Hetze und Muße

Bericht zum Thema Anerkennung

von  HerrBertie

Hetze und Muße

Ich setze das Huhn auf und denke, so lange es kocht, kannst du gut ein paar Sachen im Stadtteil erledigen, Post, Sparkasse, Drogerie, Bertie hat gerade einen längeren Gang hinter sich und pennt sowieso, und mit dem Fahrrad hast du alles schnell erledigt. Jedoch schon bei der Post in jenem kleinen Kiosk am Gottesweg staut es sich, eine Kundin ist tatsächlich dabei, reihenweise Päckchen aufzugeben, und hinter ihr warten noch andere, ehe ich an der Reihe bin. So vertändele ich bestimmt 10 Minuten, ehe ich einsehe, dass sich das Warten nicht lohnt, zumal ich hier nichts Wichtiges zu erledigen habe, und weiter fahre zur Sparkasse, „Na, geben Sie auf?“, sagt die junge Frau hinter mir noch, mit einem gewissen Verständnis in ihrer Stimme. An der Sparkasse nur ein paar Überweisungen einwerfen, das geht zügig, und dann schräg gegenüber in die Drogerie wegen ein paar Abzügen von Fotos auf meinem Handy. Wie schön, dass eine Station frei ist, aber irgendwas stimmt nimmt mit der Verbindung, der Automat sucht und sucht, ich gebe ihm wirklich viel Zeit, löse die Verbindung einige Male und versuche es erneut, aber er kann die Fotos auf meinem Smartphone nicht finden. Dasselbe in der Station nebenan, die frei geworden war. Na gut, dann halt nicht, denke ich, fahre ich halt zur Rhöndorfer, da gibt es auch dm, und probiere es da. Wie ich an jenem Kiosk vorbei radele, sehe ich die junge Frau von eben wieder – sie steht immer noch da und wartet, offenbar nicht allzu frustriert, denn wie sich unsere Blicke begegnen, lächelt sie. Derweil kocht das Suppenhuhn munter vor sich hin und ich bin froh, dass ich noch Wasser nachgefüllt hatte, ehe ich los bin. In der Rhöndorfer allerdings dasselbe Spiel – der Automat zählt fleißig die Bilder auf meinem Handy, bis in die 900 geht das, um dann wieder von vorne anzufangen, zuweilen auch bei 207 stehenzubleiben, Sinn macht das alles nicht, doch präsentiert er sie nicht auf dem Bildschirm und ich kann nichts bestellen. Ich schaue auf die Uhr, eine halbe Stunde ist das Suppenhuhn jetzt alleine, aber ich will noch nicht aufgeben. Ein Herr neben mir lässt Passfotos von sich anfertigen und lacht noch, als die Angestellte ihn fragt, ob er nicht den Mundschutz abnehmen möchte, woraufhin er mich anschaut, nicht vorwurfsvoll, sondern amüsiert, und ich überhaupt erst bemerke, dass ich meinen gar nicht trage, was ich aber rasch nachhole. Für einen Moment ist die Stimmung recht heiter und die junge Angestellte reagiert sehr freundlich auf meine Frage, ob sie mir vielleicht weiterhelfen kann, wenn sie Zeit hat. Allerdings kommt sie mit der Kabelverbindung auch nicht weiter. Wir könnten es mit Bluetooth versuchen, meint sie, das funktioniere ja ohne Kabel.  Ich verdränge die unschöne Vorstellung von verkochtem und verbranntem Hühnerfleisch und einer verqualmten Küche und schalte Bluetooth ein. Um wie viele Bilder es denn gehe, ok, um neun also, und dass ich sie vermutlich einzeln an die Station schicken müsse. Doch schon das erste nimmt sich recht viel Zeit, Zeit, die ich eigentlich nicht habe, aber diese Angestellte, die natürlich nicht ahnt, dass ich auf heißen Kohlen sitze, besitzt eine Ausstrahlung, die einem alle Nervosität nimmt und einen auch neugierig macht, wie es weitergeht. Probieren Sie doch mal und schicken alle gleichzeitig, vielleicht klappt das ja, schlägt sie vor und tatsächlich, es klappt und ohne großen Zeitaufwand schweben die restlichen 8 Bilder auf dem Bildschirm ein. Wunderbar. Ich bedanke mich bei ihr und bestelle meine Bilder, unterschiedlich in Größe und Stückzahl, es hakt hier und da, aber dann kann ich meinen Auftrag doch abschließen