Kummer und Liebesmüh´

Kurzgeschichte zum Thema Liebe, vergangene

von  RainerMScholz

Im Bad. Die weißen, kalten Kacheln. Ich nehme mir den Stuhl, auf dem sonst Kleider oder feuchte Handtücher lagern und setze mich vor den bodenlangen Spiegel. Sonst sind da die Kleider, getragene Hemden, Unterwäsche, aber jetzt sitze ich dort mit dem Messer in der Hand und starre mir selbst in die geröteten Augen, deren Pupillen, ob der Medikamente, geweitet zu sein scheinen. Mir selbst in die Augen. Ich bin nackt, weiß, an manchen Stellen dunkelblond behaart, an manchen nicht, eher klein als großgewachsen, untersetzt, dieweil mir nicht recht klar ist, was das bedeutet. Jetzt sitze ich da mit dem Messer in der Hand und starre mir in die Augen. Das Messer blitzt. Im Licht des Neon und der Kacheln. Es ist ein scharfes Messer. Ich habe es für diese Gelegenheit eigens nachgeschärft. Auf dem niedrigen Abstelltischchen liegt die Heftpistole, zu diesem Zweck angeschafft, ein relativ schweres Gerät, jedoch leicht handhabbar. Relativ ist ohnehin alles. Was relativ ist. Und Zwirn und Nadel, ein spezieller aseptischer Faden, nicht zu dick und nicht zu dünn, aus der Apotheke. Ich weiß noch nicht, wie ich das verwenden soll, mein Opa war zwar Schneider, aber meines Erachtens nach ein erfolgloser. Das Licht scheint grell. Ich fange an.
Das Geräusch ist das Schlimmste. In dem kahlen Kachelraum hallt jeder Schnitt wider. Und der Geruch. Aber ich schneide weiter von der linken unteren Rippenpartie zur Bauchfettmitte. Ich muss sägende Bewegungen vollführen, weil das nicht so glatt schneidet, wie ich dachte. Dann will ich sehen, ob ich von unterhalb des Rippenbogens nach innen greifen kann.
Ich schwitze stark. Der Blutgerinner, den ich geschluckt habe, wirkt nicht besonders gut und das Salz vermischt sich schmerzhaft in der Wunde. Ich bin noch nicht sehr weit gekommen. Die weißen Kacheln sind längst nicht mehr weiß. Und ich bin müde, so müde. Meine Augen starren geweitet und angsterfüllt, fremd aus dem Spiegel heraus. Glotzt mich nur weiter so an, dann seid ihr als nächstes dran!
Ich wollte doch nur mein Herz flicken, das gebrochen schien. Doch jetzt scheint das schwieriger als in der Vorstellung. An der glatten Wand ein Rorschachbild aus meinem hingespritzten Blut. Ich sehe immer nur das eine Gesicht, das eine Gesicht, das eine Gesicht, von dem ich den Namen nicht mehr kenne, nicht mehr kennen möchte, niemals mehr nicht hören will.
Bin kurz weggenickt, das Messer ist mir entglitten und hat einen unkontrollierten Schnitt verursacht, ein rostrotes, blaugeädertes Organ wie ein fremdes Wesen quillt aus der geöffneten Bauchdecke hervor, vielleicht die Milz, denke ich, zwischen Leber und Milz passt immer noch – nein, das ist kein Lächeln, mein Bauch lächelt, ein Lächeln, das zu einem gähnenden Lachen zu werden scheint. Da sind Gedärme. Blaugrau, warm, wollüstig. Ich versuche, sie in die Bauchhöhle zurück zu zwängen.
Ich rutsche aus mit dem Messer, das wie von selbst zu hantieren scheint, das blinkt und blitzt und überall das Rot. Ich streife versehentlich das Skrotum, kaum merkte ich es. Ein blaugeäderter, karzinogener Hoden liegt bloß. Karzinogen, ich sitze im Karzer mit rotgesprenkelten weißen Kacheln und kariole mit Karzerhoden um meinen krampfenden Bachnabel. Ich muss lächeln, nein, grinsen. Mein Bauch grinst auch, die Gedärme schauen heraus und mein Herz blutet immer noch und tut so weh. Es tut so weh. Macht weh. Das nächste Mal repariere ich das Herz eines anderen.
Wo sind Nadel und Zwirn. Wo ist der Tacker. Ich muss mich zusammenheften. Ich stopfe alles wieder hinein und das Herz wird beim nächsten Mal geflickt. Es klopft noch. Es springt. Ich tackere alles zu und vernähe den Rest mit heißer Nadel. Dann lege ich mich ins Bett, starre an die Decke und warte.
Es pocht.



© Rainer M. Scholz

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Kommentare zu diesem Text


 harzgebirgler (15.11.20)
das findet manch chirurg bestimmt recht krass
doch wird vermutlich kaum bei leichenblass.

sonntagsgruß
henning

 RainerMScholz meinte dazu am 15.11.20:
Schnitt
macht fit.
Gruß + Dank,
R.
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