Freiheitsmaterialismus

Experimenteller Text zum Thema Wissenschaft

von  Terminator

Vorweg drei unedle Wahrheiten:

1. Organismen sind Selbsterhaltungssysteme (Evolutionsbiologie).

2. Lebewesen sind Systeme mit unterschiedlich vielen Freiheitsgraden (Daniel Dennett).

3. Psychische Krankheiten haben alle dieselbe Ursache: Überforderung durch Komplexität (Jordan Peterson).

Die Welt entsteht konstruktivistischerweise im Kopf, und so kann (3) nur die Komplexität der eigenen Freiheitsgrade (2) die Ursache für Wahnsinn sein. Das menschliche Gehirn hat unzählige Freiheitsgrade, und ist somit ein sehr störungsanfälliges System. Dieses System wird durch Überforderung zerstört und hat damit ein vitales Interesse (1) an der Verringerung von Freiheitsgraden. 

Freiheitsgrade können zum Schutz vor Überkomplexität durch systemimmanente Beschränkungen begrenzt werden (angeborene Behinderungen wie Autismus) oder durch transsystemisch erzielte Freiheitsblocker wie Religion und Moral. Es ist Tatsache, dass religiöser Glaube die Arbeit des Denkens im Gehirn verringert, und dass Autisten Gerechtigkeitsfanatiker sind. Während Religion die Fähigkeit zur Erschließung von zusätzlichen Freiheitsgraden blockiert, schränkt Moralität, die auf den Grundsätzen von Gerechtigkeit und Gesetzmäßigkeit beruht, die bereits vorhandenen Freiheitsgrade ein. Moralität ist erlernter Autismus; Religion ist erlernte Dummheit bzw. antrainierte Hemmung der Denkarbeit, wenn Denken ein Erschließen zusätzlicher Freiheitsgrade ist.

Das System menschlicher Organismus (und das Gehirn als zentraler Bestandteil des Systems) strebt nach Selbsterhaltung (1), und bedient sich dabei so vieler Freiheitsgrade (2), dass Überkomplexität und damit Überforderung für das System entsteht (3). Um zu überleben, muss das System die Überforderung verhindern, und bedient sich dabei einersteits der intrasystemischen Freiheitsblocker (das Unbewusste als Autopilot bei allen oder Behinderungen wie Autismus bei manchen menschlichen Gehirnen) und andererseits der intersystemischen Kontrollmechanismen wie Moralität, Religion und staatliche Ordnung. Die Letztere ist ein künstliches Hilfsmittel, das überschüssige Komplexität absorbiert, wie der Taschenrechner das Kopfrechnen entlastet.

Das Ich ist eine Schleife der Selbstbezüglichkeit. „Ich“ ist keine Entität, sondern eine Funktion des Systems Organismus/Gehirn, die in der Produktion von komplexitätsreduzierenden Loops besteht: ein geschlossener Kreis bildet eine qualitative Grenze für quantitativ potentiell unendliche Freiheitsgrade. Da der Speicherraum des Gehirns begrenzt ist, würde das Weiterdenken über die vorhandenen Kapazitäten hinaus das System zum Absturz bringen. Als Schutzmechanismus entsteht die Reflexivität, die die Ich-Illusion erzeugt. Das epiphänomenale Nebenprodukt der Ich-Schleife ist die Funktion „Wahrheit“, die Einbahnigkeit (Narrativität) des Bewusstseins. Was von „mir“ als mein Bewusstsein erlebt wird, ist die stärkste Ich-Schleife, die mein Gehirn produziert. Wenn Menschen sich „ändern“, ringt eine andere Ich-Schleife die bisher dominierende nieder, und sorgt epiphänomenologisch (im Sinne von bewusstseinsintern-phänomenologisch) für ein anderes Narrativ; so funktioniert „Persönlichkeitsentwicklung“, ein intraorganismischer evolutionsbiologischer Prozess.