und der Ausdruck kann losgehen. Zwanzig sind es insgesamt, die meisten davon im Format 15x20 und das dauert schon, wie ich schnell merke. Endlich spuckt der Automat das erste Bild in den Schacht, aber dann – tut sich nichts mehr, außer dass auf dem Bildschirm oben rechts ein rotes Warndreieck erscheint, welches nichts Gutes verheißt. Ich schaue auf die Uhr - seit vierzig Minuten ist das Huhn jetzt alleine und mir wird langsam doch mulmig zumute. Ich muss an Madame Maigret denken, die Frau des berühmten Kommissars, die ihre Einkäufe erledigt, während auf dem Herd, natürlich ein Gasherd, ebenfalls ein Suppenhuhn kocht. Für sie ist das in jenem Krimi ganz selbstverständlich gewesen und das hilft mich zu beruhigen. Es hilft aber eigentlich nichts, hier geht es nicht weiter und Gott sei Dank finde ich schnell diese Angestellte, die beschäftigt ist und trotzdem gleich mitkommt. Achja, meint sie, ich muss den Toner auswechseln, das haben wir gleich. In den nächsten fünf Minuten führt sie eine Unmenge von Handgriffen durch, die viel Übung und eine hohe Kompetenz verraten und dies mit einer unglaublichen Ruhe und Gelassenheit. Ich beobachte sie fasziniert. Sie schließt die Automatentür auf, öffnet den Fotodrucker, entfernt Papierrolle und Toner, reinigt verschiedene Leisten oder was auch immer, schließt die Tür daneben auf, entnimmt dort eine neue Papierrolle und neuen Toner, schließt wieder ab, packt beides aus und legt es ein, schwuppdiwupp geht das, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes gemacht, da ist kein Handgriff zu viel und keiner zu wenig, entsorgt den entstandenen Abfall in die Tonerverpackung, auch das Reinigungstuch und dessen Verpackung, oft sind ihre Linke und ihre Rechte gleichzeitig zugange, setzt den Drucker in Gang, der spuckt drei, vier leere Kopien aus, auch die werden prompt entsorgt, dann verschließt sie die Tür wieder, Schlüssel ab in ihre Kitteltasche, um in derselben Sekunde verschiedene Befehle auf dem Display einzugeben und siehe da, der Ausdruck meiner Bilder setzt wieder ein, während sie sich jedoch schon zum Gehen wendet, gerade noch kriegt sie mit, wie ich sage „Also, man möchte Ihnen applaudieren“, worüber sie sich sichtlich freut. Sie ahnt wahrscheinlich nicht, wie sie durch ihre Art meine innere Anspannung, dieses Gefühl von Stress und Hetze, welches ich generell hasse, immer gehasst habe, verwandelt hat in einen Zustand von Gelassenheit und Muße, so dass ich tatsächlich, in diesem scheinbar ganz unpassenden Moment, Zeit finde, das Leben schön zu finden und zu genießen.
Manche nennen das Glück und so empfinde ich das auch.
Der Zauber bleibt noch eine ganze Weile lebendig, lässt mich auch noch die Schlange, die sich an der Kasse gebildet hat, gut überstehen und fast gemächlich nach Hause radeln, 1 ganze Stunde ist immerhin vergangen und im Hausflur riecht nichts nach Angebranntem, auch nicht in der Wohnung, die Hühnerbeine sind noch ganz von Wasser bedeckt, mein kleiner Bertie schläft in seinem Bettchen in der Küche, vis-a-vis vom Herd, wie fein er aufgepasst hat , und so ist alles gut gegangen.
Jetzt, drei Tage später, denke ich plötzlich, dass Menschen vielleicht häufig gar nicht wissen, wie gut sie ihre Arbeit verrichten und wie sie anderen dadurch ihr Leben erleichtern und den Druck von ihnen nehmen, z.B. solchen, die zu Hause ein Huhn aufgesetzt haben und fürchten, ihnen brennt die Bude ab. Mal sehen, vielleicht drucke ich den Text aus und schenke ihn der netten Angestellten. Dann weiß sie es.


Anmerkung von HerrBertie:

Der Text ist eigentlich eine Erzählung, allerdings nicht-fiktional. Vom Genre fand ich daher "Bericht" am besten passend.

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