Die Gatekeeper

Gleichnis zum Thema Einsamkeit

von  Terminator

Es war einmal ein sehr durstiger Mann, der ohne eigenes Verschulden keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser hatte. Es gab einen Brunnen mit weitundbreitem Wassermonopol, doch die Politik der Brunnengesellschaft war "Kein Wasser an Durstige!" Das wunderte den Mann, zumal die Brunnengesellschaft sich für einen Club besserer Menschen hielt, und sich selbst Empathie und Mitgefühl mit jeder Art von Benachteiligten besonders hoch anrechnete. Doch diese guten Menschen wollten dem durstigen Mann kein Wasser geben, es sei denn, er würde für ein Glas 1000 Euro bezahlen, doch so viel bezahlen wollte er nicht, da er morgen wieder durstig sein würde und bei diesen Preisen schnell bankrott wäre.

Ein bärtiger Typ aus der Gemeinschaft der Roten Pille lehrte den durstigen Mann, dass er nicht durstig wirken durfte, um an das Wasser des Brunnens zu kommen: "Du musst so tun, als hättest du keinen Durst. Ansonsten wirkst du bedürftig, und die Gatekeeper rümpfen sich ihre feinen Nasen. Tu so, als wäre dir das Wasser egal". Der durstige Mann ging zum Brunnen und tat so, als wäre er gar nicht durstig, doch die Gatekeeper erkannten sofort an seiner Körpersprache, genauer gesagt, an seiner Krankheitssymptomatik, dass er immer noch an Durst litt, und lachten ihn nur aus.

Doch eines Tages fand der durstige Mann auf einem Berg einen Gletscher, aus dessen Schnee und Eis sich prächtiges Trinkwasser gewinnen ließ. Er kam endlich zu Kräften und baute sich im Wald am Berghang eine solide Hütte. Nun wurde er von der Brunnengesellschaft aufgesucht. Sie boten ihm eine Zisterne Wasser umsonst an, doch er lehnte mit einem verachtungsvollen Blick das Angebot ab. Da fingen sie an, ihm Schuldgefühle einzureden: "Du hast unseren Brunnen im Stich gelassen! Was, wenn Räuber kommen, wer schützt uns und unseren Brunnen?" Und sie boten ihm wieder Wasser an, so viel wie er trinken konnte und für immer. Doch der Mann wollte nur seine Ruhe haben und schickte die Gäste fort.


Anmerkung von Terminator:

TFM-Preis 2029 für MGTOW-Kurzprosa, Text des Jahrzehnts.

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Kommentare zu diesem Text


 Augustus (06.11.20)
Eine Spur von Hundert Jarhe Einsamkeit von Gabriel García Márquez, woebei hier die eröffnete Quelle des Mannes nicht in die Republik resp. in die Gemeinschaft eingegeliedert wird. Aus der Theorie der Bildung der ersten Gesellschaften hätte aber die Berggquelle mit Gewalt vom Stärkeren verreinnahmt werden müssen, da dieser hiervon profitieren würde, wie denn die Welt von Mad Max dies so schön zeigt, wenn keine Gesetze existieren, überall Gewalt wo Öl ist, ausbricht. Dass der Mann friedlich ohne Aufwendung von Drohungen der anderen Partei bzüglich seiner matereiellen reichaltigen Fundes in seine Einsamkeit zurückkehren kann, ist zunächst nach Menschenart ungewöhnlich. Nach immateriellen Gesichtspunkten jedoch ergibt sich ein hübsches Gleichnis.

Kommentar geändert am 06.11.2020 um 22:18 Uhr

 Terminator meinte dazu am 07.11.20:
Das Wasser ist natürlich eine Metapher für Nichteinsamkeit. Die geistigen Höhen, auf welchen das Gletschereis existiert, ist der Brunnengesellschaft, den Frauen, unerreichbar, sie können nicht so einsam sein, dass sie die Luft auf diesen Höhen atmen könnten. Das Erdhörnchen kann dem Adler seine schönen Wolkenformationen nicht wegnehmen.

Wer den Geist als die bessere Quelle der Nichteinsamkeit entdeckt hat, wird sie nicht gegen körperliche Nichteinsamkeit tauschen wollen.
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