Intermezzo

Epos zum Thema Arroganz

von  LottaManguetti

I

Er ist auf Erden lebenslang Tourist,
schießt aus dem Nichts hervor und stürzt zurück.
Sein Bild der Welt - ein kurzer Augenblick,
ein Wimpernschlag, was er zu oft vergisst.

Als König hoch zu Ross, nicht als Statist,
bricht nach Bedarf er andern das Genick,
agiert berechnend und mit Falsch und Trick.
Und führt sich zeitgleich auf als Moralist.

Sein Eigentum? Bezahlt per Firmengruppe!
Dem Heimatstern ist dieses völlig schnuppe,
auch den Planeten, schwarzen Löchern und Quasaren.

Sein Hab? Nur temporäre Illusion!
Notiz in toter Dokumentation
von vielerlei Gestalt, in Kommentaren.

II

Von vielerlei Gestalt, in Kommentaren,
verewigt sich der lebende Beweis,
entblößt die Innenwelt zu jedem Preis,
verstreut sein Wort in Endlosexemplaren.

Denn seinesgleichen wird sich um ihn scharen,
begründet einen elitären Kreis
(in China kippt inzwischen ein Sack Reis),
um Zeichen und Symbole zu bewahren.

Ist ihm bewusst, trotz aller Arroganz,
wie sinnlos Sein und Nichtsein für ihn ist?
Und wie vergeblich jegliches Gebaren?

Das wahre Wunder, wahre Eleganz,
ist nicht der Mensch, der nur sich selbst verbüßt
als Element von all dem Wunderbaren.

III

Als Element von all dem Wunderbaren
glaubt er an Mächte, die ihn lieblich streifen,
an Sicherheiten, die darinnen reifen
und ihm die Ewigkeiten offenbaren.

Er meint zu wissen, in berechenbaren
und festen Größen traulich zu begreifen.
Doch liegt der Fehler nicht im Sichversteifen?
Warum sind wir trotz allem noch Barbaren?

Die Schulen und die Universitäten
dressieren Konsumenten, Wiederkäuer …
Wo Weitblick fehlt, nennt man sich Spezialist.

Bei Unverständnis hilft er sich mit Beten
(wozu denn sonst zahlt er wohl Kirchensteuer?)
und nennt es Sein, was er vermutlich ist.

IV

Er nennt es Sein, was er vermutlich ist,
durchpflügt das Hirn nach klärenden Gedanken.
Nicht jeder Vorstoß überwindet Schranken.
Was er erkennt, bleibt klappriges Gerüst.

Mit Neugier forscht er, grübelt, schätzt und misst
und streitet leidenschaftlich, bringt ins Wanken
manch Raum, um den sich Mythen ranken,
erzielt Profit, der ihm das Sein versüßt.

Erkennbar sind dem Wachen die Strukturen,
die sich im Kreise drehen, Macht auffüllen:
Ein Hamsterrad, weiß selbst der Egoist.

Aus Fehlern lernen? Nein! Ihm geht's um Spuren,
ums nackte Existieren schlaffer Hüllen
in Ungewissheit seiner Gnadenfrist.

V

In Ungewissheit seiner Gnadenfrist
gräbt er nach Sicherheiten, die ihn binden,
um Angst vor dem Verlust zu überwinden,
befürchtet ständig, dass man ihn vergisst.

Bewusst, wie man solch Ängste schürt, mit List,
vermeint er machtbesessen Trost zu finden,
indem sein Gegenüber, starr vor Sünden,
ihm dankbar kniend aus den Händen frisst.

Am Gipfel schwindelt feist die Dekadenz,
denn Augenhöhe steht nicht festgeschrieben,
ist nicht verhandelbar mit Justiziaren.

Der Mächtige, der macht sich seinen Lenz.
Gewissenlos verhandelt er mit Dieben,
verordnet strikt, schützt sich in Formularen.

VI

Verordnet und geschützt mit Formularen
jedwede Regung, jeder Schritt. Es droht
dem Quell, dem Wasser, jeder Frucht der Tod,
gelistet in des Menschen Inventaren.

Sieh da! Schon tönt ein Schrei aus Archivaren:
"Nur Festgeschriebenes ist bei uns im Lot!
Wer schreibt, der bleibt, bleibt ohne Not!"
Doch der Beweis ruht dann in Honoraren.

