, technisch interessant, oder auch leistungsstark und allen Anforderungen gerecht werdend, konnte man den Automaten XK 14-40 nennen, aber so?
Augenblicklich wurde ihm die Ungereimtheit seiner Worte bewusst. Er bedankte sich, sagte etwas von einem Termin, den er fast vergessen hatte und war in der Menge verschwunden.

Kurz vor Messeschluss tauchte er wieder am Stand auf. Die meisten Besucher drängten zu den Ausgängen, nur noch wenig Betrieb herrschte auf den Ständen. Einige der gelben Vögel stand in einer kleinen Gruppe beieinander, der Rest war mit Aufräumarbeiten beschäftigt, sie sortierte Flyer in ein Regal.
"Ich habe da noch ein paar Fragen", sagte er als er schräg hinter ihr stand. Sie sah ihn betrübt von der Seite an.
"Ich werde einen unserer Fachverkäufer holen, der kann ihnen alles ganz genau und viel besser erläutern, einen kleinen Moment bitte!"
"Nein, nein...", sagte er schnell, noch bevor sie davon eilen konnte, "...da hilft kein Fachverkäufer, es handelt sich auch nicht um diese wahrscheinlich ganz tolle Maschine. Es geht vielmehr darum, dass ich hier den ganzen Tag unterwegs war, und nicht einmal Zeit für einen kleinen Imbiss hatte, kurz  gesagt, ich leide Hunger und weil es besser schmeckt und auch viel gesünder sein soll in Gesellschaft zu essen, wollte ich sie fragen?"

Er hatte eigentlich die ganze letzte Stunde nichts anderes getan, als an diesem Satz zu basteln und nun war er heraus, und er stand da und sah sie an.

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Kommentare zu diesem Text


 ViktorVanHynthersin (10.09.20)
Vielleicht gibt es für diese Art Sätze eine Bastelanleitung oder ein youtube - Filmchen!? Deine Sätze sind auch ohne Anleitung prächtig gelungen. Gerne gelesen.
Herzlichst
Viktor

 TassoTuwas meinte dazu am 10.09.20:
Hallo Viktor,
ich bin mir sicher, auch du hast einen Werkzeugkasten und Erfahrungen mir der Bastelei.
Meinen 17zehner Maulschlüssel muss ich regelmäßig ersetzen
Herzliche Grüße
TT

 Moja (10.09.20)
Zauberhafte Geschichte!

Heitere Grüße,
Moja

 TassoTuwas antwortete darauf am 10.09.20:
Vielen Dank Moja,
Das freut

Liebe Grüße
TT

 EkkehartMittelberg (10.09.20)
Gleichgültig,in welchem Genre du schreibst, mein Freund, dein Witz kommt immer wieder durch, so zum Beispiel hier: "Sie sprach vom geglückten Design und er taxierte dabei ihre Figur. Sie sprach von Bedienerfreundlichkeit und er stellte sich ein Rendezvous mit ihr vor."
Herzliche Grüße
Ekki

 TassoTuwas schrieb daraufhin am 10.09.20:
Ekki, die wahre Kunst ist zu erkennen, was man nicht kann, und dann tunlichst die Finger davon zu lassen.
Ich will an dieser Stelle gar nichts von Scheitern meiner Karriere als Trauerredner erwähnen.
Herzliche Grüße
TT

 AZU20 äußerte darauf am 11.09.20:
Ich kann mich Ekki nur anschließen. Sehr gern gelesen. LG

 TassoTuwas ergänzte dazu am 11.09.20:
Herzlichen Dank!
LG TT

 susidie (10.09.20)
Ach wie schön beschrieben, lieber TT.
Da möchte man doch gleich ein gelber Kanarienvogel sein
Aber nur der eine.
Herzlichst, Su :)

 TassoTuwas meinte dazu am 10.09.20:
Hallo Su,
die Chancen stehen nicht schlecht für dich.
Durch deine Indienerfahrungen ist dir die Inkarnation doch nicht fremd.
Ich weiß nur nicht, ob man auch als das wiedergeboren wird, was man auf dem Wunschzettel angekreuzt hat
Aber jetzt bist du erst mal hier und das ist gut so!

Liebe Grüße
TT

 TrekanBelluvitsh (10.09.20)
Wenn das wirklich der Satz war, an dem er eine Stunde herumgebastlet hat, dann: Chapeau! Das unfallfrei über die Lippen zu bringen ist schon eine Leistung an sich.

 TassoTuwas meinte dazu am 11.09.20:
Im entscheidenden Augenblick hat sich der gute Robert, in seiner Aufregung, natürlich nicht an die überzeugendst erarbeitete Text-Version gehalten!
Könnte entscheidend gewesen sein.
TT

 plotzn (10.09.20)
Ich weiß nicht, ob du genauso lange an dem Satz herumgebastelt hast, Tasso, aber es hat sich gelohnt. Ich verwette meine Goldzähne darauf, dass sie anbeißt...

