Umsonst & Draußen

Erzählung

von  minze

Wir sehen Clockwork Orange wie die anderen Filme auf deiner Matratze, es ist schwer auszumachen, wie wir da gemeinsam Platz einnehmen sollen. Du hast sie nur auf einem Lattenrost liegen und wäre das Laken nicht schwarz, würde man die Flecken weniger sehen. Eigentlich könnten wir auch hier essen und die Zeit in der Küche aussparen. Ich muss hier nicht schlafen, egal, wie spät es wird, weil ich drei Straßen weiter wohne, ich nehme nicht mal das Rad, wenn wir uns sehen. Meine Ablehnung fürs Daschlafen war anfangs wirklich wegen der Flecken. Deine WG ist die Einzige, dessen Küche im Keller ist. Wenn ich im Sommer komme, sind meist die Fenster weit offen und es riecht gelüftet. In meiner Wohnung kippe ich die Balkontüre oder wir sitzen direkt auf dem Balkon. An dem Theaterabend, den du organisiert hast, koche ich vorher eines von vielen Nudelgerichten. Ich habe riesen bauchige Weißweingläser besorgt; wir trinken nur keinen Weißwein. Das ist ein eigentlich seltsamer Konsens in meinem Bekanntenkreis. Mit dir zusammen sind wir jetzt bei Merlot, er wird komplett versenkt in die Gläser, dass wir sie mit zwei Händen halten müssen. Ich soll dich anschauen; du photographierst mich durchs Glas hindurch. Eigentlich hast du bis zum Frühling halblange Haare gehabt, jetzt siehst du anders aus. Mir sagst du, dass du in dem letzten Jahrzehnt immer wieder deinen Look verändert hast. Ich erinnere mich an die Selfies mit richtig langen Haaren und glatter Rasur, das waren, glaube ich, fast Nackt-Selfies. Jetzt hast du einen gestutzten Bart, der aber unterm Kinn zunimmt, dazu einen richtigen Kurzhaarschnitt und ein Ringel-Langarmshirt; voll schön. Und wieder eine Topfpflanze dabei, die du mir da! hinstellst. Das ist noch in der Zeit, in der ich nicht checke, dass ich dauernd Dekolleté trage. Sieht man auf den Photos, dann noch mit dem Effekt durch das Glas. Unsere Freundschaft hält sich, wie in ihr nichts eingelöst wird, was vielleicht zwischendrin hängt, während des ganzen Studiums. Jahre später zählen die realen Hänger nicht mehr, du hast erstmals eine Freundin.
Du hast mich weinen sehen wegen Ralf. Ich war ganz neu mit Daniel zusammen. Ralf schrieb manchmal noch. Mein Körper war so in Aufruhr, unaufgeräumt, ausgedehnt. Ralf dehnte mich weiter aus; ich hielt nichts dazwischen, meine Haut war zu dünn. Daraufhin so viel leerer Platz in mir. Meine Lippen wollten schon an Daniel kleben; aber es war alles andere als sicher. Marie sagt, wenn etwas besonders intensiv ist und dann bricht es weg, vielleicht auch immer wieder, wellenförmig, dann ist der Hohlraum, die Leerstelle unbegreiflich; er füllt jenen Raum. Und alles, was kontinuierlich, was erwartbar ist, was weiterläuft, verliert an Bedeutung, wird verdrängt.


