Perikles in Düsseldorf #2

Erzählung zum Thema Reisen

von  Graeculus

Er folgte einem Weg, an Skulpturen und Denkmälern vorbei, die ihm allesamt nichts sagten, die Schrift auf ihnen eingeschlossen. Offenbar waren nicht nur Kleidung und Sprache, sondern auch die Götter hier fremd.

Daß es ausgerechnet ihn, den attischsten unter den Attikern, in ein Barbarenland verschlagen mußte! Er fügte seinem nicht unbeträchtlichen Arsenal an Flüchen einen über die Pythia hinzu. Von dem konnte er bald darauf gleich intensiven Gebrauch machen, denn er gelangte an den Rand einer großen, quer zu seinem Weg verlaufenden Straße, über die sich in dichter und rascher Folge zahlreiche Wagen bewegten – mit hoher Geschwindigkeit ... und ganz ohne Pferde davor!

Anscheinend saßen da Menschen drin, aber völlig von der Luft abgeschlossen. Wie, beim Herakles, bewegten die sich?
Er bemerkte, daß die anderen Menschen, die mit ihm am Rand der Straße standen, diese auf farbige Lichtzeichen an Stangen beiderseits der Straße hin überquerten. Sobald eine bestimmte Farbe – in der Aufregung erfaßte er nicht, welche es war – aufleuchtete, hielten die Wagen an, und die Menschen zu Fuß überquerten die Straße. Er überließ sich der Gewohnheit der Herde und schloß sich ihnen an.

Nun stand er, nicht minder ratlos, auf der anderen Seite und blickte auf eine weitere, gerade verlaufende Straße, die rechts von großen Häusern, links von einem Wassergraben gesäumt wurde – in Richtung Süden, und dorthin zu gehen hatte er ja beschlossen. Nach einiger Zeit erschien ihm ein entgegenkommender Passant auf unbestimmte Weise griechisch, weshalb er ihn ansprach: „Bist du Grieche? Kannst du mich verstehen? Kannst du mir Auskunft geben?“ Das konnte der Mann offenbar nicht, aber nun trat ein anderer herzu, der auf das kurze Gespräch aufmerksam geworden war.

Ich traue meinen Ohren nicht. Der Mann spricht Altgriechisch, so wahr ich Griechischlehrer am Görresgymnasium bin! Er spricht die Sprache des Platon und des Sophokles, und das in Düsseldorf auf der Königsallee, direkt vor unserem Schulgebäude! Kann es sich um einen Scherz meiner Schüler handeln? Aber nein, so fließend sprechen die doch nicht Griechisch, trotz meines Unterrichts. Außerdem ist der Mann eindeutig zu alt für einen Schüler, der hat längst sein Abitur, wenn nicht sogar schon einen Studienabschluß in Klassischer Philologie. Ich muß ihn ansprechen.

Er spricht Attisch! Wie ein jämmerlicher Barbar von finsteren Nebelgestaden zwar, aber er spricht Attisch! Erschöpft nach langer Mühe und um einiges erleichtert, hätte er sich mit weichen Knien am liebsten auf einer Bank niedergelassen, wenn es eine in der Nähe gegeben hätte. Sie standen am Durchgang zu einem Hof, auf dem Kinder herumliefen, aber um die Agora handelte es sich gewiß nicht. Kurz dachte er an ein Gymnasion, aber nein, die Knaben waren nicht nackt. Die Mädchen - Mädchen! – ebenfalls nicht.[/quote]


Anmerkung von Graeculus:

Fortsetzung folgt.

Hinweis: Der Verfasser wünscht generell keine Kommentare von Verlo.

Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren

Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (18.10.20)
O tempora, o mores!

