Johannes Calvin - ein Reiseaufenthalt und seine Folgen

Essay zum Thema Gewissen

von  Bluebird

Illustration zum Text
(von Bluebird)
Vielleicht hätte Johannes Calvin 1536  auf sein inneres Gefühl hören sollen. Als er, 26-jährig und schon ein weithin bekannter Theologe, auf einer Reise von Basel nach Straßburg in Genf Zwischenstation machte, suchte ihn der stadtbekannte Prediger Guillaume Farel in seiner Herberge auf. Ohne große Umschweife forderte der ihn auf, in Genf zu bleiben und hier das reformatorische Werk zu unterstützen.
    Calvin lehnte dies zunächst ab, da er Theologe sei und Ruhe für seine Studien und sein Schreiben brauche. Außerdem sei er auch charakterlich für eine  solche Aufgabe nicht geeignet.
  Aber Farel insistierte, er dürfe sich dem Ruf Gottes nicht verschließen und überredete ihn schließlich. Calvin blieb in Genf!

Sogleich machte er sich ans Werk und erstellte eine auf der Bibel gegründete Gemeindeordnung mit strenger Kirchenzucht, die 1537 in den Genfer Katechismus mündete. Dieses strenge Regelwerk, welches unter anderem Tanzen und andere vergnügliche Veranstaltungen untersagte, sollte von jedem Genfer Bürger persönlich unterschrieben werden. Was zu heftigem Widerstand in der Bevölkerung führte.
  Er erhielt ein Predigtverbot und, da er sich nicht daran hielt, wurde er 1538 zusammen mit  Farel aus der Stadt verwiesen.
   
Eigentlich hätte die Geschichte hier friedlich enden können. Man hatte einen Irrtum noch rechtzeitig eingesehen und wieder korrigiert, und sich ohne größeren Schaden wieder getrennt. Aber:

Um jedoch die kirchliche und politische Ordnung zu stabilisieren, bat der Rat der Stadt Genf Calvin 1540 um seine Rückkehr in die Stadt. Der Kurienkardinal Sadolet hatte an die Genfer eine Einladung gerichtet, in den Schoß der römischen Kirche zurückzukehren, und die Genfer wünschten eine schroffe Zurückweisung dieses Angebots, aber mit theologischem Niveau: dazu brauchte man Calvin.
    Dieser lieferte dann auch eine glänzende Streitschrift ab. In längeren Verhandlungen setzte Calvin Zugeständnisse für seine Rückkehr durch, unter anderem die Zusage, eine Kirchenordnung, einen Katechismus und die Kirchenzucht einzuführen.(Wikipedia)

    Im September 1541 kehrte Calvin nach Genf zurück, und noch im gleichen Jahr entstand die Genfer Kirchenordnung. 1542 folgte der zweite Genfer Katechismus.  Calvin hatte auf ganzer Linie gesiegt. Aber um welchen Preis:

Nicht einen Finger breit gab Calvin nach, wo er die Forderungen Gottes zu vertreten glaubte, und stets war er bereit seine erneute Vertreibung in Kauf zu nehmen. Er setzte sich schließlich durch - wenn auch um den Preis von 56 Todesurteilen und 78 Verbannungen in den ersten fünf Jahren der neuen Kirchenordnung. ... Nach seinem Verständnis hatte die Obrigkeit dafür zu sorgen, dass die Gebote Gottes eingehalten wurden (aus „Lebendige Kirchengeschichte“)
    Als 1553 der spanische Arzt, Christ und Humanist Miguel Serveto auf Betreiben Calvins  langsam bei schwachem Feuer ( besonders grausam) auf einem Scheiterhaufen verbrannt  wurde, weil er die Kindstaufe und die Trinitätslehre abgelehnt hatte, war für Sebastian Castellio, einen christlich-humanistischen Gelehrten, das Mass voll. Er griff Calvin von Basel aus heftig an, für Gewissensfreiheit plädierend.
    Was ihn schließlich in arge Bedrängnis brachte. Er wurde 1563 in Basel der Ketzerei bezichtigt und angeklagt. Zu einem Prozeß kam es allerdings nicht, da er zuvor verstarb: Von diesem Tag an hüllte sich Calvin in Schweigen. Nur wenige Monate nach Castellio starb auch er. ("Lebendige Kirchengeschichte")

Gedankenimpuls:
Es ist natürlich immer leicht, über die Irrtümer und Verfehlungen eines anderen Menschen zu urteilen. Vielleicht hätte Johannes Calvin wirklich der Theologie treu bleiben und sich aus den praktischen Dingen heraushalten sollen. Aber hinterher ist man bekanntermaßen immer schlauer.
Übrigens auch die Genfer Bürgerschaft. Sie errichtete 1903 eine Denkmal zu Ehren Servetos mit folgender Inschrift:

Als ehrerbietige und dankbare Söhne Calvins, unseres großen Reformators, doch seinen Fehler, der ein Fehler seiner Zeit war, verwerfend, und gemäß der wahren Grundlagen der Reformation und des Evangeliums an der Gewissensfreiheit festhaltend, errichten wir dieses Sühnedenkmal.

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Frühere bzw. ältere Kommentare zu diesem Text


 loslosch (10.09.20)
miguel servet (servetus). wer aber ist nun server? o gott, steh mir bei!

 Bluebird meinte dazu am 10.09.20:
Ja, danke! Habe mich jetzt für die spanische Version Miguel Serveto entschieden!

 Graeculus antwortete darauf am 10.09.20:
Und der ist 1953 hingerichtet worden?
Warum schaust Du nicht mal drüber, bevor Du einen Text auf den Weg bringst?

- bräuchte --> brauche
- wäre --> sei
- Kirchengeschicht --> Kirchengeschichte
- Regelwerk, dass --> Regelwerk, das

 Bluebird schrieb daraufhin am 10.09.20:
Ja, danke! ... Natürlich bessere ich auch Fehler aus, die mir auffallen ...aber manches entgeht mir halt. Meist merke ich es aber zu einem späteren Zeitpunkt!

 Graeculus äußerte darauf am 10.09.20:
Calvin lehnte dies zunächst ab, da er Theologe wäre [sei] und Ruhe für seine Studien und sein Schreiben brauchen würde [brauche]. Außerdem wäre [sei] er auch charakterlich für eine solche Aufgabe nicht geeignet.
Aber Farel insistierte, er dürfe sich dem Ruf Gottes nicht verschließen ...
Da hast Du jetzt eine ganz komische Änderung vorgenommen: in allen drei Fällen den (falschen bzw. umgangssprachlichen) Konjunktiv II genommen, um dann doch zum Konjunktiv I zu wechseln (er dürfe), statt konsequent zu sein und "er würde dürfen" zu schreiben.

 Bluebird ergänzte dazu am 10.09.20:
Ehrlich geasagt bin ich jetzt leicht irritiert ... und habe erst mal alles in den Konjunktiv I gebracht .. .bis auf Weiteres! So fit bin grammatikalisch nun wirklich nicht ... mein Schwerpunkt liegt auf dem Inhaltlichen ...so einen Text wie heute zu schreiben, kostet mich schon einige Mühe ... aber klar, richtige Grammatik und Rechtschreibung ist natürlich auch wichtig!

 Graeculus meinte dazu am 10.09.20:
Dein Schwerpunkt liegt auf dem Inhaltlichen - das ist für ein Literaturforum nicht völlig zufriedenstellend; bei einem Bibel-Blog mag es ausreichen. Allerdings gab es hier ja auch etliche inhaltliche Einwände.

Ich erinnere mich an ein böses, aber treffendes Bonmot von Friedrich Nietzsche: "Ist es nicht eine köstliche Ironie, daß Gott, als er unter die Schriftsteller gehen wollte, Griechisch lernte [die Sprache der Weltliteratur und der Philosophie] ... und daß er es nicht besser lernte?"
Das Neue Testament ist in einer Art Kinder-Griechisch verfaßt [κοινή] und fällt weit hinter den von Homer, Sophokles usw. gesetzten Standards zurück.
Warum müssen religiöse Texte schlecht geschrieben sein?
Ich gebe zu, daß dies ein elitärer Einwand ist für eine Religion, die sich vorzüglich an einfache Menschen wendet.
Aber von anderen religiösen Texten (Bhagavadgita, Zhuangzi vor allem) bin ich da Besseres gewöhnt: große Literatur.

 Bluebird meinte dazu am 11.09.20:
Auf den letzten Kommentar von Graeculus antworte ich mal mit Schiller: "Man spürt die Absicht ( hinter deinem Kommentar) und ist verstimmt!"

Im Übrigen - auf den ersten Absatz Bezug nehmend - zitiere ich mich mal selber (Profilbeschreibung):
Im Wesentlichen geht es bei meinen Texten um Autobiografisches und Essayistisches zum Thema christlicher Glaube. Wobei ich mich durchaus auch mit Gegenargumenten und anderen Sichtweisen auseinandersetze. Aber natürlich von der Position eines überzeugten Christen aus.

Meinen eigenen Schreibstil würde ich als "klar und präzise" bezeichnen, manchmal durchaus mit einem Schuss Humor versehen. Auf den ich im Zweifelsfalle aber auch verzichten kann.
Ich schreibe, um auch gelesen zu werden, "biedere" mich aber nicht an. Man kann es halt nicht jedem/jeder Recht machen. Im Übrigen ist mein Schreibmotto: "Der Weg ist das Ziel!"
Diesen Text habe ich vor Jahren geschrieben ... nun fast 600 Texte später bin ich selber erstaunt, wie exakt ich meine Ankündigung in die Tat umgesetzt habe.

Antwort geändert am 11.09.2020 um 06:20 Uhr

 loslosch meinte dazu am 11.09.20:
frag nach bei goethes tasso: "So fühlt man Absicht und man ist verstimmt."

deine hand führt keine göttliche.

 Graeculus meinte dazu am 11.09.20:
Es stimmt schon, Du hast nie angekündigt oder versprochen, gute (sei es ästhetisch, sei es gedanklich) Texte schreiben zu wollen.
Es geht Dir um eine Apologie des Christentums bzw. Deiner speziellen Vorstellung von Christentum.
Aber müssen die Texte deswegen so schlecht, oft sogar schludrig geschrieben sein?

Wenn man z.B. "Schiller" öffentlich zitiert, dann schaut man doch vorher nach, ob der Spruch wirklich von Schiller stammt. Andernfalls setzt man sich ständig Peinlichkeiten aus, was nicht in Deiner Absicht liegen kann.

Besser, überlegter, geprüfter schreiben!

 Bluebird meinte dazu am 11.09.20:
Danke , der Goethe war´s und nicht der Schiller!

Wieder was dazugelernt!

 Bluebird meinte dazu am 11.09.20:
Aber müssen die Texte deswegen so schlecht, oft sogar schludrig geschrieben sein? (Zitat)

Ah, ja, .. da kann ich ja gleich mal meine Lernfähigkeit beweisen ... ich antworte auf dieses Zitat mit Goethe: "(Da) fühlt man (die) Absicht und man ist verstimmt."

Antwort geändert am 11.09.2020 um 09:43 Uhr

 LotharAtzert meinte dazu am 11.09.20:
... Aber natürlich von der Position eines überzeugten Christen aus.
Bluebird
Die wahre Sichtweise liegt darin, keine Position einzunehmen.
Garab Dorje
Eine von beiden Sichtweisen muß unwahr (nicht falsch) sein. Der Begründer des Dzogchen und Lehrer Padma Sambhavas erklärt es am Beispiel eines Baumes: alles was ich sehe, sehe ich nur aus meiner Position. Ein Mensch (-von mir aus gesehen) hinter dem Baum stehend, sieht anderes, andere Äste, Blätter, Vögel usw. Das ist ein simples Beispiel, ist aber vom Prinzip her auf alles anwendbar. Sobald du eine Position einnimmst, hast du alle anderen ausgeschlossen. Ob mit oder ohne Überzeugung spielt nicht die geringste Rolle.

Antwort geändert am 11.09.2020 um 10:23 Uhr

 Bluebird meinte dazu am 11.09.20:
Ein Mann schaut in die Landschaft hinein und denkt: Ich bin alleine hier.
Nicht weit von ihm entfernt hockt ein anderer Mann in einem Gebüsch und beobachtet ihn. Sieht aber nicht den über ihn auf einem Ast sitzenden blauen Vogel.
Dieser beobachtet den ersten Mann, blickt dann hin zu einem anderen unter ihm im Gebüsch hockenden Mann und denkt: Schon zwei von dieser Sorte!