Ihn lässt der Preis, das Elend ungerührt
(Betrügern winken epochale Preise).
Gelingt ein Coup, freut er sich am Husaren-,

am Meisterstreich voll Hochmut, tut blasiert.
Das Sklavenheer kriecht weiterhin durch Scheiße.
Die Zukunft? Schrumpft auf Eitelkeitsbasaren.

VII

Die Zukunft schrumpft auf Eitelkeitsbasaren.
Wo nichts zu holen ist, wird aufgebauscht,
und was nicht passt, prompt ausgetauscht.
Bei Misserfolg liegt man sich in den Haaren.

Sein Heil sucht in diversen Seminaren,
wer hoffnungslos von Eigensucht berauscht.
In Dämmerstimmung hockt er da und lauscht,
paktiert mit Hirngespinsten, Missionaren

und ficht ums scheinbar aufrichtigste Wort.
Trotz all der Friedlichkeit wird Neid geweckt,
der sich durch schändlichen Charakter frisst.

Auf dem Papier entsteht Gedankenmord.
Ein Urteil, kaum verkündet, schon vollstreckt.
Per Signatur nennt er sich Zivilist.

VIII

Er unterschreibt und nennt sich Zivilist.
Sein Tun entspringt vermutlich tiefer Trance.
In Reih und Glied marschiert er in Phalanx
und wär so gerne Individualist.

Die Meute stakst verzweifelt durch den Mist,
erstickt im Ansatz jegliche Nuance.
Dem Anderssein gewährt sie keine Chance,
keift feige "Feind!" und wütet angepisst.

Der Friedenswille mündet stets in Schlachten,
weil Konkurrenz und Missgunst überwiegen.
Ein Träumer, der da glaubt an Streichelzoo.

In summa fallen Söhne in den Kriegen
(nicht jener, die den Kampf entfachten)
beinahe ausweglos und sowieso.

IX

Beinahe ausweglos und sowieso
im Kreis, beziehungsweise in Spiralen,
schraubt sich das Menschlein durch Annalen
im Glauben, dass dem Tierreich er entfloh.

Als abgebrühten Fleischklopps (ehemals roh)
erlebt die Erde ihn und durch ihn Qualen.
Ach, würde er mit seinem Sein nur prahlen!
Wie friedlich bliebe dann der Status Quo.

Vermehrtes Wissen schafft auch Bildungslücken.
Im Drang sich aufzuwerten, aufzublähen
erfindet er das Fahrrad ständig wieder.

Die Worte, die er ausspricht -Geist an Krücken -
die schienen ausnahmslos die schwachen Glieder,
umkreisen Hab und Gut und sind am Drehen.

X

Bewacht wird Hab und Gut. Er ist am Drehen
und Wenden, Tüfteln, Dramen inszenieren.
Bisweilen, scheint mir, hat er Spaß am Rühren
im eignen Saft, im klaren wie im zähen.

"Stets vorwärts", tönt er lauthals, " will ich gehen!
In Wort und Schrift mein Dasein fest fixieren!
Und wenn es sein muss, andere kopieren …"
Sein Stern am Himmel sei alsbald zu sehen.

Die Leichenberge, die er übersteigt,
sie seien nicht der Rede wert. Nur weiter!
Er hält das Leben anderer in Klauen.

Die Wege … unergründlich und verzweigt,
zu kompliziert, meint er, für Außenseiter.
Zur Meisterschaft bringt er's im Nabelschauen.

XI

Zur Meisterschaft bringt er's im Nabelschauen
und bannt die Geister per Gebrauchsanweisung,
übt sich ein Leben lang in Schuldzuweisung,
dünkt sich der Schlauste von den Bauernschlauen.

Vom Fußpilz bis hoch an die Augenbrauen
ergötzt er sich in ständiger Umkreisung
erbarmungslos an eigener Lobpreisung
und führt sich auf wie's Füchslein unter Pfauen.

Ein Zwischenspiel - der Mensch - ein denkbar kleines,
gemessen an dem Sein von andren Dingen.
Der Kosmos war schon vor ihm farbenfroh.

Ein schwarzes Loch wird ihn dereinst verschlingen -
dein Leben, seins und ihres, euer, meines
am Ende dieser prätentiösen Show.

XII

Am Ende dieser prätentiösen Show,
nach durchgesoffnen Jahren, fest verschworen
mit zähem Schweiße, talgverschmierten Poren,
besticht das Hirn durch Windungen aus Stroh!