Sch...ist ja gar kein Römer!
;-)

 Graeculus meinte dazu am 18.10.20:
Stimmt, "O tempora, o mores!" stammt von Cicero, und der war - anders als Perikles - ein Römer. Welchen Ausruf des Staunens ein anikter Grieche getan hätte, hätte er Knaben und Mädchen in einer Schule gesehen, und dann nichtmal nackt, das weiß ich nicht.

 EkkehartMittelberg (18.10.20)
hallo Graeculus, meine Bedenken, die ich wegen der nicht für alle verständlichen Anspielungen auf griechische Mythologie beim ersten Teil hatte, haben sich in Luft aufgelöst. Der zweite Teil ist leicht verständlich, spannend und psychologisch einleuchtend.
Schön, dass du dich an diese längere Erzählung gewagt hast.

 Graeculus antwortete darauf am 18.10.20:
Es handelt sich um einen Versuch: wie es bei mir funktioniert und wie bei kV. Erleichtert bin ich, daß die ersten Bedenken sich gelegt haben. Allerdings wird es dabei bleiben, daß manche Anspielungen zu ihrem Verständnis gewisse Kenntnisse über die Antike voraussetzen ... und daß diese Voraussetzung immer riskanter wird.

Für wen schreiben wir eigentlich? Genauer: Für wen wollen wir eigentlich schreiben?
Für möglichst viele? Das ist nicht mehr mein Ziel.

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 18.10.20:
ja, ich kann nachvollziehen, dass du für einen kleineren Kreis von Adressaten schreibst. Das bewahrt vor Enttäuschungen.

 AchterZwerg äußerte darauf am 19.10.20:
Vermeintliche Enttäuschungen interessieren ich in dieser Hinsicht nicht.
Aber für einen kleinen Kreis zu schreiben, ist für mich in jedem Fall nachvollziehbar. :)

 Graeculus ergänzte dazu am 20.10.20:
Man merkt halt, wem man etwas zu sagen hat und wem nicht (eine Feststellung, die man in überheblicher Weise weder meinen noch verstehen sollte).

 Bergmann (18.10.20)
Jetzt bin auch ich neugierig auf 3.

 Graeculus meinte dazu am 19.10.20:
Da bin ich erleichtert, weil ich mit einer solchen Irritation nicht gerechnet habe. Da merkt ein Autor dann, daß er sich nicht so klar artikuliert hatte, wie es sein Absicht gewesen war ... und noch ist.

 Dieter Wal (18.10.20)
Ransmayr, Christoph: Die letzte Welt Roman

Und jetzt nur noch hymnisch-brückenartige Sätze wie Ransmayr bilden und Du bist schon fast im Literaturlexikon!

Die kulturtranfaren Wahrnehmungsverschiebungen in der Art eines zufälligen Zeitreisenden wie bei Catweazle und dem Papalagi sind reizvoll.

 Graeculus meinte dazu am 19.10.20:
Den Roman von Ransmayr kenne ich nicht, den Papalagi schon. Und diese Parallele paßt, auch wenn ich sie beim Schreiben nicht im Sinn hatte. Manche Lektüre versickert im Unbewußten und mag dort wirksam sein.

 Graeculus meinte dazu am 20.10.20:
Kenne ich den doch? Oder sollte mir sowas Interessantes entgangen sein?
Ich werde in meinen - etwas unübersichtlich gewordenen - Beständen nachschauen. Ich danke jedenfalls für den Hinweis.

 Graeculus meinte dazu am 20.10.20:
Ja, habe ich. Das wird dann bald gelesen.

 AchterZwerg (19.10.20)
"Reizvoll" ist hier die "richtige" Wahrnehmung, finde ich.
Ein wahrhaft originelles und elegant formuliertes Werklein ohne übergroße Sprödigkeit aufgrund seines Inhalts, das sich zu etwas Größerem mausern könnte ...

Liebe Grüße
der8.

 Graeculus meinte dazu am 20.10.20:
Dann sag mir doch bitte zum Abschluß, ob dieses literarische Mäuschen sich gemausert hat.
Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram