Unterholz

Skizze zum Thema Realität

von  blauefrau

Diana liebte es, den Weg am See entlang zu laufen, vom Wohnheim bis zur Brücke.  3000m lang, war es genau die richtige Strecke, um Eindrücke zu sammeln, sich ablenken zu lassen oder aus der Puste zu kommen. Ihr kamen regelmäßig Läufer und Spaziergänger entgegen; auch hinter ihr trabten Läufer und sammelten sich Spaziergänger. Man ließ sich in Ruhe. Gelegentlich grüßte man sich. Diana konnte nach ihren Läufen sehr gut an ihrer Examensarbeit weiterarbeiten. Sie hatte sich ausgepowert, duschte, trank einen Kaffee und setzte dann am Schreibtisch ihre Arbeit fort. Jeden Tag drei Seiten, hatte sie als  Arbeitspensum für sich festgelegt. Thema ihrer Arbeit war: Bewegung als Voraussetzung für Kreativität. Sie hatte schon jede Menge Daten von Kollegen und Bekannten in ihre Tabellen eingespeist. Ihre Untersuchungsgruppe war groß genug, um statistisch relevant zu sein. Regelmäßig wurden ihr die Messdaten zugesendet. Sie war gut im Zeitplan, und ihre These, daß Menschen durch Sport und Bewegung kreativer würden, schien durch die Messreihen bestätigt zu werden.
Heute war es spät geworden. Erst um Mitternacht  war sie zum See gelaufen. Weit und breit keine Menschen. Sie startete mit einem WarmUp: ein paar Bewegungen der Knie, der Füße und der Arme. Nichts überstürzen. Vor ihr watschelte eine Ente zum See. Eine zweite folgte. Beide Enten plumpsten ins Wasser und paddelten davon. Gern wäre sie eine Ente, jetzt, wo sie ihr Arbeitspensum kaum bewältigen konnte. Wieder querte ein Tier den Weg. Sie zählte vier Füße. Das Tier sprang in Bögen über den Weg  ins Unterholz.  Diana schaltete ihr Handy auf die Funktion Taschenlampe ein und leuchtete ins Gestrüpp. Sie hörte ein Rascheln. Dann sah sie ein dunkles Etwas über Wurzeln, Halme und Zweige springen, bis es sich verhedderte. "Wer bist du?", fragte sie. "Ich bin aus dem Stoff, aus dem die Träume sind", antwortete der Schatten. "Mich kannst du an die Wand werfen; aus mir könnte ein Prinz werden. Du kannst mich auch auf goldenen Kugeln malen oder abfotografieren und auf Plakaten des World Wildlife Fund abbilden." Dann hatte sich das Tier aus seiner Falle befreit und sprang ins Wasser.
Diana wischte sich die Augen und kniff sich in die Hand. Dann bückte sie sich, schnürte ihre Schnürsenkel neu und stolperte den Weg am See entlang bis zur Brücke.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (30.10.20)
Mir persönlich anfangs zu betulich formuliert und inhaltlich zum Schluss zu kurios, das Ende wirkt wie ein verunglückter deus ex machina.
Aber flüssig und fehlerfrei geschrieben, das verdient meine Anerkennung.

 FrankReich meinte dazu am 30.10.20:
3., 5., 11., 16. und 19. Zeile: ss = ß, das liegt zwar am Programm, aber schließlich hast Du einen Ruf zu verteidigen, Dieterle. 🥳

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 30.10.20:
Nö, habe ich nicht.

 FrankReich schrieb daraufhin am 30.10.20:
Stimmt, im Grunde bist Du dem Buhruf mal wieder gerecht geworden. 😂

 TassoTuwas (30.10.20)
Den Bogen, den die hier die gleich am Anfang erwähnte Kreativität, zu der am Ende stattfindenden imaginären Begegnung schlägt, bleibt den Fantasiearmen leider verborgen.

Daumen hoch!
Liebe Grüße
TT

 blauefrau äußerte darauf am 30.10.20:
;-)
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