Die Wirte dieser Saufgelage thro-
nen abgeschottet hinter schweren Toren.
Der Pleb tobt gaga in diversen Foren
und kloppt verbal sich um sein  Pipapo.

Das Schicksal, heißt's, das ließe sich nicht lenken.
Wen es auch träfe, 's trifft stets die Verkehrten.
Die Uhren kann kein Mensch verdrehen.

Er reguliert die Welt nach seinem Denken,
misst jedes Blablabla an eignen Werten
und wird sie nie in Wort und Schrift verstehen.

XIII

Sie lässt sich nicht in Wort und Schrift verstehen
und wurde nicht den Menschen übergeben.
Der ist nur Teil der Welt, er und sein Leben,
zudem eventuell nur ein Versehen.

Gebieterisch durchpflügt er Land und Lehen.
Auf Überschuss bedacht ist sein Bestreben.
Für dieses Ziel wirkt er und schaufelt Gräben,
schreckt nicht zurück, das Feld komplett zu mähen.

Sein Hab beschmiert er tausendfach mit Zeichen
und meint, dass es dadurch sein Eigen sei …
Der Kosmos, ach, wirds hemmungslos verdauen.

Bejammere dich nur! Du musst dich schleichen
und jedes Wort von dir wird einerlei.
Die Ewigkeit? - Ein stummes Urvertrauen!

XIV

Die Ewigkeit erzwingt sich Urvertrauen.
Kein Laut stört, was sie "Nichts" benennen.
Doch ist dies Nichts weit mehr als sie erkennen,
ein Sein, der Worte überdrüssig. Grauen

für jene, deren Wortklänge in lauen
und nicht zu lauen Nächten licht verbrennen,
für die, die sich am Tönen nur erkennen
und Schweigenden von Anbeginn misstrauen.

Der Abschied fordert ohne Unterschied
Gewohntes und Geliebtes loszulassen.
Ihn kümmert keine Regel, keine Frist.

Wozu man sich im Leben auch entschied:
Die Spuren werden kurzerhand verblassen.
Man ist auf Erden lebenslang Tourist.

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (25.10.20)
Hallo Lotta, wer möchte diesem großartigen Sonettenkranz inhaltlich nicht zustimmen? Mich erstaunt immer wieder, dass es dir gelingt, so viele Verse metrisch und rhythmisch leichtfüßig zu schreiben.
Tief beeindruckt
Ekki

 LottaManguetti meinte dazu am 29.10.20:
Manchmal sprudelts, Ekki, und wenn ich Zeit und Muße habe und Inspirationen, dann, ja dann kann ichs nicht festhalten, dann muss es raus.
:D
DANKE

Lotti

 Regina (25.10.20)
Ein Sonettenkranz, das ist ja wirklich viel Arbeit. Bewunderung von mir.

 LottaManguetti antwortete darauf am 29.10.20:
Danke, Gina.
Agnete (66)
(25.10.20)
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 LottaManguetti schrieb daraufhin am 29.10.20:
Stimmt, das 15. hab ich weggelassen.
Das schlummet noch draußen im Haus irgendwo. Hier auf Arbeit ..., aber das ist jetzt unwichtig.
Natürlich weißt du, wieviel Tun hinter solch einem Werk steckt. Und ich danke dir für deine schönen Worte dazu.
Lotta
INS (55)
(25.10.20)
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 LottaManguetti äußerte darauf am 29.10.20:
Nicht nur Arbeit ists, mein Lieber, vor allem brauchts Konzentration, viel Konzentration und noch ein bisschen obenauf. Dir kann ichs ja verraten: Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich mittendrinsitze ich so einem Werk und von der Außenwelt kaum noch etwas wahrnehme. Aber ich glaube, so muss das auch sein, sonst wird das nix.
Muss mal Didi fragen, ob es ihm ähnlich ergeht.

Danke dir!
Von Herzen
Lotti

 Lluviagata (25.10.20)
Großartig.

Wünsche dir viel Sonne!

Llu ♥

 LottaManguetti ergänzte dazu am 29.10.20:
Sonne ist angekommen, Llu.
Kürbisbrot - ich warte ... :D
Lotti

 Didi.Costaire (25.10.20)
Hallo Lotta,

das sind unterhaltsam verdichtete, kluge Worte. Da bleibt auch mir nur, dir für deinen 14/15tel-Sonettenkranz auf die Schultern zu klopfen - wenngleich solche Gesten die Menschheit bislang kaum weitergebracht haben.

