Perikles in Düsseldorf #3

Erzählung zum Thema Reisen

von  Graeculus

„Mein Bester“, so hub er schließlich an, „es erfreut mein Herz, einen Mann zu finden, der die Sprache der Kultur spricht, und dann auch noch in so vollendeter Form. Sag an, wo befinde ich mich hier?“

„Am Eingangstor des Gymnasions, das die Väter nach Joseph Görres benannt haben, in der Stadt an einem Fluß, der seit altersher Düssel heißt, und nach ihm die Stadt“, entgegnete der Fremde, und er fügte hinzu: „Mögest du willkommen sein. Wie ist dein Name?“

Ein seltsamer Vogel, dachte er und hätte einige kritische Worte über seine Grammatik zu sagen gewußt, doch er wollte es um keinen Preis mit diesem exzentrischen Exemplar eines vernunftbegabtes Lebewesens verderben, weshalb er nur sagte:
„Mein Name ist Perikles, Sohn des Xanthippos aus der Familie der Alkmeoniden, Bürger von Attika, Phyle ... nun, lassen wir die Einzelheiten, die dir wenig sagen mögen. Apollon hat, weil ich zu dicht an die Pythia herangetreten bin, ein seltsames Schicksal über mich verhängt. Ich befinde mich in einer mir völlig fremden Stadt, von der du mir gastfreundlich den Namen mitgeteilt hast, der mir leider nicht entscheidend weiterhilft. Mein Wunsch ist, so schnell mich die Füße tragen mögen, in meine Heimatstadt zurückzukehren, zu welchem Zweck ich wohl baldigst ein Sühneopfer im nächstgelegenen Apollontempel darbringen sollte. Kannst du mir wohl durch einige Angaben dazu oder sogar durch deine freundliche Begleitung dabei behilflich sein? Als erstes benötige ich wohl einen Opferstier, makellos und nach Möglichkeit weiß.“

Ist dies nun wahrlich der Zwiebelkopf oder ein vom letzten Karneval übriggebliebener Jeck? Aber nein, dieses reine Attisch! Gewiß, etwas hastig und undeutlich in den Endsilben ausgesprochen, aber davon abgesehen könnte ich es nicht besser. Die Kleidung ist passend, doch wo ist sein Helm? Wie Bengtson schon 1958 nachgewiesen hat, trug er den doch immer, aus Eitelkeit wegen seiner Schädelform und gleichsam als – sit venia verbo - Branding, um mich dieses Modebegriffs zu bedienen. Kann man diese Geschichte von der Pythia ernstnehmen, und wie geht es zu, daß ihn – hört, hört! – Apollon zur Strafe nach Düsseldorf versetzt hat? Ich muß so tun, als ob ich ihm glaubte, um Genaueres zu erfahren.

„Laß uns aber“, so sagte der Barbar, „zu einem Orte wandeln (zu einem Orte wandeln! Hat der Griechisch bei den Komödianten gelernt?), der sich unweit von hier befindet und an dem wir uns in Ruhe unterhalten können. Deine Frage nach dem nächsten Apollontempel ist, bedauernd sage ich es, nicht leicht zu beantworten.“


Anmerkung von Graeculus:

Fortsetzung folgt.

Hinweis: Der Verfasser wünscht generell keine Kommentare von Verlo.

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Kommentare zu diesem Text


 LottaManguetti (20.10.20)
Ich lese mit (auch wenn ich nicht immer meinen Senf drunterschmiere), denn:

Mia monadikí idéa kai kalá!

Zwar nicht Altgrichisch, dafür aber eine persönlich übersetzte Zeile von einem echten Griechen.
(Da ich an einem Institut arbeite, dessen Mitarbeiter aus aller Herren Länder stammen ... ein Leichtes!:D)

Grüßle vonne
Lotta

Kommentar geändert am 20.10.2020 um 08:20 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 20.10.20:
Ha. Das ist das erste Kompliment, das ich auf Neugriechisch erhalte. Ich versteh's, danke. Am größten sind die Unterschiede wohl bei der Aussprache.

Was ist denn das für ein interessantes internationales Institut, falls Du das hier sagen magst?

 LottaManguetti antwortete darauf am 21.10.20:
Es ist das beste Institut in Potsdam.

 TassoTuwas (20.10.20)
Ich vermute, der Tempel hat den Namen "Uerige".
Zeus möge mir diese Respektlosigkeit verzeihen
TT

 Graeculus schrieb daraufhin am 20.10.20:
"Das Uerige" ein Tempel? Wohl des Dionysos. Aber ein Ort, an dem man sich ruhig unterhalten kann? Vielleicht um 11.00 Uhr morgens, aber dann war ich noch nie da.

Aber Altphilologen sind oft Schluckspechte, das stimmt schon. An Dionysos kommt man weder als Grieche noch als Gräzist vorbei.

