Der tiefensoziologische Raum

Bild zum Thema Existenz

von  Terminator

Der Sumpf

Zwei Tage nicht geduscht: äglich, am liebsten sofort duschen! Drei Tage nicht geduscht: morgen unbedingt duschen! Eine Woche nicht geduscht: nie wieder duschen! Man wird gar wasserscheu, der Schmutz wird erträglich, den Eigengestank riecht man nicht. Der Sumpf ist gemütlich, bequem. Warm ist es im Schlamm. Das Sumpfgetier nervt, aber man gewöhnt sich. Schlamm auf der Haut, bultych, plätscher, platsch! Und jetzt schnell den Frosch fangen. Eine Wasserschlange schlängelt sich am Bein, es kitzelt.

Die Beflecktheit der Mutter ist das große Tabu. Das tellurische Patriarchat verehrt die Demeter, das chthonische Matriarchat die Kybele. Hier ist Beflecktheit kein Problem mehr, es ist Polyamorie, Panmixie. Nicht als Mutter, sondern als Materie ist das Weib heilig. Je profaner, umso heiliger. Mutterliebe ist alles. Söhnchen, warum isst du nicht? Die Großmutter macht sich Sorgen, du bist schon wieder so dünn geworden!

Du bist, was du isst. Wenn du nichts als Fleisch bist, ist das ein Truismus. Die Wissenschaft kann diesen nur bestätigen. Was nicht Materie ist, das existiert nicht; eine Aussage hat entweder empirischen Inhalt oder sie ist sinnlos. Doch damit sind wir fast schon auf der Ebene, zurück in den Sumpf. Dass der Kopf über den Körper herrscht, ist faschistoid. Wir brauchen eine Demokratie der Organe! Der Baum ist ein Tyrann. Wir müssen Pilz werden.

Eigentlich ist Mama Gott. Oma ist Großgott. Glaube an die Bibel oder den Koran, und beschäftige dich bloß nicht mit Philosophie und Psychologie! Kinder haben dankbar zu sein, dass sie auf die Welt gebracht werden, insbesondere der Mutter, die sie ausgetragen hat. Schlechte Eltern gibt es nicht, schlechte heterosexuelle Männer schon: siehe, sie unterdrücken, diskriminieren, machen Unterschiede, als ob nicht jeder, der aus einem Mutterschoß gekrochen ist, liebenswert wäre. Die Kultur ist das radikal Böse. Zurück zur Natur: das sagen uns eigentlich Jesus und Zhanzhaq Rousseau, Marx und Dzhastin Trudeau.



Die Ebene

Es ist herrlich, nach dem Bad zu sonnen. Den wohltrainierten Body muss man natürlich zeigen. Die Hose nervt, sie ist nicht optimal geschnitten, und da ich eh Parfüm kaufen wollte, gehe ich morgen ins Einkaufszentrum. Die Damen bei Douglas sind zwar alle nicht mein Typ, aber ich darf keinen schlechten Eindruck machen, also erst googeln, bevor ich mich nach dem Duft erkundige. Kleider machen Leute, Gerüche verführen. Am Wochenende muss man ausgehen, sonst lebt man nicht.

Eine Aussage hat entweder empirischen Inhalt oder sie ist sinnlos. Die Idealisten mit ihrem Getue! Platon spinnt, Aristoteles hat Recht. Es gibt keine Ideen! Es gibt nur Einzeldinge, ganz konkret! Auch Aristoteles spinnt: was meint er mit Form, doch wieder Ideen, aber die gibt es nicht. Alles ist relativ. Die Psychologie ist die wahre Philosophie. Metaphysik-Luftschlösser vom Elfenbeinturm sind weltfremd, es muss um das Leben gehen. Vielleicht gehe ich nächsten Samstag tanzen, vielleicht aber auch nicht, vielleicht womöglich möglicherweise doch.

Ist mein Schwanz lang genug, und wenn ja, auch breit genug? Was wollen Frauen eigentlich, was gefällt ihnen an einem Mann? Schwanz, Muskeln, Geld, Humor, Brutalität, Schwanz? Joggen ist für Autisten. Sport ohne Partner, wo ist da der Spaß? Es ist kalt in den Bergen. Man kann da Urlaub machen, Skifahren, aber dort wohnen? Die Mönche und Einsiedler, die spinnen. Moral ist für Zukurzgekommene. Wer ein schönes Leben hat, braucht nicht an ein Jenseits zu glauben. Aber an Gott glaube ich schon: ich bin ehrlich, und sage offen, dass ich viel Neid empfinde. Darum muss ich an Gerechtigkeit glauben. Sollte ich zu kurz kommen, will ich nicht auf Zuflucht in Religion und Moral verzichten.

Die Ebene ist mal flach mal gehügelt, es gibt vielerlei Vielfalt. Der Sumpf ist zu eklig, das Gebirge zu kalt, das Plateau zu karg. Das Meer ist unbeständig wie das Schicksal, und doch bleibt der Meeresspiegel auf Dauer gleich. James Bond und Don Juan sein, gut essen und ruhig schlafen, das wäre Dolce Vita! Der Weg ist das Ziel, das gilt vor allem für die Partnerwahl und später Familiengründung. Vater werden: gern, Vater sein: naja, nunja, lieber doch nicht; aber wenn schon, denn schon: wer das Filet gekostet hat, muss auch die Knochen nehmen.



Das Hochland

“Diversity is our strength”, verkünden scheinliberale Politiker, empfinden tellurische Kommunisten und chthonische Braunmischer. Dabei ist stets die oberflächtlichste Vielfalt gemeint, und zwar als Narrenfreiheit, die den geistig gleichgeschalteten Individuum-Drohnen gestattet ist. Im Hochland nimmt die äußere Vielfalt rapide ab, ab einer bestimmten Höhe gibt es nur noch Schnee. Dafür ist jeder Hochlandbewohner anders, ein wahres, echtes Individuum; er hat keine individuellen Tätowierungen, dafür eine einzigartige Persönlichkeit.

Doch was wäre die Höhe ohne die Furcht vor dem Abgrund, die Fallparanoia? Überall lauert Gefahr, Steine und Lawinen rollen herunter und unten warten die sündhaften Horden nur darauf, dass der Bergsteiger einen Fehler macht, herunterfällt, um ihn in den Sumpf zu ziehen und dort zu fressen, falls sie es nicht schaffen, aus ihm einen von ihnen zu machen. Die Angst vor Nivellierung und Gleichmacherei, vor Selbstverlust, vor moralischer Schuld, vor Integration und Assimilation erreicht beim Hochländer pathologische Ausmaße. Kein Wunder, dass er die Einöde sucht, die zwar vielleicht sein Überleben, aber nicht seine Identität bedroht.

Chthoniker und Lunaristen fühlen sich oft einsam, aber nur der Solarist kennt die wahre Einsamkeit, das absolute Getrenntsein. Kein Mensch bis zum Plateau hinauf ist eine Insel, im Hochland gibt es nur Inseln. Noch stärker als die Furcht vor dem Fall ist das Ekelempfinden. Diese macht intolerant und zuweilen tyrannisch, auf die Permanenz der extremen Bedrohungslage reagiert der Höhenmensch mit extremer Gewalt, die in der Regel gegen sich selbst gerichtet ist: als Askese, Entsagung, Selbstdisziplin, Selbstvervollkommnung.

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