Schöne Grüße,
Dirk

 LottaManguetti meinte dazu am 29.10.20:
Kaum weitergebracht - richtig! Mein Resümee.
Aber was solls, haben wir eben eine Minute lang Spaß gehabt! Ist ja auch nicht zu verachten, gell?

Und das Meistersonett suche ich am WE mal raus, weil es im Wald irgendwo rumflaggt.

:D

Grüße!

Lotti

 harzgebirgler (26.10.20)
eindrucksvoll & gekonnt!

lg
harzgebirgler

 LottaManguetti meinte dazu am 29.10.20:
Danke, Harzi. Ja, ich glaube auch, dass ichs schon ein wenig kann, aber zur Meisterschaft wird mir Zeit und Muße fehlen. Lach.
Jetzt muss erstmal ne Finnhütte gebaut werden.
Uff.
:D

Winkewinke
Lotti

 TassoTuwas (26.10.20)
Liebes Lottchen,
was für eine geballte Wortwucht schleuderst du ins Tal der Kleingläubigen.
Ein Tsunami von Gedanken, die eine Flut von Bilder formen, im überwiegend alltäglichen Geplätscher.
Das macht atemlos beim Lesen.
Ich bewundere dich!
TT

 LottaManguetti meinte dazu am 29.10.20:
Herrje, TT, was für ein Kommentar!
Aber: Es treibt mich ständig, das Schreiben und Zeichnen von Bildern, das Beschreiben dessen, was mich umgibt. Aus steter Betrachtung meiner Umwelt formen sich manchmal von ganz allein Worte, die zufällig Sinn ergeben - trotz allen Wahn- und Irrsinns, der uns umgibt.

Herzchenstreu

Lotti

 GastIltis (03.11.20)
Liebe Lotta,
nun stehe ich recht fassungslos am Wegesrand und bewundere deine besondere Kunst. Gestern noch war ich der Meinung, dass ich mit dem Zins und Zinseszins einen Höhepunkt deines Könnens gelesen hätte, ohne zu ahnen, dass da schon ein Epos zuvor die Weichen gestellt hatte, mir und vielleicht anderen zu zeigen, wo es entlanggeht, wenn man sich voll der Materie widmet, (wenn man sie denn beherrscht!). Zweifel, die das „wenn“ streuen könnte, sind natürlich nicht angebracht. Im Gegenteil. Man muss schon sehen, dass man nicht am Wegesrand stehen bleibt, den Mund offen, dass vielleicht die von dir auch schon beschriebenen Krähen heranfliegen, um sich die Zunge, falls sie langsam heraushängt, wegzuschnappen. Ein Epos als Zwischenspiel? Man möge uns auf Dauer vor diesem Gedanken bewahren! Aber die Warnung ist da und sie gilt! Heute, morgen und für die Zukunft. Ob sie Gehör findet, sei dahin gestellt. Ich jedenfalls finde sie notwendig und richtig. Gut und als ein kleiner Schritt! Hoffen wir auf mehr! Schön, dass du so etwas kannst.
Sei herzlich gegrüßt vom alten Gil.

 LottaManguetti meinte dazu am 04.11.20:
Lieber Gil, Ausgangspunkt meiner Betrachtung waren die Worte: Wer schreibt, der bleibt.
Darin fand ich beim näheren Überlegen derart viel Hochmut, dass ich mich zu einer Auseinandersetzung mit diesen Worten genötigt sah.
Was dabei rauskam, haste nun gelesen. Abgesehen von allen Tiraden, die sich dabei ihren Platz eroberten, finde ich dennoch, dass der Mensch eine Verantwortung hat - die den Nachkommen gegenüber.
Dafür habe ich keinen so richtigen Platz gefunden, dafür ist so ein Schema zu klein.
Und dennoch beschäftigt mich solch Hochmut immer wieder, ist er für mich nicht nachvollziehbar, muss ich ihn dennoch akzeptieren.
Auch ist es mal ganz angenehm, sich darüber Gedanken zu machen. Außerdem hat jeder die Freiheit, sich mit Charakteren zu umgeben, die ihm selbst förderlich erscheinen. Nur manchmal lassen sich die Gegensätzlichen nicht ganz ausblenden. Und im Widerstreit, in der Auseinandersetzung, liegt ja auch oft die Chance einer Weiterentwicklung.

Touristische Grüße
Intermezzo-Lotta

Antwort geändert am 04.11.2020 um 12:58 Uhr
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