Die Illusion der ersten Person wird durch Schleifen der Selbstbezüglichkeit erzeugt und durch Wiederholung und Erinnerung intensiviert. Da die Ich-Schleife Energie spart und Komplexität reduziert, sind schleifenartige Denkprozesse Attraktoren, die sich selbst erzeugen und verstärken. Wiederholung und Erinnerung finden durch Assoziation statt und nicht durch logische Kontinuität, welche eine Rationalisierung im Nachhinein im Freudschen Sinne ist. Neuronen, die nebeneinander feuern, feuern erst durch Zufall und dann, wenn die Signalbündelung eine Schwelle überschreitet, systematisch miteinander, bis schließlich assoziativ ein Gefühl der Erste-Person-Erfahrung entsteht. Das permanente Ich-Bewusstsein wird durch ständigen Reupload der Loops verstärkt und erneuert; der Erinnerungs-Loop sorgt für die zweite Ordnung der Selbstbezüglichkeit, die Reflexion der Reflexion, und hat für den Energiesparmodus „Ich“ eine immunisierende Funktion: da sich die Ich-Schleife ständig zerstreut, sorgt der Erinnerungs-Loop für eine Neuanordnung der im Ich-Modus feuernden Neuronen; „das Ich“ verändert sich fortwähend, wird aber durch den Erinnerungs-Loop in der Illusion der Kontinuität festgehalten. Der Ich-Prozess wird selbstähnlich wiederholt, und als konsistent erinnert, obwohl sich abwechselnde Neuronenhaufen in den gerade verfügbaren Hirnarealen ständig ein neues Ich-Gefühl produzieren. Als Glück wird die Auflösung der Ich-Schleife in der äußerlichen Beschäftigung erlebt: das Gehirn geht in einer Tätigkeit auf und erlebt einen „Flow“. Mangelnde Beschäftigung erzeugt im Gehirn verstärkte selbstreflexive Schleifen, da die Ich-Funktion bei Reizmangel ein Attraktor für die Neuronen ist. Wer „sich langweilt“, hat im Gehirn zu viele unterforderte Neuronen, die sich in den Energiesparmodus „Ich“ begeben, diesen aber bei bleibendem Reizmangel verstärken und übertreiben, weshlab Langeweile erstens als leidvoll erlebt wird, und zweitens als Abfallprodukt Empfindungen wie Trauer, Sehnsucht und Eisamkeit produziert.

Eine angst- und traumabedingt vergrößerte Amygdala sorgt vermutlich für verstärkte Wiederholungs- und Erinnerungs-Loops, so dass ein traumatisierter Organismus es mit der Vereinfachung der Weltwahrnehmung durch eine übersteigerte Ich-Funktion übertreibt. Dadurch entsteht die empiphänomenal als Leid bekannte Funktion der Über-Erinnerung und Über-Identifikation durch beschleunigte Wiederholung. Wird die Ich-Funktion übermäßig betätigt, verbraucht sie mehr Energie als sie spart, was zu Erschöpfungserscheinungen wie Hoffnungslosigkeit und Depresssivität führt. Da die Ich-Funktion mit der Reflexivität zweiter Ordnung eine positiv rückgekoppelte Funktion ist, verstärkt sie sich trotz destruktiver Effekte selbst, und kommt erst beim Ich zweiter Ordnung, dem Über-Ich, zur Ruhe. Stiftet das Ich erster Ordnung Identität und die Illusion von Kontinuität, so sorgt das Ich zweiter Ordnung, das Über-Ich, für ein Sinn-Gefühl. Das Ich zweiter Ordnung ist mit dem Ich erster Ordnung negativ rückgekoppelt, und so wird „Gott“ als äußere, meist repressive, Instanz erlebt. Bei besonders leistungsstarkem Denkvermögen, sprich bei höherer Intelligenz, gerät die Reflexion zweiter Ordnung selbst ins Bewusstsein, und als Betriebsunfall entsteht mathematisches und philosophisches Denken.


Anmerkung von Terminator:

"Idealismus oder Materialismus: hier geht es eigentlich nur um die Projektion der eigenen Schönheit oder Häßlichkeit nach außen". Juliane Jüngzarten

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Kommentare zu diesem Text

Nimmer (45)
(15.12.20)
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 Terminator meinte dazu am 15.12.20:
Doch 2,5 Jahre nach der Niederschrift hatte ich damit einige Verständnisschwierigkeiten.
Nimmer (45) antwortete darauf am 15.12.20:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Terminator schrieb daraufhin am 15.12.20:
Genau.

 DanceWith1Life (15.12.20)
Jeder Mensch hat wie dieser Text auch bestätigt, seine eigene "Definition" von Freiheit, in den allerallleralllllermeisten Fällen (a case of You, Joni Mitchell, wunderbares Lied) eine Vorstellung, die sich auf Grund verschiedener Faktoren in ihm gebildet oder die er einfach übernommen hat.
Es gibt Hinweise aus allen Kulturen, dass wirkliche Freiheit erst beginnen kann, wenn er diese Vorstellung( seine eigene, nicht die der anderen) untersucht und aus ihr hinaus geht und seine eigene Freiheit findet.
Alle anderen hier beschriebenen Zustände mögen, so sein wie hier beschrieben oder auch nicht, das kann ich auf Grund der Komplexität dieses Textes, nicht oder noch nicht feststellen.
Da es schon Menschen gegeben haben soll, die eine Empfindung von Freiheit bei einem Waldspaziergang erlebt haben, nehme ich an, dass von etwas anderem die Rede ist.

Kommentar geändert am 16.12.2020 um 01:14 Uhr
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