Stofftiere kriegt man nicht mehr los - Erzählung/Ende

Groteske

von  pentz

auf vorhergehende Kapitel mit dem Thema "Stofftier" sei verwiesen, wobei dieses Kapitel ohne die vorhergehenden durchaus für sich selbst stehen kann und nachvollziehbar ist.
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Das Stofftier muss weg  - mit dem Ende

a) der Stoffhund soll weg!

Auf dem Heimweg begegne ich Fido am Bahnhof. Wir haben die selbe Richtung nach Hause, nur ich steige ein paar Stationen vor ihm aus. Sowie er mir entgegentritt, kommt: „Ich werde verfolgt!“ Gehetzt schaut er sich links und rechts um.
„Von wem?“
«Von der FBI!“
„Aha!“
Immer wieder kommt er mit diesem Spruch, den ich ihm schon beim zweiten Mal Zusammentreffens nicht mehr abgenommen habe. Da man jedem Menschen eine Chance geben muss, hat es so lange gedauert.
Was er damit wohl beabsichtigt? Denn niemand glaubt ihm das. Naja, dafür bekommt er für umsonst schöne bunte Medikamente, vulgo Drogen genannt. Auch etwas wert. Das nennt sich dann Sozialstaat.
«Komm, laß uns etwas in Deckung gehen.“
„Gute Idee!“
Und wir stellen uns abseits in eine Ecke.“
„Hast Du Tabak?“
«Ja, bitte!"
Meine Angewohnheit, die bröseligen Tabakreste meiner Freunde wiederzuverwenden und in einem leeren Beutel zu sammeln, um ihn dann zu rauchen und damit zu sparen, bedeuten für Fidos klumpige Finger, daß die zu drehende Zigarette sich in seinen Händen zu Hunderten von Atomen auflöst und seinen Schoß übersät. Seine feuchten Lippen, seine zähe, weiße, medikamentöse Flüssigkeit in den Lippenecken und seine zu viele Spucke tun ein weiteres, daß die verhaute Zigarette sich nicht nur nicht zu einem schönen Zylinder drehen läßt, sondern auch das Papier durch die Feuchtigkeit zerstört wird. Das Zigarettenpapier flattert zu Boden, der Filter kugelt hinterher und mit einer wegwerfenden Gestik des Ärgers wischt sich Fido die vielen Brösel von Schoß und Schenkel. Er gibt also das Drehen auf.
„Und ich habe mich heute schon gewaschen, Mist!“ Das ist sein zweiter immer wiederkehrender, unvermeidlicher Spruch. Das irritiert noch mehr wie seine Paranoia vor Geheimdiensten. Denn zu erwähnen, man habe sich heute schon gewaschen, ist das denkbar Absonderlichste, geht man davon aus, daß dieses Prozedere der Körperwaschung sich eigentlich von selbst versteht und zumindest unumgänglich und zwingend ist, sobald man sich auf die Straße und unter Menschen begibt.
Aber mit anderen Zigaretten, mit gekauften, maschinellen kann ich ihn auch nicht erfreuen und so sage ich lax hin: „Ich habe leider keine anderen!“
Klar, ich hätte damit rechnen können, daß er jetzt sagt: „Dreh mir eine!", aber das tut er nicht. Gerade deswegen habe ich dies gesagt, damit er gerade dies nicht sagt und nicht auf diese Idee kommt.
Zudem, der Zug kommt.
Diese rotierenden, stählernen Räder auf den klobigen Schienen würden jeden Gegenstand, zumal aus Textil, Stoff und Baumwolle bestehenden unter sich zermalmen. Erschreckende Vorstellung! Schnell übergebe ich Beluntschi Fido. Ja, dieser Stoffhund hat mir so viel Unglück gebracht, daß ich ihn jetzt aus aus einer spontanen Laune heraus am liebsten vor den Zug geworfen hätte.
Soll sich Fido ruhig eine Zeitlang damit belustigen.
Er hält ihn sich vor das Gesicht, wie eine Handpuppe, schäkert, zwinkert, flirtet und tüttelt mit ihm, daß ich instinktiv die Augen verdrehen muss.
Fido mangelt es eindeutig an Zusprache, Nähe und einem Spielgefährten. Aber Mensch, was liegt näher? Für den wäre dies vielleicht eine Lösung seines offensichtlichen Problems eines fehlenden Partners.
Für mich ist Beluntschi eine Last, ein Pech, ein Unglück. Für Fido bedeutet er wahrscheinlich das Gegenteil.
Damit hätte ich auch mein Problem gelöst.
Nur wenn ich ihn abstoße - bekomme ich dann Schwierigkeiten?
Der anstehende Gerichtsprozeß!
Ohne Beluntschi.
Das weiß ich nicht, ob er noch gebraucht wird.
Schön, wenn jetzt Kontrolleure kämen – ach, die wissen auch nicht Bescheid...
Alles in allem, was ich jetzt abwiege: ist nicht davon auszugehen, daß Beluntschi selbst vor Gericht erscheinen muß – ach Quatsch ist doch, daß das Gericht ihn begutachten, sich eine Vorstellung machen will von ihm, zum Beispiel hinsichtlich des Verstecks des verräterischen corpus delicti.
Ich musste mit allem rechnen.
Überleg Dir’s scharf!
Gibt es einen gewieften Rechtsanwalt, der demonstrieren wollte, daß ich nicht Bescheid wissen konnte, weil der Hintereingang Beluntschis, der Rektus nämlich, viel zu tief lag, als daß ich die verbotene Frucht sehen oder sie mir ins Auge hätte springen müssen? Ein scharfer Staatsanwalt im wahrsten Sinne des Wortes könnte mir dies unterstellen und behaupten, es hätte mir auffallen müssen, daß im Stofftier ein Gegenstand steckte und sich befand – und dann mußte da das Stofftier vorhanden sein, zur Verfügung stehen, um untersucht zu werden, insbesondere in dem betreffenden Körperteil geschaut und gefingert werden  – wie, mag ich mir gar nicht vorstellen! vor den Augen der Öffentlichkeit!?!? (Ist der Autor nicht anal-erotisch fixiert?)
Nein, unvorstellbar! Zu diesem Zweck würde der Richter bestimmt die Öffentlichkeit ausschließen, oder?

