Breivik

Groteske zum Thema Recht und Gesetz

von  Terminator

Evilius Bösmann hatte eine furchtbare Tat begangen, doch vor Gericht konnte er nur gewinnen: er wollte die Todesstrafe, um sich nicht selbst umbringen zu müssen. Evilius war seit er denken konnte depressiv und lebensmüde. Solange ihn seine Kinderängste am Freitod hinderten, musste er weiter leben, durfte nicht selbstbestimmt sterben. Am ersten Verhandlungstag war Evilius Bösmann froh gestimmt, er sang auf dem Weg zum Gericht, präsentierte sich stolz den Journalisten, beantwortete ihre Fragen geduldig und freundlich, auch die als Fragen getarnten Beschimpfungen und Beleidigungen.

Die Richterin ließ den Staatsanwalt Evilius Bösmann anklagen, und seine Anklage hörte nicht auf. Er warf dem Angeklagten zuerst dessen Tat vor, dann aber sämtliche Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen. Evilius Bösmann durfte nicht antworten, und sein Verteidiger saß nur teilnahmslos da und spielte auf seinem Laptop rum. Dann ergriff die Richterin das Wort. Sie wurde laut und warf Evilius Bösmann hohle Phrasen an den Kopf, die stets Wörter wie "immer", "nie" und "jedesmal" enthielten. Die Richterin sprach bis tief in die Nacht, ihre Tirade war gänzlich ohne Struktur und ohne jeden Sinn, sie wiederholte ständig nur das bereits Gesagte in anders formulierten Sätzen. Als sie zu reden aufhörte, schickte sie alle Anwesenden zum Schlafen nach Hause.

Am nächsten Tag war Evilius Bösmann nicht mehr gesprächsfreudig, und sagte den Journalisten nichts, - vielmehr ging er mit einem Tunnelblick ins Gerichtsgebäude, um seine in der schlaflosen Nacht vorbereitete Erwiderung endlich vorzutragen. Als die Richterin die Verhandlung eröffnete, sprach sie von ihrem Hund und vom Wetter. Evilius Bösmann kam nicht mehr zu Wort, aber es wurde auch mit keinem Wort an seine Tat und an die gestrige Gerichtsverhandlung erinnert. Der Staatsanwalt bemängelte die Verschleißerscheinungen an seinem Auto, und deutete in einer halbstündigen monotonen Rede an, dass er eigentlich einen neuen Wagen bräuchte. Es wurde im Gerichtssaal gegessen, dann gab es Kaffee und Kuchen. Am Abend durfte Evilius Bösmann, müde vom Sitzen, nach Hause gehen. Während er mit einem niederschmetternden Gefühl der Hilflosigkeit und Ungewissheit durch die Straße schlich, zeigten Zeugen der Verhandlung mit dem Finger auf ihn und kicherten.


Anmerkung von Terminator:

2012

1368-ster Preis für die psychologischste Kurzstory.

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Kommentare zu diesem Text


 FrankReich (25.11.20)
Freibier, Euer Ehren? 🤔
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