Konglomerate

Skizze zum Thema Bewusstsein

von  blauefrau

An schlechten Tagen empfindet Paula Menschengruppen als Konglomerate. Sie findet sie undurchschaubar, feindlich gesinnt und findet sich nicht zurecht. Sie schiebt sich durch die Mengen, wird von vielen Beinen angestoßen, von Ellenbogen eingekeilt und von zahllosen schwarzen Augen angestarrt. Ein Oktopus, der sie verschlingen will. Sie wartet darauf, zu Boden gestoßen zu werden, wie eine Wanze zermalmt und danach entsorgt zu werden wie ein alter Lumpen. Das haben die da gemacht, hört sie sich sagen, wenn sich alles um sie dreht, sie torkelt und sich nur noch mit letzter Kraft aufrecht halten kann.
An guten Tagen nimmt Paula Gruppen als fröhliche Cluster von Einzelwesen wahr. Dann ist sie eine Krake, die alle umarmen will. Na, wie geht´s, ruft sie einem bekannten Gesicht zu, lange nicht gesehen. Gehen wir einen Kaffee trinken? ruft sie dann, oder: Treffen wir uns morgen beim Edeka-Bäcker? 9.00 Uhr? Prima. Sie unterscheidet junge und alte Gesichter, erkennt eine Frau, die ihrem kleinen Kind die Backe mit einem Tempo wischt, hört einen  Mann, der mit seinem Kollegen Scherze über den Chef macht. Paula badet in der Menge, sie freut sich an den an ihr vorübergehenden Menschen. Sie lacht mit ihnen.
Heute ist ein schlechter Tag. Sie sieht Blitze vor ihren Augen, hört Menschen Worte sagen, Schimpfworte bestimmt, die sie, Paula, meinen. Manche reden leise, flüstern fast wie ihre Mutter, die in leisem Ton Gemeinheiten ausspricht. Laut gehört sich nicht, findet die Mutter. Paula darf sich die Ohren nicht zuhalten, das möchte die Mutter nicht. Hier auf dem Platz, in der Menge hält sie sich die Ohren zu. Die Blitze vor ihren Augen werden stärker, das Flüstern intensiver. Ihr wird schwindelig. Da, jemand zupft sie am Arm, stützt sie, hält sie aufrecht und führt sie zu einer Bank. Eine Frau um die 50, lange graue Haare, sagt: Na, Mädchen, du siehst ja so blass aus. Hier, iss doch mal was, und hält ihr einen Schokoladenriegel hin. Paula sieht blau und gelb. Die Blitze verschwinden.

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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (28.12.20)
Hallo, blaue frau,

deine Gegenüberstellung (akuteller Corona- ?) Befindlichkeiten gefällt mir super. Insbesondere der Absatz um "Paula darf sich die Ohren nicht zuhalten, das möchte die Mutter nicht."
Hier erfahren wir, wie kritisch-autoritär das Eltern-Ich nachwirken kann. Über Jahrzehnte.

Liebe Grüße
der8.

 blauefrau meinte dazu am 28.12.20:
Danke, 8., für die Blumen. LG blauefrau, blaugefroren
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