b) Unternehmen FBI

Ich schaue wieder das drollige Bild von Beluntschi und Fido an. Da haben sich aber zwei gefunden.
Morgens, wenn er die Augen auftut, würde sein Blick auf einen knuddeliger, lächelnden Stoffhund fallen und Beluntschi mit „Bambino mio" begrüßen, aber halt, so ist er nicht drauf! Ihm jetzt einen latenten Vaterkomplex zu unterstellen, besser Mutterkomplex... Aber doch, doch, gut vorstellbar, daß Fido schon als Kind gern mit Puppen gespielt hat. Er kommt ja aus einem anderen Kulturkreis.
Aber egal, irgendwie hat er an ihm einen Narren gefressen, das sieht man.
Wie nun verfahren?
Drei Dinge sagt er gerne, vielleicht nur um seinem Gegenüber zu schockieren, aber das spielt hier keine Rolle. Gesagt ist gesagt und die Psychologie muß außen vorbleiben.
a) „Ich werde vom FBI verfolgt.“
b) „Und ich habe mich heute schon gewaschen.“
c) „Aufregend, aufregend, spannend, spannend.“
Letzteres habe ich ihn das letzte Mal, als ich zufällig vor ihm im Zug saß von hinten aus der Abteilung für Kinderwagen, Fahrrädern und sonstigen klobigen Gegenständen herausgehört, wohin er von der Zugbegleiterin platziert worden war, auf daß er niemanden störe, vermute ich mal. Immer wieder vor sich hin sagend hörte ich ihn: "Aufregend, aufregend...", wobei er recht unangenehm das G wie ein K aussprach. Ich verstand ihn gut: Niemand wollte mit ihm reden und er konnte die Ruhe um sich nicht ertragen. Er ist ein zwanghafter Spaßvogel, Hanswurst und Clown.
Nun, angesichts all dieser Komponenten, das lässt sich sagen, Verfolgungswahn, Reinlichkeitswahn und Zwangs-Spaßigkeit handelt es sich schlichtweg um „Zwang". Die Frage war, inwiefern konnte dieses psychische Potential genutzt werden. Konkret, inwiefern können diese zwanghaften Störungen in entsprechend gewünschte Kanäle umgeleitet, sprich nutzbar gemacht werden? Ja, wie kann das zusammengehen mit einem gewünschten neuem Verhalten, welches tagestauglich und normal-handlungsanweisend verwertet, aufgebaut und integriert worden ist?
Mir kommt eine Idee.
Ich beuge mich zu ihm vor.
„Hör mal!“ Dabei wende ich den Kopf zurück, um nach hinten zu schauen, dann den Kopf nach vorne, um nach vorne den Gang entlang zu spähen, bevor ich mich ihm wieder entgegenneige.
„Du Fido, ich steck in der Klemme. Ich geb Dir mal dieses Stofftier, aber psst - das ist total geheim!“
Dabei habe ich meinen Zeigefinger vor die Lippen gesetzt! Fido versteht dieses Signal, lacht, macht mich nach und haucht gleichfalls: „Psst!" Grinsend, den Kopf schüttelnd wie so Kopf-Wackelpuppen und mit den Augenlider zwinkernd als hätte er die Parkinson-Krankheit schaut er um sich.
„Fido, hergeschaut!“
Sofort dreht er den Kopf zu mir und leiht mir seine Ohren.
„Also, Du musst wissen, dieser Hund wird vom Geheimdienst verfolgt, also von einem feindlichen Geheimdienst. Und jetzt pass gut, sehr gut auf: Du mußt auf ihn aufpassen wie auf einen Schoßhund (ich weiß, daß es Wie-Auf-Deine-Eigenen-Augäpfel heißt, aber ob er das versteht?)“
„Ja!“, haucht er mir entgegen.
Das versteht er also gut und das ist die Brücke, daß er sich den Hund zur Brust nimmt. Darin sind wir uns also einig. Aber das Wichtigste kommt jetzt. Dieses Wissen muß ihm in Fleisch und Blut übergehen. Beluntschi zu behalten, für ihn zu sorgen und aufzubewahren muß ihm zum Zwang werden.
„Und also, wenn ich ihn wieder brauche, werde ich mich an Dich wenden. Solange musst Du ihn sehr gut behandeln, nicht!“
„Ja, mach ich. Aber...“
Jetzt kommt es!
„Denn, Du verstehst kein Wort zu viel, bleib in Deckung und halte Dich bereit, bis ich dich rufe, das hier ist eine geheime Sache, mit unseren Feinden ist nicht zu spaßen. Du verstehst!? Der FBI oder so in etwa!"
„Ja...“
„Ja, mit dem Gegner ist nicht zu spaßen! Die sind mächtiger als wir ahnen. Und schlimmer als Ihr Italiener, also die Mafia aus Sizilien oder Kalabrien.“
Fido verdreht seine Augen so in den Höhlen, daß nur noch Weiß herausglänzt.
Genau, somit werde ich Beluntschi dauerhaft loshaben. Fido wird alt und grau werden, bis ich mir wieder so ein Kuckucksei ins Nest hole, jawohl.
Ich brauche aber noch mehr Handlungsanweisung, einen Tipp, um ihm zu sagen, was er mit diesem Stofftier die ganze Zeit tun soll. Er geht davon aus, daß ich ihn wiederhaben will. Mach es ihm glaubwürdig.
„Du darfst mit dem Hund so viel Spaß haben, wie du willst, gell.“
„Ja, ja!“, freut er sich.
„Aber zerren, kneten und zupfen ist nicht drin, wenigstens nicht zu sehr, kapische!“
„Kapischko!“
„Ich brauch ihn wieder lebend, äh, ganz und unversehrt, weil er noch eine wichtige Aufgabe zu erfüllen hat. Du weißt gar nicht, welche Bedeutung der Hund hat für das ganze Spiel, für die Welt, für die Menschheit!“
„Welche?“
Verflixt, auf den Mund gefallen ist er nicht.
„Ich kann Dir nur so viel verraten, darf Dir mehr nicht sagen, daß er dem Sohn einer höchstwichtigen Persönlichkeit aus dem öffentlichen Leben, äh der Politik gehört. Und seine Feinde planen einen Anschlag auf Beluntschi, um über den Sohn, der verletzt sein wird bis in Mark und Bein, den Vater und diesen wichtigen Politiker zu treffen."
„Ich versteh!"
Und er dreht den Kopf Beluntschis zu sich her, um ihn ganz tief in seine braunen Augen zu schauen. Ob er darin seine Wichtigkeit entdecken will?
Irgend einen Blödsinn schwafele ich noch von wegen in einer Demokratie geht das Spiel halt so: verletzte niemanden körperlich, aber psychisch hau voll drauf. Und so ein Hund und so ein Sohn sind ultrawichtig für Menschen, äh, sicher, eine Binsenweisheit, nun, aber eben selbst und gerade für Politiker. Besonders für solch seltene Exemplare wie dieser Politiker, der nicht korrupt ist! So behaupte ich kühn und unglaubwürdig.
Daß Fido mir dies nicht abnimmt und zweifelt, ersieht man daran, daß er sich nun mit keinem Wort auf den angeblich bedauernswerten Politiker bezieht. Fido ist weit schlauer als ich denke.
„Ohja, das verstehe ich. Ich mag Kinder.“
„Wie Tiere!"
„Genau!“
„Wie Beluntschi!“
„Wie Beluntschi!“, und er drückt ihn sich fest in die Brust. „Ich pass auf Dich auf, mein Beluntschi. Wirst sehen!"
„Ich hoffe, äh, ja glaube Dir, und glaube, daß er bei Dir in den besten Händen ist."
Frido strahlt vor Freude über dieses dicke Lob.
Waschzwang. - Sein oft gebrauchter Hinweis: "Ich habe mich heute schon gewaschen!" - Wie kann ich diesen nutzen und einbeziehen in meiner Handlungsstrategie für Fido und dem Hund?
„Du musst auch Beluntschi jeden Tag waschen!“
Er schaut irritiert drein. Mustert dann den struppigen, stoffeligen, mauscheligen Körper des Stofftieres von oben bis unten, bis er im Blick direkt in die Augen Beluntschis verharrt, als ob darin die Wahrheit läge und aus ihnen die Notwendigkeit einer tagtäglichen Putz- und Waschaktivität spräche, wendet den langen Blick von Beluntschi schließlich auf mich und ich vermeine in der Irritation darin auch Skepsis zu lesen.
Bin ich zu weit gegangen? Jetzt wird es gefährlich.
