Traumberuf: Dorf-Friseurin in der französischen Provinz

Kalendergeschichte zum Thema Verwandlung

von  eiskimo

Wäre ich Franzose und lebte auf dem Lande – zum Beispiel in Bonnard, 500 Seelen – dann wäre ich gerne eine Frau und ….. Friseurin, so um die 40.  Ich hieße dann Joelle und hätte meinen eigenen Salon. Schön hell und modern eingerichtet, mit barrierefreiem Zugang, und in meiner Nähe gäbe es reichlich freie Parkplätze - so wäre ich für die vielen älteren Leute dort eine sozial wichtige und stets wohltuende Adresse. Ich hätte natürlich ein gutes Time-Management – nie müsste jemand warten - und ich wäre höchst verständnisvoll im Umgang mit meiner manchmal ja etwas betulichen Kundschaft, so ein bisschen wie eine gut geratene Tochter, die tatsächlich nicht weggezogen ist in die Stadt.
Für die Frauen hätte ich trotzdem diese kleine Portion Kessheit und „french touch“, die sie dann an die aufregenderen Tage ihrer Jugend erinnerte. Ich wäre ein bisschen frech frisiert und fesch gekleidet, wüsste was angesagt ist und zeigte so sehr selbstbewusst, was alles möglich ist als kleine, wandlungsfähige „Pariserin“ im tiefen Burgund.
Männer, denen ich Typ-mäßig näher stände, kämen natürlich auch zu mir. Leider nicht so zahlreich und zahlungswillig wie ihre  Frauen. Den Männern gefiele ich, weil sie mich im Salon ganz für sich hätten, Tête-à-tête sozusagen. Sie bekämen von mir meine sehr persönliche Ansprache und Direktheit, ja, auch eine Spur von Domina und dass ich ihre körperliche Nähe nicht scheute, so gut riechend, und als Zugabe: durchaus zart fühlende, sinnliche Berührungen, etwa beim Einmassieren des Shampoos und Haare Trocknen. 
Natürlich verstünde ich mich bei allen aufs Parlieren, auf die kleinen netten Gespräche, die ich mit meiner naiv daher kommenden Neugier anstieße. Nein, nie zu ernst werden, keine Probleme wälzen und schon gar keine Politik.
Passend zu dieser unverbindlichen Leichtigkeit liefe bei mir dezent der Fernseher mit den Heile-Welt-Sendern voller bunter Bildchen – ich hätte schließlich erkannt, wie man auf dem öden Land eine kleine Wellness-Oase aufbaute und so etwas wie Wohlbehagen verkaufte.
Wichtig, um mit diesem feinen Geschäftsmodell längerfristig bestehen zu können, wären allerdings die entsprechend anspruchsvollen Preise. Auch das hätte ich schnell begriffen. Eine Joelle dürfte sich da nicht an Bonnard messen, sondern selbstbewusst – na, klar-  an Paris. 
Ich würde am Ende auch meinen Erfolg nicht kaschieren. Ein schwarzer Golf GTI stände gut sichtbar vor dem Salon – wenn ich nicht souverän mit dem Motorrad käme.
So gesehen hätte ich ein schönes Leben, da bei den Bauern und Pensionisten „hinterm Mond“. Die Krönung daran: Wann für mich Wochenende wäre, wann ich morgens öffnete und wie lange ich im Sommer Betriebsferien machte, das würde allein ich bestimmen, ganz nach meiner Lust und Laune. Denn in Bonnard  wüsste man, dass längst nicht jedes Dorf noch eine Friseurin hat. Schon von daher hätte ich hier eine treue Kundschaft, die auch durchaus die Lebensansprüche einer jungen Friseurin respektierte.
PS
Ich bin natürlich nicht Joelle. Ich bin nur ein älterer Herr und  habe im Dorf vorhin lediglich vor ihrem gut gehenden Salon gestanden. Da hat sie ein bisschen mit mir geschwatzt – sehr nett, natürlich – und ich habe prompt für kommenden Freitag ein „rendez-vous“ bei ihr festgemacht. Leider nur für „la brosse“, d.h. Joelle wird lediglich meine schüttere Haarpracht  runter rasieren auf 0,8 cm. Und wir beide wussten schon, trotz aller Zugewandtheit: Zum Flirten ist das echt zu kurz.


Anmerkung von eiskimo:

Joelle lebt. Wenn sie erführe, dass ich sie hier zum "Modell" gemacht habe, würde sie mir ganz schön die Haare waschen

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Kommentare zu diesem Text


 franky (05.10.20)
Hi Eiskimo

Ganz toll,! Mit viel Witz und Einfühlungsvermögen geschrieben.

Grüße von Franky

 eiskimo meinte dazu am 05.10.20:
Danke! Freut mich sehr, wenn das so rübergekommen ist!
salut!
Eiskimo

 AZU20 (06.10.20)
Vielleicht klappt es dennoch beim Termin. Die Hoffnung stirbt zuletzt. LG

 eiskimo antwortete darauf am 06.10.20:
Olala... Nee, mir reicht da, glaube ich, meine Fantasie...
lG

 Thomas-Wiefelhaus (04.11.20)
Für einen 0,8 cm Haarschnitt braucht es keine Joelle!
Aber schön, wenn Mann beim Haareschneiden noch träumen kann.
Prima Text!

 eiskimo schrieb daraufhin am 04.11.20:
Danke!
Ja, die O,8cm .... sie sind in der Tat nichts gegen diese leicht knisternde Begegnung mit Joelle.
salut
Eiskimo
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