Du bist bald um mich, wie wir uns mit andern beim Draußenfestival treffen. Ich kam ausgebremst an, mit den hintergründigen Gedanken immer bei Ralf, den vorderen bei Daniel, chaotisch war‘s mir,  kurz davor, umzukehren. Einige schauen diesem Beachvolleyball zu; ich finde die alternativen Konzepte des Clubs spannend, aber Sport und Party verstehe ich nicht. Das ist auch kein Grund. Ich sitze im Sand und halte die Füße rein, vertrage keine Drinks. Wir haben vorm Reinkommen eine Flasche geleert. Ihr geht weiter, du denkst, ich kenn die Leute gut, die neben mir sitzen, weil ich sie angesprochen hab. Ich weine jetzt schon. Dann kommst du wieder, setzt dich hin, in einer verlangsamten und zögerlichen Art; voll unsicher aber mit einem Desperado im Angebot. Ich trink was, schau nicht direkt hin zu dir, du sagst halt Na?. Ob mich die neue Erfahrung oder die vergangene verzweifelter macht, kann ich nicht bestimmen, sollte ich dir etwas erklären, wollte ich das ein wenig klären. Ich halte deswegen inne und bin dir kurz und fest dankbar für deine letzten salzigen Spaghetti mit Krabben und für die Abende auf deiner versifften Matratze mit den ganzen Topfpflanzen drum herum, die den Tabakgeruch nicht aufnehmen –  aber dieses Versprechen machen ja weder du, noch deine Pflanzen, nur optisch könnte man es erhoffen. Ich verirre mich kurz in dem Gedanken, ich hätte bei dir vielleicht was verpasst, aber nach wie vor sind wir nicht sexy zueinander. Also gebe ich nach und erzähle dir von Ralf, vielleicht denke ich, wenn ich diese Geschichte losbekomme, dann würde ich mich mehr Daniel widmen können. Oder du kämst dran. Aber ich kann kaum offen sprechen, weil es eine verbotene Geschichte ist und das macht mich so einsam. Und weil du schon bei dem Wort Affäre dein Bier umklammerst und dich mit den Daumen am Flaschenhals verfummelst. Ich sehe sie genau an, da hängt noch Schmiere dran, zumindest unter den Nägeln. Du lockerst dich, als wir anstoßen, ich zeige dir mein Gesicht. Geht noch nicht ganz so gut. Bis dahin hast du es ausgehalten. Ich erzähle trotzdem weiter, du musst mir zuhören, du bist jetzt da und ich werde nicht vielen von Ralf erzählen, nicht sofort, erst, wenn ein paar Jahre vergangen sind. Ich versuche, einen Ausschnitt der Geschichte zu erzählen, es bleibt immerhin diffus. Du sagst nicht, was du denkst, was du fühlst, ich bin froh, dass du keine Freundin bist, die mütterlich reagiert. Es ist richtiger, wenn du vielleicht mit Phantasien reagierst, wenn du dich auf eine sexuelle Art hineinfühlst, das macht es mir verständlicher als dieses schamhaft Verständnisvolle. Nach kurzer Zeit verstummen wir, da geht es mir besser und mir fällt ein, dass du von Daniel noch gar nichts weißt. Eigentlich fällt es mir erst ein, als Caro kommt und uns beide fragt, ob ich Liebeskummer habe wegen Daniel, ob er mir schon fehlt. Sie lacht tatsächlich. Vielleicht hast du dich schon so verständnisvoll um mich herum positioniert, bist doch etwas warm geworden oder ich sehe getröstet aus. Dann muss ich die Szene abbrechen, weil dir der Name Daniel aus dem Gesicht fällt. Ich höre, dass drinnen die Musik losgeht. Ich sage dir, dass wir jetzt doch tanzen gehen können. Du lässt dich von mir mitziehen. Ich denke, die Musik ist okay für uns beide; bisschen Dub, du bist ja mehr der Hip Hopper und ich auf Indie. Wir tanzen, bis die Episode ausgelaufen ist, Caro wimmelt dich irgendwann ab, draußen regnet es, es hat sich deutlich abgekühlt. Es ist ein guter Moment, zu fahren. Nass durch die Stadt zu radeln, macht mich wieder nüchtern für den Schlaf. Da du dein Studium abgebrochen hast, werde ich dich unter der Woche nicht an der Uni sehen. Ich schreibe dir dann.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (20.12.20)
Stand das nicht erst ganz kürzlich schon mal hier online?

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 04.01.21:
Waren Dir die Kommentare damals nicht genehm?

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 04.01.21:
P.S.: Also entweder Clockwork Orange (korrekt eigentlich A Clockwork Orange) oder das synchrodeutschdoofe Uhrwerk Orange, aber " Clockwerk Orange" geht nicht.

Antwort geändert am 04.01.2021 um 12:31 Uhr

 minze schrieb daraufhin am 04.01.21:
"Waren Dir die Kommentare damals nicht genehm?" - war egal.

Filmtitel habe ich also falsch erinnert, merci.

 nautilus (23.12.20)
"...wenn etwas besonders intensiv ist und dann bricht es weg, vielleicht auch immer wieder, wellenförmig, dann ist der Hohlraum, die Leerstelle unbegreiflich; er füllt jenen Raum. Und alles, was kontinuierlich, was erwartbar ist, was weiterläuft, verliert an Bedeutung, wird verdrängt."

Damit kann ich mich gut identifizieren.

Überhaupt gerne gelesen. Geht runter wie nichts.

Liebe Grüße nautilus

 minze äußerte darauf am 23.12.20:
"geht runter wie nichts" ...ich frage mich eben, ob du bewusst diese Formulierung gewählt hast, die ich in dem Blätterregentext bissl anders hab und mag. mags auf jeden Fall sehr, sehr schön dein Kommentar,freut mich. Der zitierte Gedanke ist so ein Phänomen..was mich immerwieder beschäftigt und da passte es auch irgendwie hin.

Liebe Grüße zurück

Antwort geändert am 23.12.2020 um 20:46 Uhr
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