„Also, ich meine, ihn nicht direkt mit Wasser, Seife, Lappen und allem zu waschen, wie man das mit sich macht, mit seinem Körper. Wie Du das doch jeden Tag machst, nicht!“ Dabei bemühe ich mich, ihn durchdringend anzublicken.
„Ja, ich habe mich gewaschen!“
„Siehst Du. Und Beluntschi ist ein Staubfänger. Das heißt, Du musst ihn mit einem nicht pitschnassen, aber feuchten Lappen jeden Tag abreiben, damit er vom Dreck gereinigt ist.“
Weiter versuche ich, in meinem Blick die nötige Strahlkraft aufrechtzuerhalten.
Die Frage steht im Raum? Wie überzeugend bin ich?
Das klingt doch logisch. Natürlich ist es so schlimm bei weitem nicht. So staubig wird es bei Fido auch wieder nicht sein, daß er jeden Tag vom Staub befreit werden muss – wenngleich, wer weiß, Fido als Messi einzuschätzen, dürfte auch nicht ganz daneben liegen - aber es schadet auf keinen Fall.
Fidos Gesicht überzieht ein breites Lächeln, das Erkennen, Einsicht und letztlich Einlenken signalisiert. „Aber natürlich, das werde ich machen!“
„Genau, wie Du das ja auch jeden Tag mit Dir und Deinem Körper machst, nicht wahr!“
„Ja, ich habe mich heute schon gewaschen!“
„Aber klar! Das machst Du doch jeden Tag.“
„Ja, ich wasche mich jeden Tag!“
„Besonders jetzt, wo Du diesen Zögling in Deine Obhut genommen hast!“
„Obhut!“
„Naja, in Deine Arme halt!“
„Genau. Den wasche ich auch jeden Tag!“
Glückseliges Gesichtsverzücken bei geschlossenen Augen und an seine Brust gepressten Armen wiegt er Beluntschi vor seiner Brust.
Meine Freude wird jetzt allerdings etwas eingetrübt, da ich einen leicht ranzigen, muffligen Geruch von Fidos Körper her wahrnehme, dessen Glieder selbst wie eingeknickt an ihm herunterhängen. Der Kopf liegt auf den Schultern ohne einen Nacken. Seine Augäpfel stehen weit aus den Höhlen, umschattet mit dunklen Krähenfüßen.
Aber nicht die Nase rümpfen wegen seiner strengen Ausdünstung, sonst nimmt er mir das übel und ich habe mir die Show vermiest. Ich werfe mich in meinen Sitz zurück, den Kopf seitwärts nach oben und atme wie ein an Land geworfener Fisch ein und aus und werfe mich wieder vor, zu meinem Wurm am Angelhaken sozusagen.
„Schau her!“
Seine Augen öffnen sich ganz weit. Wie erstaunte Kinderaugen. Hat er noch nie einen Waschlappen gesehen, denke ich, als ich meine Hände so bewege, als hätte ich einen in der Hand.
„Siehst Du, da ist der Waschlappen!“ Ist zwar keiner, aber man musste ihn sich vorstellen.
„Ja!“
„Nun, und nun faltest Du ihn zusammen. So siehst Du, siehst Du, wie ich es mache!“
„Ja!“
Ich falte den Waschlappen.
„Jetzt hast du zwei Seiten. Hast zwar schon vorhergehabt, äh, aber jetzt stehen sie ein bißchen voneinander weg. Das hat seinen Zweck!“
„Welchen!“
„Und zwar der, daß Du dann die eine Seite feucht machst, indem Du sie in Wasser eintunkst, und trotzdem bleibt die andere trocken.“
„Ja!“
„Ich berühre nur eine Seite des Waschlappens mit dem Wasser. Also hier musst Du Dir den Wasserzuber vorstellen!“
„Den was?“
Sofort kapiere ich, daß er, so unglaublich es klingt, wohl keine Wasserschüssel besitzt.
„Also, wenn nicht das, dann tröpfelst Du mit dem Wasserhahn ein paar Tropfen auf diese Seite.“ Und ich demonstriere es ihm. Und schaue auf meine Wirkung.
Große kindliche Augen blicken mich an. Als ob er nicht genau weiß, ob ich Spaß mache. Aber plötzlich stößt er lachend aus: „Aufregend, aufregend!“ und schaut sich nach Zuschauern um, die wohl auch meine Demonstration als Jux empfinden sollten. Gleichzeitig schlackert er mit seinen leider kleinen Ohren und bewegt die Kopfhaut so, als ob es ein Toupet wäre. Das soll lachhaft sein und meine Ernsthaftigkeit ungewollt in Zweifel ziehen. Das kann ich nicht dulden, da ich nachvollziehen kann, das mein stummes Verhalten nach außen hin wirklich ein bißchen lächerlich, lachhaft ist.
Ich rufe ihn zur Ordnung: „Das ist kein Spaß, Fido. Denk an das FBI!" Er nickt schuldbewußt den Kopf. Na also!
Ich muss trotzdem von dieser Demonstration loskommen. Das wirkt nicht. Das geht in die falsche Richtung. Fido ist wie ein kleines Kind. Also mache ich schnell.
„So, jetzt ist die eine Seite feucht. Mit dieser schruppelst Du den Körper des Hundes ab. So wie ich jetzt.“
Ich tue es. Imaginär.
„So, und so, und so!“
Immer mehr weiden sich die Augen Fidos. Seine Augen suchen aber Kontakt mit Nachbarn.
Du musst rasch zu einem Ende kommen. Das haut nicht hin, denke ich panikartig und etwas enttäuscht. Ein bißchen enttäuscht von mir selbst allerdings.
„So, und nun nimmst Du die andere Seite! Drehst sie also so herum.“
Was ich vorgebe zu tun.
„Und mit dieser Seite trocknest Du dann Beluntschi ab.“
Dies mache ich.
„So, siehst Du. So einfach ist das.“ Und ich versuche die Wirkung meiner Vorstellung in seinen Augen zu erkennen. Zweifel überfallen mich.
Aber Fido sagt: „Ja!“ Und grinst komisch. Allerdings weiß ich nicht, ob wegen der Anschaulichkeit oder des Brimboriums, das ich da veranstaltet habe mit meiner Pantomine. Aber ich bin fertig. Ende der Veranstaltung. Vorhang fällt.
Ein letztes Mal insistiere ich und wie der brave Soldat Schweyk wiederholt er meine Äußerungen. Dazwischen fragt er plötzlich: „Hast Du nen Euro!“
Die Spucke bleibt mir weg und ich reiche ihm einen.
„Noch einen. Für Waschwasser, Lappen, Seife...“
Wie er möchte.
„Und vielleicht noch einen für...“
„Ich muß doch sehr bitten!“
„Was?“
„Du verstehst schon!“
„Ja! Nein!“
Einen Moment des Schweigens.
Wie kann ich weitere Bitten abwehren?
Selten, daß ich so froh über die Lautsprecherstimme bin: „Ihr nächster Halt...“ Glücklich, aber erschöpft werfe ich mich in meinen Sitz zurück und stöhne auf und aus: „Uff, geschafft!“
Ich versuche „positiv“ zu denken.
Klar, mein Vorschlag und meine Handlungsanweisung bezüglich Pflege des Teddyhundes mag ein bißchen überzogen und überspannt wirken, aber Fido hat es geschluckt, verstanden und handelt danach. Mir ist es ohnehin piepegal, Hauptsache ich habe Beluntschi vom Hals. Außerdem, das Gute daran ist, daß der Pfleger selbst seinem eigenen Körper mehr Sorgfalt entgegenbringt. Der Weg des Waschlappens, ist er einmal am Körper des geliebten Teddyhundes zugange, ist nur ein Katzensprung zu seinem eigenen Körper. Bildlich vorgestellt: hat er schon einmal den Waschlappen in der Hand, um den Teddy abzuputzen, wird er es auch gleich mit sich selbst machen.
Katzenwäsche eben!
Hoffentlich führt er diese zwei Tätigkeiten nicht mit einem Waschlappen durch!?
Aber schnell wische ich diese Vorstellung auf die Seite.
So gesehen darf ich richtiggehend stolz sein darauf, daß ich mit der Überlassung des Hundes in Fidos Hände zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen habe: mich des Unheilsbringers entledigt und Fido einen Lebenspartner zugeschanzt zu haben, der ihm Aufgabe, Weg und Instrument sein wird, gegen seine eigene Schluddrigkeit, Verwahrlosung und Antriebslosigkeit anzuspielen und anzukämpfen.
Welch doppelt gute Tat!