 EkkehartMittelberg (20.10.20)
Ein Springquell humorvoller und witziger Anspiekungen. Joseph Görres im Poetenhimmel braucht sich dieses Autors und Lehrers nicht zu schämen.

 Graeculus äußerte darauf am 20.10.20:
Du wirst es kaum glauben, aber Joseph Görres ist uns in unserer ganzen Schulzeit nicht begegnet. Er kam im Unterricht nicht vor.
Das mag damit zusammenhängen, daß die alte Jesuitenschule diesen Namen erst nach dem Weltkrieg II angenommen hat. Der Name selbst hatte keine Tradition an dieser Schule. Gebräuchlich, wenngleich nicht offiziell, war der Name "Der Kasten", auch für die Schülerzeitung.

Heinrich Heine, unser wohl berühmtester Schüler, der immerhin hatte im Deutschunterricht seinen Platz. Ich meine, er bezieht sich in seinen Erinnerungen auch auf seine alte Düsseldorfer Schule.

Ich verliere mich in Erinnerungen, verzeih.

 Dieter Wal ergänzte dazu am 20.10.20:
Was ist mit https://de.wikipedia.org/wiki/Erhart_K%C3%A4stner ?

 Graeculus meinte dazu am 20.10.20:
Eine interessante Person. Aber die Beziehung zu Düsseldorf beschränkt sich, soweit ich sehe, auf deren Immermann-Preis.
Immermann und Jacobi waren in Düsseldorf verwurzelt.

 Willibald (20.10.20)
Feine Verfremdung: Der Barbar ist dem Perikles fremd. Dem Barbar ist Perikles fremd.

Intressante Prespektivenmischung (?) hier. Die Klammer in der direkten Rede ist wohl ein stiller Begleitkommentar von Perikles? Aber in dieser Er-Erzählung ist sowieso die Perspektive des Perikles recht dominant.

„Laß uns aber“, so sagte der Barbar, „zu einem Orte wandeln (zu einem Orte wandeln! Hat der Griechisch bei den Komödianten gelernt?), der sich unweit von hier befindet und an dem wir uns in Ruhe unterhalten können. Deine Frage nach dem nächsten Apollontempel ist, bedauernd sage ich es, nicht leicht zu beantworten.“

p.s.



Kommentar geändert am 20.10.2020 um 16:47 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 20.10.20:
"Der Fremde ist dem Fremden fremd", diese Interpretation gefällt mir. Läßt an Hegel denken: "Das Etwas ist das Andere des Anderen."

Daß der auf sein Griechisch so stolze Lehrer (dem selbst das Griechisch des Griechen nicht ganz perfekt gilt) dem Griechen als Barbar erscheint, das zumindest ist beabsichtigt.

Und ja, die Klammer enthält einen stillen Begleitkommentar des Perikles.

 TrekanBelluvitsh (20.10.20)
Heheh... Hochaltgriechisch trifft umgangssprachliches Altgriechisch. Das hast du fein bedacht.

 Graeculus meinte dazu am 21.10.20:
In der Tat. Besser noch: Altphilologengriechisch vs. tatsächliches Griechisch. Perikles war kein neuzeitlicher Griechischlehrer, und das ist ein großer Unterschied.

 Dieter Wal (20.10.20)
Gerade eben
hat mir eine Bettelnde Pythia
ein gut dosiertes Sybillisches Lächeln geschenkt,
klappte dann ihren Dreistuhl zusammen,
um ein paar Meter weiter ihr
Mützchen aufzustellen.
Wozu eine Prophetin?

https://www.keinverlag.de/379748.text

Als ich 1995 eine Bettlerin sah, dachte ich, so ähnlich müsste Pythia gewesen sein, hochintelligent, ironisch, wissend.

Selbstverständlich war mir bewusst, dass diese Frau nichts von Pythia ahnte oder zumindest, dass die Wahrscheinlichkeit einer Bewusstheit Richtung Pythia bei sicheren 0% lag. Pythia arbeitete in einem sehr gut funktionierenden Unternehmen, das den damals bekanntesten Mysterien-Kult der Griechen darstellte. Es war kein Betrugs-Unternehmen, es funktionierte tatsächlich.

 Graeculus meinte dazu am 20.10.20:
Oh, so einer Pythia möchte ich einmal begegnen. Damit ich ihr traue, müßten ihre Aussprüche freilich etwas eindeutiger sein als die ihres historischen Vorbildes.
Man müßte deren Verkündungen einmal sammeln. Ein Reclam-Band ("Das Orakel von Delphi") bildet eine Grundlage dafür.
Bisher habe ich es nie weiter als bis zu einer Bekanntschaft mit einer Hexe gebracht - ein frustrierendes Erlebnis.

 Dieter Wal meinte dazu am 21.10.20:
"Man müßte deren Verkündungen einmal sammeln. Ein Reclam-Band ("Das Orakel von Delphi") bildet eine Grundlage dafür."

 Sibyllinische Bücher

"Bisher habe ich es nie weiter als bis zu einer Bekanntschaft mit einer Hexe gebracht - ein frustrierendes Erlebnis."

Vielleicht findet sich noch eine Prophetin für Dich.

Antwort geändert am 21.10.2020 um 18:17 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 21.10.20:
Interessant sind auch die im Wikipedia-Artikel erwähnten Sibyllinischen Orakel, eine christliche Sammlung aus dem 6. Jhdt.

Zur Sibylle gibt es den antiken Mythos, sie habe von Apollon, damit sie sich ihm hingebe, die Gabe der Weissagung und das ewige Leben erlangt, doch sei ihr, weil sie sich letztlich dem Gott doch verweigert habe, die ewige Jugend nicht erhalten, sodaß sie immer mehr verschrumpelt sei und sich schließlich nur noch den Tod gewünscht habe, der ihr aber verwehrt blieb.

 Dieter Wal meinte dazu am 21.10.20:
Teile der Sibyllinischen Orakel gehörten zum Kanon der frühen Römischen Kirche. Letzte Spuren in  "teste david cum sibylla".

Religionen sind Schatzkammern voller Synkretismen. Man muss nur einen Blick dafür entwickeln und kommt überhaupt nicht mehr vor Begeisterung über sie an allen Ecken und Enden vom Fleck. Synkretismus kann man auch als das eigentliche Wesen des Religiösen ansehen.

Antwort geändert am 21.10.2020 um 20:10 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 22.10.20:
Ja, im "Dies irae" kommt die Sibylle noch vor.
Über Religion und Synkretismus muß ich nachdenken. Im antiken Polytheismus: kein Problem, siehe Interpretatio Graeca und Interpretatio Latina. Aber manche fundamentalistische Auffassungen von Religion - uns beiden nicht sympathisch, ich weiß - stehen wohl im Banne der Idee einer reinen Religion.

 Dieter Wal meinte dazu am 23.10.20:
"Über Religion und Synkretismus muß ich nachdenken." Ein Archaologe brachte mich auf den Gedanken. Er beschrieb einen aufgerichteten Stein, den er als Beginn eines Kultplatzes interpretierte. Synkretismus spielte dabei eine erhebliche Rolle.

 Graeculus meinte dazu am 23.10.20:
Das ist jedenfalls ein anregender Gedanke.

 Roger-Bôtan (19.11.20)
„Πρόσθεν τῶν πυλῶν τοῦ γυμνασίου τοῦ ὑπὸ τῶν πρoγόνων τῶν ἡμετέρων ἀπὸ τοῦ Ιωσήφου Γοερρες κληθέντος, ἐν δε τῇ πόλει ἣ ἐπὶ τῆς ἀκτῆς τοῦ ποταμοῦ ἐστὶ τοῦ πάλαι ἠδ' ἔτι καὶ νῦν Δυεσσελ ὀνομαζομένου, ἀπὸ τοῦ καὶ ἡ πόλις Δυεσσελόπολιν καλοῦμεν“, – εἶπε ὁ ξένος, ἔπειτά δε προσέφη: „Χαῖρε, τίς εἶ; τί ἐστὶ σὸν ὄνομα;“

 Graeculus meinte dazu am 19.11.20:
Du hast mir eine große Freude bereitet. Zum Glück handelt es sich nicht um einen iambischen Trimeter.

 Roger-Bôtan meinte dazu am 19.11.20:
Ich berichtige:

„Πρόσθεν τῶν πυλῶν τοῦ γυμνασίου τοῦ ὑπὸ τῶν πρoγόνων τῶν ἡμετέρων ἀπὸ τοῦ Ιωσήφου Γοερρες κληθέντος, ἐν δε τῇ πόλει ἣ ἐπὶ τῆς ἀκτῆς τοῦ ποταμοῦ ἐστὶ τοῦ πάλαι ἠδ' ἔτι καὶ νῦν Δυεσσελ ὀνομαζομένου, ἀπὸ τοῦ καὶ τὴν πόλιν Δυεσσελόπολιν καλοῦμεν“, – εἶπε ὁ ξένος, ἔπειτά δε προσέφη: „Χαῖρε, τίς εἶ; τί ἐστὶ σὸν ὄνομα;“

 Graeculus meinte dazu am 19.11.20:
καὶ τὴν πόλιν Δυεσσελόπολιν καλοῦμεν
Akkusativ, korrekt.

 Graeculus meinte dazu am 19.11.20:
Da ich "Perikles in Düsseldorf" damals auch im Griechischforum vorgestellt hatte: Darf ich Deine Übersetzung dort anfügen?

 Roger-Bôtan meinte dazu am 20.11.20:
Nur zu.

 Graeculus meinte dazu am 20.11.20:
Danke. Ist geschehen.
https://www.albertmartin.de/altgriechisch/forum/?view=5250#2
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