Fazit: Ein besserer Stand- oder Sitzort kann schon einen erheblichen Erkenntnisgewinn bedeuten

Antwort geändert am 11.09.2020 um 11:04 Uhr

 FrankReich meinte dazu am 11.09.20:
@Lothar
Je mehr Positionen ich einnehme, bzw. berücksichtige, desto besser wird doch mein Gesamtbild bzgl. einer zu beurteilenden Situation und wie bitteschön könnte ich etwas wahrnehmen ohne Perspektive?
@Bluebird
Dein blauer Vogel kann offensichtlich Gedanken lesen, vorausgesetzt, ich habe Deine Story so verstanden, wie Du das krude Durcheinander auf Lothars Kommentar verstanden haben möchtest, und erzähl mir bloß nicht, dass Du als Christ über eine bessere Übersicht verfügst, so viel Red Bull kann ein Mensch nämlich gar nicht trinken und apropos blau:

 loslosch meinte dazu am 11.09.20:
christian meint:

Vice versa

Ein Hase sitzt auf einer Wiese,
des Glaubens, niemand sähe diese.
Doch im Besitze eines Zeißes,
betrachtet voll gehaltnen Fleißes
vom vis-à-vis gelegnen Berg
ein Mensch den kleinen Löffelzwerg.
Ihn aber blickt hinwiederum
ein Gott von fern an, mild und stumm.

 Bluebird meinte dazu am 11.09.20:
Red Bull trinkenden Vögel, ahnungslose Wiesenhasen und beobachtende Menschen mal außen vor gelassen, gefällt mir dieser - von mir leicht verbesserte - Satz wirklich gut:
"Sie aber blickt hinwiederum
ein Gott von fern an, mild und stumm."

Antwort geändert am 11.09.2020 um 12:23 Uhr

 LotharAtzert meinte dazu am 11.09.20:
@ Ralf_Renkking

Du meinst, Zerhackstückeltes zusammengesetzt ergibt wieder oder erstmals ein Ganzes?
Nein, höchstens eine Schweizer Uhr mit langer Garantie. (-Entmannung des Uranos durch Kronos) Und was ist mit dem Baum - er wird ja "nur" gesehen". Bei "Keine Position" ist alles Mittelpunkt (alles Gott, in Bluebirds Vorstellungsgebäude) - da muß ein Extremsichtler lange meditieren, um Baum, Person A, Person B und alles andere wesenhaft zu sein (oder überhaupt erst mal unio mystika zu empfinden), ohne Bevorzugung einer Einzelheit.
Der Begriff Perspektive erfasst nur den stofflichen Teil, den Zwilling, wie der Sternegucker sagt. Nicht daß ich das gering schätze, aber da inzwischen alles Weitere längst auch das Weite gesucht hat, bin ich da vorsorglich gern etwas spöttisch. Perspektive gehört zur Causa materialis und erfasst nicht ihre eigene Herkunft.

 FrankReich meinte dazu am 11.09.20:
@LotharAtzert
Nein, das meine ich nicht, sondern dass Dein Beispiel mit dem Baum auf jeden Fall rein perspektivischer Natur ist und lediglich darauf fußte meine Frage, denn von der Unterscheidung der Sichtweise in Perspektive und Einschätzung derselben ist dort nicht die Rede, Du argumentierst lediglich mit der einmal eingenommenen (perspektivischen) Position, aber wie willst Du das auf Garab Dorjes Spruch umsetzen?

 LotharAtzert meinte dazu am 11.09.20:
Nicht vom Baum der Erkenntnis reden, sondern sein.
All-ein-sein.

 DanceWith1Life (10.09.20)
blahblahblah eines Möchtegerngeschichtsschreibers zum Thema:
oh, Gewissen, holla, kein Protest von all denen, die noch wissen, was das überhaupt ist, frei von Dogmen. Aberglauben und anderen Irrtümern. Hast du aber Glück gehabt.
btw, das Thema "Hexenverbrennung" kam nur deshalb so oft aufs Tablett, weil die jüngeren Verfehlungen zu erwähnen, lebensgefährlich ist. Die letzten beiden Musiker die Missbrauch (nicht nur im kirchlichem Umfeld) öffentlich laut ansprachen, leben nicht mehr.

Kommentar geändert am 10.09.2020 um 23:26 Uhr
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