c) Pinocchio schlägt zu

Nach einer derart langen Zeit, daß ich mir schon Hoffnung gemacht habe, die Behörden haben den Fall mit den bei mir gefundenen illegalen Drogen als „wegen Geringfügigkeit“ eingestellt, flattert mir ein gelber Brief ins Haus. Gerichtsverhandlung am soundsovielsten – mit dem Stofftier!
Das kann doch nicht möglich sein. Wozu das?
Natürlich, was ich bereits befürchtet habe. Sie wollen untersuchen, inwiefern die Behauptung, von dem Haschischplättchen im Magen-Darm-Trakt des Stoffhundes vorgegeben nicht gewußt zu haben, der Wahrheit entspricht bzw. entsprechen kann. Untersuchung des Hundes auf Herz und Nieren sozusagen!
Aber ich habe Beluntschi schon längst nicht mehr, habe ihn in die treuen Hände von Fido, dem Zwangsneurotiker, gegeben.
Ist eigentlich noch der geringste Fusel von dem Stofftier bei dessen rabiaten Waschzwang übrig?
Zwang? In diesem Fall wird seinen Worten hoffentlich keine Taten gefolgt sein und er hat ihn verschont. Sich selber zu waschen – das ist dann auch nicht geschehen. Leider.
Man wird sehen.
Schwindelich wird mir bei der Horrorvorstellung, wie hoch wohl die Belohnung von etlichen Tausend Euro sein wird, die der Staat für sich kassieren, sprich einsacken wird, sofern er zum Erkenntnis kommt, wovon auszugehen ist, unsereins hätte von dem Rauschgift im Bauch des Stofftieres gewusst, während es in meinem Besitz war.
Man merkt, die Katze beißt sich in den Schwanz und meine Befürchtung dürfte berechtigt sein.
Die Strafe könnte hoch werden, weil, wer steckt sich nicht gerne die Taschen voll, wenn er kann. Von überhaupt nicht Bestrafung und nicht Strafgeld Verhängung ist nicht auszugehen, denn die Spatzen pfeifen es von den Dächern: der Staat ist hoffnungslos verschuldet und cui bono! – was heißt, wem nützt es; die Justiz wird wohl zu ihrem eigenen Gusto, Zweck und Vorteil entscheiden, was dieser lateinische Ausdruck beweist, der schon seit Tausenden von Jahren existiert.
Ich raufe mir die Haare, ich ärgere mich schier zu Tode über die Verfolgung dieses vielleicht verjährten, jedenfalls banalen Vorfallchens, finde ich. Zumal ich unschuldig bin! Aber es hilft nichts. Ergo: Beluntschi musste wieder her!
Auf zu Fido!
Aber halt. Ich weiß gar nicht, wo der haust. Okay, die Stadt kenne ich, in der er wohnt, dort wo auch Loulou, meine Freundin, und Gina, meine Bekanntin wohnen.
Die werden schon wissen, wo Fido zu finden ist. Andernfalls treffe ich ihn mit ziemlicher Sicherheit am Bahnhof, auf der Sitzbank vor den Terminals, wo er wieder einmal vergebens auf jemanden wartet, der ihn erbarmungswürdiger oder besser –halber mit in die große Stadt nimmt, dort, wo man leichter mit Betteln ein paar Eurochen macht.