Mit lieben und erwartungvollen Grüßen,
Stefan

 TassoTuwas meinte dazu am 10.09.20:
Stefan, ich hab den Satz nachgebessert, er ist jetzt nahezu unwiderstehlich.
Aber kann man die Chance ungenutzt lassen, ein Goldgebiss zu gewinnen

Topp, die Wette gilt.
TT
Al-Badri_Sigrun (61)
(10.09.20)
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 TassoTuwas meinte dazu am 10.09.20:
Ach Sigrun,

kann denn eine Frau irren und wenn ja, wie oft?
Die Geschichte wird es zeigen.

Herzliche Grüße
TT

 Didi.Costaire (10.09.20)
Sowas aber auch, jetzt ist die Messe gelesen und doch noch nichts entschieden. Ein klassischer Fortsetzungsroman also...

Liebe Grüße,
Dirk

 TassoTuwas meinte dazu am 11.09.20:
Man soll das Weihwasser nicht zu früh übers Lesevolk schütten, und wer weiß ob der letzte Segen überhaupt erteilt wird?

Das "klassisch" find ich Klasse

Liebe Grüße
TT

 TassoTuwas meinte dazu am 11.09.20:
AMEN

Antwort geändert am 11.09.2020 um 09:21 Uhr
wa Bash (47)
(10.09.20)
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 TassoTuwas meinte dazu am 11.09.20:
Das Ende, wie immer es aussehen mag, wird erst mit dem allerletzten Satz gesprochen!

LG TT

 AchterZwerg (11.09.20)
Kann natürlich sein, lieber Tasso,

dass sie in Anbetracht ihres gelungenen Fahrgestells nur einen Salat ohne Dressing zu sich nehmen wird.
Und dann isses wieder vorbei mit der erotischen Regung ...

ahnt
derhämelnde8.

 TassoTuwas meinte dazu am 11.09.20:
Sollte es zu einem Essen kommen, lieber Zwerg, werde ich dir selbstverständlich die Menuefolge mitteilen.
Insbesondere, denke ich, bist du an einer detaillierten Schilderung des Desserts interessiert

Du kleine Schlingeline
TT

 AvaLiam (09.11.20)
Mein lieber Tasso,

ich selbst habe 23 Jahre an einem bestimmten Satz gefeilt, um auch ja gut genug vorbereitet zu sein, wenn ER vor mir steht.
Ich versuchte mich in Verlegenheit, in Angriff, in Coolness und in totaler Überraschung.
Tatsächlich stand er eines Tages - völlig unvermittelt - an einem Ort auf, an dem ich nicht mit ihm gerechnet hatte und lief meiner Freundin und mir in die Arme.
Und nun rate mal, was ich gesagt habe.

Und du kannst Robert ausrichten: wenn Doro nicht mit ihm essen gehen will - meine Sympathien hat. Ich stelle mich gern zur Verfügung. :-D


Herzlich - Ava

 TassoTuwas meinte dazu am 09.11.20:
Liebe Ava,
von dem, was man sich Schlaues im Kämmerlein ausgedacht hat, woran man gefeilt und gedrechselt hat, ist im Augenblick der überraschenden Begegnung oft nichts mehr vorhanden.
Da bleibt dann nur die spontane Ehrlichkeit, die, selbst wenn sie holpert, Charme und Chance hat
Herzliche Grüße
TT

 harzgebirgler (23.11.20)
auf messen knüpft manch 'messer' gern kontakte
obwohl vorm eig'nen 'schneid' dann scheu ihn packte.

lg
harzgebirgler

Kommentar geändert am 23.11.2020 um 19:13 Uhr

 TassoTuwas meinte dazu am 25.11.20:
Auf Messen kann man vieles messen
sogar die gegenseitigen Interessen

LG TT

 TassoTuwas meinte dazu am 25.11.20:
Auf Messen kann man vieles messen
sogar die gegenseitigen Interessen

LG TT

 TassoTuwas meinte dazu am 25.11.20:
Die ursprüngliche Antwort wurde am 25.11.2020 um 00:49 Uhr wieder zurückgezogen.

 Enni (24.11.20)
Ein Fortsetzungsteil mit Schmunzeleffekt. Toll.
Obwohl ich ein wenig mit Robert gelitten und bis zum Schluss gefürchtet habe, dass er nicht in die Gänge kommt.

Doch nun ist es raus, und nach diesem Cliffhanger bin ich umso mehr gespannt.
Ich hoffe mal sehr, dass Doro ihm ein Ja ins Ohr zwitschert.

Lieben Gruß
Enni

 TassoTuwas meinte dazu am 25.11.20:
Das sind die Momente, da ist man der einsamste Mensch auf der Welt. Höhenflug oder Absturz?
Immerhin sind ja alle guten Dinge drei und wie Robert sich ins Zeug gelegt hat, das sollte doch Wirkung hinterlassen haben!
Es wird sich gleich zeigen

Herzliche Grüße
TT
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