Von freier Zeit und schweren Lasten

Erzählung zum Thema Lebensweg

von  Bluebird

Illustration zum Text
(von Bluebird)

"Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen1" (Galater 6,2)
Nach der Geschichte mit Tom wurde ich auch von meinem kleinen Dachzimmer in der Heimstätte in ein recht großes Dachzimmer in der Arche umquartiert. Beides gehörte zum christlichen Sozialwerk der Pfingstgemeinde, lag aber räumlich recht weit auseinander.
    Brauchte ich vorher nur eine Treppe bis zu meinem Arbeitsplatz im Betreuten Wohnen heruntergehen, hatte ich nun eine 40minütige Anfahrt mit dem Fahrrad zu absolvieren.
 
Das war schon ein Unterschied, an den ich mich erst einmal gewöhnen musste. Aber die Vorteile meines neuen Wohnplatzes waren immens. Ich wohnte jetzt mit genau den jungen Christen in einer Haus-WG zusammen, mit denen ich ein paar Wochen zuvor noch in Rinteln auf einer Kinderfreizeit gewesen war und mit denen ich mich auch ziemlich gut verstanden hatte.
  Ich wurde auch wirklich freundlich aufgenommen und so konnte ich auch etwas Abstand von der mental doch recht anstrengenden Arbeit mit psychisch behinderten Menschen gewinnen.

Sooft es mir möglich war, besuchte ich auch weiterhin die Gottesdienste der Pfingstgemeinde. Die konnte ich jetzt fußläufig in etwa einer Viertelstunde erreichen, was ich als recht angenehm empfand.
  Seltsamerweise war ich oftmals aber nicht so richtig bei der Sache. Meine Gedanken schweiften ab und manchmal war ich regelrecht froh, wenn der Gottesdienst vorbei war. Das war dann auch so der Zeitpunkt, wo mir das erste Mal die Idee kam, dass ich ja vielleicht  auch mal in eine andere Gemeinde hineinschauen könnte.
    Aber dazu kam es vorerst dann doch nicht.

Mittlerweile hatte ich mich an den Umgang mit den psychisch Kranken auf der Wohnstation gut gewöhnt. Sie taten mir leid in ihrer jeweiligen Einschränkung, aber oftmals fand ich sie viel klarer und eindeutiger in ihren Worten und ihrem Verhalten als sogenannte normale Menschen, die doch etwas anderes vorspielen als sie wirklich sind.
    Was die zahlreichen Mitarbeiter anging, überwiegend weiblicher Natur,  war der Umgang im allgemeinen recht locker und freundlich. Aber nach einer Weile bekam ich schon mit, dass hier durchaus auch erhebliche unterschwellige Spannungen herrschten.
    Zum Teil lag das daran, dass hier Gläubige und Nichtgläubige zusammenarbeiteten, zum Anderen das es hier zwei grundsätzliche Lager im Umgang mit den Bewohnern gab. Ich würde sie mal Zucht und Ordnung und Laissez-faire nennen.

Anfangs tendierte ich mehr zu der Zucht und Ordnung-Fraktion. Dann aber begriff ich, dass das eigentlich nicht viel bringt, wenn man den Bewohnern zu all ihrem Leid noch zusätzlichen Stress macht. Wenn sie einfach bestimmte Dinge nicht machen wollten, habe ich ihnen ihren Willen dann auch meist gelassen.
  Auf jeden Fall war der Umgang mit ihnen eine enorme Bereicherung für mich, da ich bis dahin solchen Menschen noch gar nicht begegnet war.

Gedankenimpuls: 
Manches im Leben relativiert sich wenn man mir eigenen Leiden oder dem Leiden anderer konfrontiert wird


Anmerkung von Bluebird:

Bremen 1988

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Frühere bzw. ältere Kommentare zu diesem Text


 Thomas-Wiefelhaus (11.12.20)
Deinen letzten Gedankenimpuls kann ich nur bestätigen. Eine Zeitlang habe ich mir schlimme Geschichten Themen von anderen regelrecht reingezogen!
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