Vergebens, ihm zufällig am Bahnhof zu begegnen und die Zeit bis zum Gerichtstermin läuft immer schneller ab, habe ich mir seine Adresse geben lassen. Unterwegs mit dem Bus komme ich in ein üppiges Villenviertel. Eine Nobeladresse und noch mehr Bauklötze staune ich, als ich vor Fidos Obdach stehe. Ein breiter Eingang mit je zwei bis drei Meter langen Marmorstein-Podesten führt zu den halbkreisförmigen Stufen der Haustür hinauf. Wie zu einem Schloß!
Voller Erwartung klingle ich. Die Tür springt auf leichtem Druck hin auf und eine geöffnete Flurtür im Inneren heißt den Gast Willkommen. Da hindurch, stehe ich in einem weitläufigen Flurgang, von denen jeweils Türen abgehen. Nur welche ist die Fidos?
Ich überlege.
Jemand klingelt außen, jemand betätigt den Öffner innen, womöglich hat jeder einen solchen in seinem Zimmer oder zumindest einer einen irgendwo hier im Flur betätigt. Der Gast wird schon wissen, wohin und zu wem er will, hat er gedacht - schnell zurück zur Glotze, sonst verliere ich den Anschluß beim Krimi und es fehlt mir am Ende ein missing link und ich komme nicht auf den Mörder – und schon ist er wieder verschwunden.
Nichtsdestotrotz ist das ziemlich ungehörig, einen Fremden hier einfach rumzustehen zu lassen!
Oder auch nicht!?
Was aber kann ich schon machen? Oder besser: was darf ich tun?
Wirre Gedanken gehen mir durch den Kopf: an einer beliebigen Tür kannst Du nicht einfach so klopfen; dies ist Privatbereich; denk an die Unverletzlichkeit der Wohnung; denn nicht in einem öffentlichen Raum bewegst Du Dich hier; Du willst nur zu einer Person in diesem Privatbereich; teilt dieser seinen mit anderen, so muß er sich durchaus gestört fühlen, drängst Du Dich ihm auf durch Anklopfen an seiner Tür; wodurch er wahrscheinlich einen traumatischen Schreckmoment erlebt und damit der Verletzung seiner Würde; jedenfalls muß Du Deinem Gastgeber, der von seiner Funktion ja noch überhaupt keinen blassen Schimmer nicht hat, Zeit lassen, sich aus seiner Privatbereich zu rühren und zu begeben, um Dich Gast zu begrüßen; außerdem hast Du bereits geklingelt; aber das ist unvermeidlich gewesen...; kurzum, bleib ein Weilchen stehen, früher oder später wird schon jemand in Erscheinung treten.
Aber mit der Zeit, mit dem Verstreichen einer Sekunde auf die andere, komme ich mir genauso deplatziert wie, und das ist dann sogar noch schlimmer, blöd vor.
Doch unternehme ich nichts.
Ein Anstandswarten von gut einer Minute führt auch zu nichts und niemanden
Unterdessen kreiseln meine Gedanken weiter. Worum sie sich drehen, dient nur dem Zweck, gegen meine Angst und dem befremdlichen Am-falschen-Ort-Befinden-Gefühl anzukämpfen. Aber vor allem, eine Entschuldigung und Einsicht und Verständnis dafür aufzubringen, daß noch nach etlichen Minuten keiner nach dem Rechten schaut, verflixt!
So denke ich.
Und so denke ich weiter: Klingelt es, dann betätigen die Personen in ihren Zimmern einen Knopf oder treten in den Flur zum dementsprechenden Schalter, um die Eingangstür zu öffnen und verschwinden rasch wieder in ihren Höhlen. Tun sie dies, denken sie, öffnen kann man ja mal, auch wenn der Besuch nicht für Dich ist bzw. Du keinen erwartest. Derjenige, der gemeint ist und besucht wird, wird es schon wissen, nachschauen und schließlich den Gast empfangen..
Ist das möglich?
Ich schaue mir eine Tür an.
Plakat „Bodybuilding-Typ“ mit Muskelschwellungen bis zum Platzen? Darüber steht in dicken Lettern statt box "klopf Dich durch!“. Also denn: ich klopfe. Stille hinter der Tür. Härter zu klopfen wäre Ruhestörung. Also wage ich es und öffne sachte die Tür. Ein Schwarz-Weißes-Strotoskop-Blitzgeflimmre verweist auf einen in einem Fernseher laufenden uralt Film aus den frühen Tagen dieses Mediums. „Sissy", die süße, tragische Schicksalsprinzessin träufelt wie Lammeta-Geflimmer über den Bildschirm. Ich schließe sofort wieder die Tür.
Passt das zusammen: Muskelmann an der Tür und Zuckerpuppen im Zimmer?
Und mit Fido?
Schwer zu glauben!
Nächste Tür: King-Kong-Frankenstein mit einer Schönen in Händen, während er gleichzeitig mit seinen Fäusten Hochhäuser plattdrückt. Was werde ich sehen, wenn ich diese Tür aufmache? Ja, einen Zeichentrickfilm: Tim und Strolchy, Fix und Foxi, Tom und Jerry, Homer und Mickeymouse und weiß der Geier, welche Namen die alle tragen, jedenfalls die ganze Palette ist möglich. Dazu habe ich aber jetzt keine Lust.
Mein Blick fällt auf eine andere Tür. Das sieht schon eher nach ihm aus: so etwas wie ein Streck-Hampelmann. Ich werfe einen Blick auf eine nächste Tür, wo auf einem Bild ein Mann hinter Gittern abgelichtet ist, die er fest umklammert, weil er ausbrechen will oder unglücklich dahinein versperrt worden ist?
Dies verweist auf Fidos Angst vorm FBI.
Die aber vor mir mit der Marionette deutet auf seinen Spiel- und Lachtrieb hin, auf sein zwanghaftes Lustigseinmüssen.
Was haben wir noch für einen Zwang? Achja, Wasch. Da müsste ich ins Bad eintreten. Das kommt nicht in Frage. Wer weiß, wen sonst ich darin störe.
Nachdem es einfacher ist, an einer Kordel zu ziehen als erneut ein lautes Klopfen zu tätigen, neige ich zu ersterem.
Was hat es aber mit dieser Schnur auf sich?
Wahrscheinlich wird mit der Kordelziehung ein Klingeln oder sonstiges Signal hinter der Tür im Zimmer verursacht. Wenn ich nur genauer erkennen könnte, wer diesen Zieh-Hampelmann darstellt? Aber in dieser Düsternis ist das schwer zu sagen: es könnte so ziemlich alles darstellen, jedenfalls nicht eine Kinderfigur, das sagt aber auch nichts.
Ach wie schön, diese lustigen von sich hängen Glieder.
Die schreien richtig nach Zieht-Mich!
Ich tue es und siehe da, er streckt lustig sämtliche Gliedmaßen von sich, aber aus der Mitte der Gesichts, aus der Nase heraus saust mir nun eine riesig große Gummischlange – na logo, Pinocchios Nase – direkt ins Gesicht, genau auf meine Knolle.
Das soll wohl lustig sein?
He, wie bei einer von diesen aus Gummimaterial beschaffenen Kirchweih-Luftschlangen, in die gerne Kinder hineinpusten. Ich springe unterdessen erschrocken zurück, reibe und rubble mir den Zinken und taste ihn nach Knorpelbruch ab. Dann schnäuze ich mich gründlich.
Plötzlich finde ich mich am Ende der Flurflucht wieder, dicht vor einer spaltoffenen Tür.
Von Beklommenheit überwältigt, zögere ich jedoch, sie zu öffnen und einen Blick dahinter zu werfen. Just da geht das Licht aus. Immerhin ist es ein Dämmerlicht. Schließlich dringt Licht durch den Türspalt.
Zu Angst und Beklommenheit hast Du keinerlei Anlaß!
Ein Geruchsschwall und Duft von einem Essen ist von irgendwo her zu riechen. Wie ein Wolf fange ich an zu schnuppern, drehe mich im Kreis, bis ich direkt vor meiner Schnauze durch die nur einen Spalt weit geöffneten Tür die Quelle des Spenders verorte. Ja, aus dieser Türspalte vor meiner Nase dringt Wasserdampf oder was auch immer. Leider ist mein Geruchssinn mangels Erfahrung als Koch nicht ausgeprägt und entwickelt, so daß ich leider wenig Einschätzungsvarianten besitze, um sagen zu können, was heute auf den Tisch kommt.
Na, dort, an dem sozusagen öffentlichsten Raum einer Wohnung, der Küche, wäre es am opportunsten zu klopfen.
Ich gehe drauf zu.
Zwar ist sie offen, doch wage ich nicht, sie weiter zu öffnen. Erst als mein Klopfzeichen unbeantwortet bleibt, öffne ich sie und schaue wie erwartet in einen leeren Raum.
Niemand, also, der Raum ist leer.
Doch befinden sich darin durchaus vielfältige, mannigfaltige und unzählige Dinge. Diese überwältigende Vielzahl, diese Fülle und Diversität verursacht wohl meinen Mangel an Einschätzungsfähigkeit hinsichtlich dessen, um welche Art von Raum es sich handelt. Schließlich könnte es sich genausogut um einen Handwerker-Raum handeln, um einen von einem Maler, einem Schreiner, einem Buchbinder, was immer.
Auch Handwerker kochen manchmal an ihrem Arbeitsplatz, nicht wahr?
Da ich hier erneut eine geschlagene Minute tatenlos, wie bestellt und nicht abgeholt, herumstehe, habe ich Gelegenheit, mich zu orientieren und vertraut zu machen mit diesen ungeordnet durcheinander gestellten Dingen, um den Raum einzuordnen.
Mein Blick fällt natürlich zunächst auf den kochenden Topf. Auf dem Topf befindet sich ein Deckel. Im Deckel befindet sich ein Loch, aus dem lustig pfeifend der Dampf in einer quirlichen Fontäne wie aus dem Rücken von Mobi Dick entweicht.
Das Kochgerät steht auf einem der zwei nebeneinander stehenden Elektroplatten. Diese wiederum stehen auf einen der Mauer entlang führenden dreiviertelt den Raum angebrachte Holzplatte, kurzum einem u-förmigen, hölzernen Hufeisen.
An der freien Wand dockt ein Holztisch an.
Über der Hufeisen-Form-Holzplatte an der Wand sind Regale angebracht, auf denen die Menge kunterbunt beisammen und nebeneinander und übereinander und zwischeneinander Töpfe, Dosen, Einweggläser und Geschirr stehen.
Daneben und dazwischen befinden sich weitere Dinge auf lockeren, nicht festgemachten Regalen, die die u-förmige Holzplatte bedecken, die diversesten kleinen Döschen und Konserven, die man sich nur denken kann.
In den Holzplatten sind zwei eingelassene Chrom-Abwaschbecken, daneben steht ein Plastik-Geschirr-und-Besteck-Abtrocken-Gitter.
Neben dem Tisch wummern zwei sehr alte Kühlschränke vor sich hin.
In einer Ecke stehen Plastiktonnen, rot, gelb und schwarz zur Entsorgung des Abfalls, des Verpackungsmaterials und Wegwerf-Zeugs aller Art.
All dies, scheint mir, deutet darauf hin und spricht dafür, daß es sich hier um eine Küche handeln muß. Die Dinge zumindest stehen im Dienste der Funktion einer Küche. Zu diesem Ergebnis komme ich - komme ich zum Schluß und sage ich mir – man denke, dies ganz allein in einer fremden Wohnung stehend und nicht wissend, wohin, mit wem er es zu tun hat undsoweiter...
Der Rest Zweifel wird durch dadurch weggewischt, daß plötzlich jemand hereinkommt. 
„Äh, ich will zu Fido!“ Es ist mir schon peinlich, als Fremder hier in der Küche ertappt zu werden.
„Gleich!“, sagt jener, geht zur Elektroplatte, lüftet den Topf mit einem Geschirrtuch und tätigt gleichzeitig einen Holzlöffel ein paar Mal, bis er den Topf deckelt, das Tuch auf einen freien Platz der Holzplatte wirft und wieder aus dem Zimmer rennt. Merkwürdig, daß er mich nicht bittet, ihm zu folgen, um mich zu Fidos Zimmer zu geleiten. Stattdessen stehe ich weiter ein Minute nur so herum.
Plötzlich schrecke ich zusammen. „Krch, krech!“ – hinter mir ertönen einige sehr dissonante, monotone, schrille Laute schlimmer als Rabenkrächzen, die die Küchenidylle zerreißen. Es ist eine Schweizer Kuckucksuhr über den Abfalltonnen in der Ecke und es fährt immer wieder aus seinem Verhau ein bunter, kleiner, eiserner Vogel auf einer Schiene heraus und hinein.
Lachhaft, mein Bedarf an Geisterbahn-Abenteuer ist aber wirklich mittlerweile gedeckt!

d) das Augenveilchen und sein Preis

Erneut stürmt jemand anderes in die Küche, mit dem Telefonhörer in der Nackenbeuge, so daß ich keine Chance habe, ihn anzusprechen. Und schon ist er weg.
Hier in dieser Wohngemeinschaft herrscht aber ein toller Teamgeist – eine organisatorische Ordnung, die nicht mit meinem Bild von Fido zusammenpasst. Ist es schon beachtlich, sich im Haushalt mit abwechselndem Spül-, Putz-, Abfallentsorgungs- und Einkaufsdienst zu einigen, so ist es eine Meisterleistung, dies auch noch beim Kochen zu tun.
Kann das mit Fido zu machen sein?
Nachdem ich mich am Esstisch, in der Fensternische und sonstwo vergeblich nach einem Aschenbecher umgeschaut habe, will mir nicht in den Kopf, daß hier Fido wohnt, der doch raucht. Habe ich mich in der Adresse geirrt und sonstwas irgendwie nicht richtig auf die Reihe gekriegt?
Gerührt, verängstigt, ich weiß nicht, was ich tue, hebe ich den Topf mit dem Tuch und rühre den Inhalt des dampfenden Kessels und spüre, daß sich Augen von hinten in meinen Rücken bohren. Langsam lege ich sämtliche Dinge zurück, bevor ich mich jedoch umdrehe, höre ich die diesmal angenehme Stimme, die mich vor der Peinlichkeit der Situation errettet: „Ich werde verfolgt, vom FBI.“
Schön, denke ich. Fido steht hinter mir. Als ich mich umgedreht habe, bin ich überrascht von seinem Aussehen, da im Gesicht ein blaues Auge hervorschillert, als wäre es eine bunte Lasershow. Es musste ja so weit kommen, daß er eine Faust aufs Auge kriegte, denke ich, weil er bestimmt jemanden am Bahnhof beim Betteln zu sehr angegräzt hat. Hat sich das gelohnt wegen eines Euro? Lohnt sich überhaupt noch Betteln heutzutage? Bei dieser zahlreichen Konkurrenz, bei diesen ignoranten Schnöseln von Mitmenschen?  Natürlich stelle ich ihm diese Fragen nicht. Fido selbst musste und wußte dies am besten sich selbst zu beantworten.
„Ich weiß!“, sage ich und bin nahe daran, zu fragen, ob es eine Botschaft von der Geheimorganisation ist, anstatt von einem x-beliebigen Penner oder Dealer am Bahnhof. „FBI“ hätte ich fragen können, was seine Paranoia hätte nur bestätigt, aber wer weiß, in welches Wespennest ich da stoße und konzentriere mich aufs Naheliegenste.
„Wie geht’s Beluntschi?“
„Ah, ich habe ihn heute schon gewaschen!“
„Schön!“
„Ich bin auch schon gewaschen.“
„Noch Schöner!“
„Beluntschi ist sehr wichtig! Nicht?“
Warum fragt er das? Hängt dies mit dem Augenanschlag zusammen?
„Ja! Ist er!“
„Habe ich gemerkt.“
Aha, das blaue Alpenveilchen hängt mit Beluntschi zusammen, nicht mit der Bettelei. Diese Vermutung wird durch die Gestik unterstützt, nun nur scheu und flüchtig aufs Gesicht zu deuten. Peinlich, ich versteh’s, wer verweist schon gerne darauf, daß ihm ein blaues Auge geschlagen worden ist. 
„Ich habe es Dir ja gesagt, daß Beluntschi außerordentlich wichtig ist! Habe ich es Dir nicht?“
„Ja! Hast Du? - Hast Du etwas zum Rauchen?“
„Ja!“
Nachdem er sich offensichtlich mit Leib und Leben für das Wohlbefinden des Stofftieres eingesetzt hat, bin ich froh darüber, daß ich ihm diesesmal einen Zigarettenbeutel geben kann, der mit firschen, leicht drehbaren Tabak gefüllt ist.
Sofort setzt er sich an den Esstisch und dreht sich eine.
Ich platze fast vor Neugierde, wie der Zusammenhang zwischen Stoffhund und Augen-Veilchen-Glühen herzustellen ist, aber unterdrücke es zu fragen. In meinem Gehirn rotiert’s, weil ich mir keinen Reim darauf bilden kann, inwiefern dem FBI ein harmloser Stoffhund wichtig sein kann.
Wir gehen durch ein dunkles Zimmer, von dem ich kaum die Gegenstände erkenne, auf die Veranda. Dort zieht er genüßlich den Rauch ein und aus. Ich bin immer noch zum Zerreißen gespannt, was er mir erzählen wird. „Erzähl schon!“, zu sagen, liegt mir auf der Zunge.
Dies platze ich schließlich heraus.
„Zwei Typen haben mich besucht.“
„Ja! Zwei Männer von ... äh ... der FBI!“
„Vielleicht. Aber sie sind hier in der Küche gewesen, Gäste von nem Mitbewohner.“
„Aha!“
„Ich habe ihnen Beluntschi gezeigt.“
„Aha!“
„Dann haben sie ihn an sich gerissen. Fast auseinandergerissen. Haben in ihm herumgebohrt. Haben was gesucht bei ihm.“
„Ja!“ Ich verstehe zunächst nur Bahnhof.
„Nichts gefunden!“
„Hm. Was haben sie gesucht? Im Bauch von Beluntschi?“ Ich bin entsetzt. Mir kommt allmählich, worauf sie scharf gewesen sind.
„Sie haben gesagt, sie haben in Beluntschi Drogen versteckt, aber...“, dabei lacht er schadenfreudig, „nichts gefunden.“ Ich lache gleich mit. Einerseits, weil ich mich für Fido freue, andererseits um die Situation zu entspannen. Jedenfalls, das steht jetzt fest, nicht Gina hat das Haschisch da hineingesteckt, sondern zwei Fremde.
Wirr. - Alles wirr. - Wie sind sie dazu gekommen?
„Das war wohl sehr aufregend und spannend, was Fido?“ Leider hat da noch eine Spur Ironie mitgeschwunken. Ich bin zu weit gegangen.
Fido scheint der Spaß vergangen zu sein. Er antwortet nicht. Und wenn Fidos Spaßhaftigkeit und Ulkigheit erstickt worden ist, bei diesem Zwangsneurotiker, dann muß man diese Sache hier ernst nehmen, sehr ernst. Das wird wohl jeder Psychiater bestätigen können.
Ich frage ernsthaft.
„Nun, Fido. Ich weiß auch nicht, was ich sagen soll. Ich weiß nicht, wie das FBI oder die Drogenmafia zu Beluntschi Zugang bekommen hat, warum sie in ihm Drogen schmuggeln wollten oder so. Weißt Du das?“
„Nein, hab ich nicht verstanden. Haben etwas von Polizei und Dönerimbiss gefaselt. Haben etwas in den Arsch von Beluntschi hineingesteckt. Drogen. Damit die Polizei sie nicht kriegt.“ Er lacht darüber, weil er sich wohl freut, daß der Polizei ein Schnippchen geschlagen worden ist.
Leider auf seine Kosten.
Aber das scheint ihn wenig zu stören.
Wie ist zu erklären, daß Beluntschi in die Hände von Wildfremden gelangt? Hm, sie haben ihn vielleicht auf der Straße aufgeklaubt. Das ist eine Möglichkeit. Sind mit ihm in eine Dönerbude gegangen, die Polizei ist gekommen, schnell haben sie ihr Haschischblättchen in dessen Hintern gestopft, damit sie ihre illegalen Drogen loswerden und vor der Polizei verstecken können – ja, so könnte es gewesen sein. Aber daß sie dann das Stofftier vergessen haben mitzunehmen, kann ich mir nicht vorstellen – bei solch wertvoller Fracht? Alles recht undurchsichtig, unlogisch, verwirrend.
„Aber ich hab den Stoffhund geschützt, nicht!?“
„Ja, hast Du wohl. Du bist ein Held!“
Fidos Brust schwillt jetzt nicht vor Stolz auf. Lob lässt ihn letztlich kalt. Er will was Handfestes bekommen, nicht warmherzige Worte. Sein Blick streift meine Brust, meine Hose, geht wieder nach oben und bohrt sich in meine Hemdtasche, wo er wohl den Geldbeutel vermutet. Kein bißchen schüchtern zückt er die Hand. „Was springt jetzt bei raus?“
„Klar, klar!“, sage ich. „Der Politiker, Du weißt schon, ist großzügig, hat mir etwas für Deine Hilfe gegeben.“ Während ich meinen Geldbeutel langsam, sehr langsam ergreife, überlege ich, wie hoch Fidos Preis ist. Sagt man nicht, jeder Mensch hat seinen Preis? Wenn Fido bettelt, dann um einen Euro. Von daher ist er bestimmt mit Wenigem zufriedenzustellen. Unterdessen öffne ich beim Geldbeutel das Fach mit den Münzen. Mit ein paar Eurochen wird er zufrieden abzuspeisen sein, rechne ich mal. Aber das Unglück will es, daß sich darin nichts befindet, kein müder Knopf. Jetzt heißt es, in den sauren Apfel beißen. Die Lasche mit dem Papiergeld klappt auf. Ein schmaler Finger Fidos erscheint darüber, kreist etwas hin und her wie ein Flugzeug oder ein Geier, bis er sich auf etwas stürzt, in diesem Falle einen blauen Geldschein. Den roten hat er ignoriert, der Hundskerl.
Ich schaue ins lächelnde Gesicht Fidos, sein schillerndes Auge sehe ich übergroß und bin deshalb vor Anrührung machtlos.
Veilchen blüht ja ganz schön.
Trotzdem. Wucher ist es schon irgendwie.
Aber Veilchen zuckt wieder nervös, während Fido geradezu an der Zigarette nuckelt und saugt wie ein Baby an Mutters Brust.
‚So gesehen – du hast sie dir verdient, die 20 Euro!’ und ich finde mich damit ab, reiße den Stoffhund an mich und erkläre laut und feierlich: „Also, im Namen des hochgeschätzten Politikers und seines Sohnes, du weißt schon, bedanke ich mich herzlich!“
Fridos ist’s zufrieden – ich seh es. Also weg hier, bevor sein Preis noch mehr in die Höhe schnellt.
„Aber jetzt muß ich schnell weg. Wer weiß, ob nicht schon das FBI auf meiner Spur ist oder noch schlimmer, die Drogenmafia!“ Ich schaue mich gehetzt um.
„Überall lauert ja Überwachungssoftware. Im Handy auch.“
Schnell ziehe ich meins heraus, schalte es ab.
„Also, bis dann, Fido! Und nochmals danke. Tschau!“
„Wart, ich bring Dich raus!“
Nein, lieber nicht, am Ende holt er sich noch meinen 10er-Schein.
„Bemüh Dich nicht! Ich kenn mich aus!“
„Na dann: tschau, tschau!“
Ich schreite durch den spärlich beleuchteten Raum, durch die düstere Flurflucht entlang, orientiere mich schließlich an einem grünen Neon-Schild „Exit“. Merkwürdigerweise geht es zwar die Stufen hinunter in einem Wandelgang, woran ich mich nicht erinnern kann - ist es nicht einfach links im Parterre die Tür hinausgegangen? – aber ich bin so in Fahrt, daß ich nicht stoppe.
Plötzlich finde ich mich an einem merkwürdigen Ort wieder, wo man unverputzte Wände und durch Gatterverhaue diverse Möbelstücke sieht. Hier hat man das ausrangierte Mobiliar abgelagert, na klar, also Keller. Zurück nach oben.
Ich mache kehrt, gehe wieder die Wendelstufen hinauf und stehe vor der verschlossenen Tür. Mensch, die war doch vorhin noch offen gewesen. Durch die bin ich doch hierherein geleitet worden.
Ich bin eingesperrt, in den Keller verbannt. Wer macht sich da einen Spaß?
Ich poltere gegen die Kellertür.
Nichts rührt sich.
Das Licht geht schließlich aus.
Ich poltere jetzt vehementer. Umsonst!
Wahrscheinlich ist der „Exit“ der Ausgang des Kellers! Der ist unten, weit hinten. Weiter als ich gerade vorgedrungen bin.
Zum Glück finde ich innerhalb kurzer Zeit den Lichtschalter.
Umgewendet und wieder zurück in den Keller. Die Ausgangstür ist eine Stahltür. Fest verschlossen.
Retour.
Sowie ich die Wendelstufen hinaufgehe, klafft die Tür weit offen, wer spielt hier Spielchen mit mir?, und als ich durch diese in den Flur trete, lehnt ein Typ gegen den Türrahmen zur Wohnung, die Beine lässig verschränkt und wirft mir einen derartigen verächtlichen Blick zu, daß ich beinahe wieder die Kellertreppe rückwärts hinunterlaufe.
„Du hast wohl den falschen Ausgang erwischt, was?" In diesem Satz stecken zwei Tonlagen, zwei inhaltliche gegensätzliche Aussagen: Entschuldigung und Anklage!
Was nun, Entschuldigung, daß ich in die Irre geleitet worden bin oder Anklage wegen meiner Tappsigkeit?
Ich schaue mir den Pfeil des Exit-Schildes an, der nach unten in den Keller weist, statt nach links zum Ausgang hin. Da hat sich ein Spaßvogel einen üblen Scherz erlaubt.
Die Lippen des Typen verkrümmen sich noch ein wenig mehr nach unten.
Ich spute aus diesem Spukschloß!

e) das Schauspiel vor Gericht

Sowie ich den Gerichtssaal betrete, poltert mir eine mächtige Stimme entgegen:
„Bitte das Corpus delicti dort auf den leeren Tisch vor dem Gerichtstresen stellen.“
Der Ton ist derartig breit, laut und raumergreifend, daß ich blind eingeschüchtert tue, wie mir geheißen. Vor der langen Reihe von Stühlen, auf denen sich Angeklagte und Besucher setzen dürfen und dem länglichen, fast die ganze Stirnseite ausmessenden Gerichtskatheter, steht verweist ein Tisch. Da davor kein Stuhl ist, ist er nur für Beluntschi vorgesehen.
„Aber bitte so, daß das Gesicht zum Hohen gerichtet ist.“
Auch das mache ich. „Setzen Sie sich auf den Stuhl in der Mitte der zweiten Reihe!"
Auch jetzt werde ich von der gewaltigen Stimmwelle dorthin vorangetrieben. Als ich vor dem vermeintlichen Sitzplatz stehe, fange ich mich wieder und werfe einen Blick auf die überraschende Soundquelle.
Auf einem Podest erhöhtem Katheder oder diesem großmächtigen Tresen herab sitzt eine Person, die mich dauernd fixiert.
„Darf ich?“
„Machen Sie nur, machen Sie nur!“, ertönt nun wohltönend, prächtig und breit-bayerische Stimme. Ich muss den richtigen Platz getroffen haben. Als ich mich niederlasse, blickt mich der Bulle immer noch an, als wolle er mich aufspießen. Bulle muss ich leider sagen, weil er so aussieht: großer Schädel, Doppelkinn bis zur Tischplatte, beide Hände über diese gelegt und sich darauf abgestützt. Bullig, okay, ist nicht so treffend hinsichtlich seines mondförmigen Gesichts. Auch haben Rinder hängende Kinnlappen, wogegen dieses hier prall wie ein Euter gefüllt ist. Von daher müsste man eher von Schweinskopf sprechen, wenn es nicht zu menschenverachtend wäre.
Ich denke mir, hat denn der Bulle nichts zu tun? Zum Beispiel in Gerichtsakten schauen, schmieren, pardon schreiben oder blättern? Aber nein, noch bis jemand kommt und das dauert seine Zeit, glotzt der mich dauernd an. Dabei macht er dies nicht heimlich, sondern ostentativ, als wolle er irgendetwas aus mir herausholen durch seinen stechenden, beharrlichen, unverschämten Blick.
Von daher fühle ich mich durch diesen Blick schon genug gestraft: aufgespießt.
Ich hole meine Sachen heraus, mein Sudelbuch und mache mich an die Arbeit, indem ich ihn zeichne.
Er wird bestimmt denken, ich schmiere irgendetwas voll, wie ich gerade von ihm gedacht habe.
Ich blicke auf mein Blatt Papier, schaue mir das Konterfei des Objektes an, mehr bietet er nicht, mehr kann ich nicht sehen, wird auch besser so sein und dann versuche ich ihn aufs Blatt Papier zu zeichnen. Er bietet wenig Ecken und Kanten: nur ein Kreis, Schlitze der Augen, des Mundes, oval-, ellipsenförmige Lippen, Ohren, die fast ein bißchen abstehen, so das ist’s schier.
Ich merke, ich wünsche mir, daß bald jemand kommt, der Richter zum Beispiel. Es ist klar, der ist derjenige welche mitnichten. Das ist – ich habe keinen Begriff dafür. Vielleicht der Gerichtsdiener, wenn es so etwas noch gibt. Na, wird sich herausstellen, aber bald! Hoffentlich!
Was kann ich noch zeichnen?
Die Lider sind kaum zu sehen, weil sie weiß sind vielleicht?
Wer hätte gedacht, daß ich mich richtiggehend freue über den Anblick einer anderen Person und ist es der Richter, der Staatsanwalt, egal wer? Wahrscheinlich ist gerade dies seine Funktion. Starre den Delinquenten derartig intensiv lange an, bis er sich auf Staatanwalt und Richter freut!
Zwei Personen erscheinen, jeder mit einem schweren Aktenordern unter dem Arm – oh Freude, wirklich, froh bin ich darüber. Sie setzen sich. Ich setze ein breites Grinsen auf, aber aus innerer Freude heraus. Da aber mein Blick wieder auf den Bullen fällt, fällt mir diese Redewendung ein: „Ihnen wird schon noch das Grinsen vergehen!“, so daß ich mein Lächeln sofort einstelle. Natürlich habe ich noch alle guten Geister beieinander, daß ich nicht vor Freude geschaut habe.
Also, jetzt wird’s wohl Ernst oder was?
Das Prozedere am Anfang einer Gerichtsverhandlung können wir uns sparen, ich habe dafür taube Ohren. Nach den ersten zehn Minuten unnötiger Informationen bezüglich Person und Allgemeinsachen, schlafe ich fast ein, werde aber von einem Räuspern des Bullen, einem ostentativen, wie mir scheint, aufgeschreckt. Okay, ich stelle mich auch diesem.
Dann geht’s aber zur Sache, voilà.

"Ich habe nichts von diesem Haschischplättchen in diesem Teddyhund gewußt, geschweige etwas geahnt!"
Richter: "So!"
Staatsanwalt: "Er hat es bestimmt gewußt." Und er wendet sich vom Richter zu mir: "Sie haben die ganze Zeit den Hund gehabt."
"Ja, nur ein paar Tage eigentlich!"
"Während einer gewissen Zeit, sagen wir vier fünf Tage...“
„Ungefähr!“
„...war jedenfalls der Stoffhund in ihrem Besitz. Und sie wollen derweil nichts gemerkt haben von dem harten Gegenstand in seinem weichen Stoffkörper?“
"Nein, weil dieser ja tief im After gesteckt war und da war er gut versteckt. Er ist ein Geschenk von einer Freundin und während der Woche, wo ich in der Wohnung bei meiner Freundin verbracht habe, habe ich ihn nicht angefasst. Der war nur in einer Ecke gelegen."
"Na, selbst wenn sie ihn nicht in diesen knapp einer Woche in die Hand genommen haben, haben sie ihn immerhin dann, als sie ihn zum Bahnhof trugen, umfasst. Und dann haben sie bestimmt etwas Festes gespürt, das da in dem Bauch des Kuschelhundes etwas stecken musste. Spätestens dann!"
Der Richter geht dazwischen, indem er noch noch einmal früher ansetzt, als er mich fragt: "Aber sie haben während des Wochenaufenthaltes bei ihrer Freundin doch das Stofftier hin- und wieder in den Arm genommen!"
"Ja, hin und wieder."
"Dann haben Sie ihn gedrückt, an sich gedrückt."
"Nein, weniger. Das habe ich zurzeit nicht nötig. Ich habe eine Freundin!" Wenn der wüßte. Das hätte auch nichts an dem Streichel- und Drückbedürfnis geändert.
Ob der das wissen kann, der Staatsanwalt und der Richter, davon hing diese Aussage hinsichtlich der Frage des Gewichtes und der Einschätzung ab, ob es ein gutes oder schlechtes Argument ist, ganz klar.
Staatsanwalt und Richter schauen sich so merkwürdig an. Aha, sie haben wohl auch a-sexuellen Frauen und Freundinnen der üblichen Sorte aus diesem Kulturkreis zu Hause.
Dieses Argument hat demnach glaubwürdig geklungen.
Eins zu Null für mich!
Der Staatsanwalt fährt in dieser Richtung fort: "Und dann haben sie bestimmt etwas Festes gespürt, das da in dem Bauch des Tieres sich befand."
"Nein, ja, vielleicht. Jedenfalls wenn ja, dann habe ich mir gedacht, daß dies der Kern, die Basis, der Mittelpunkt des Stoffgebildes ist, im Sinne, daß der ja auch einen festen Bezugspunkt hat oder so ähnlich, Sie wissen schon, braucht! Vielleicht ein mechanischer Bezugspunkt. Vielleicht, daß jeder Teddybär solch einen materiellen Mittelpunkt hat. Sei es, daß er bei der Herstellung daran aufgehängt wird, während die Stoffform um ihn herum gegoßen, aufgetragen oder angehängt wird, was immer..."
Dieses Sie-wissen-schon war schlecht, weil Kumpanei-Verhalten, das kommt schlecht an. Aber mein neues Argument ist mir beim Aussprechen schon schwach vorgekommen, so daß ich ins Schliddern, Schleudern und Straucheln geraten bin und mit so einem plumpen Quasi-Du mich abfangen wollte.
Richter und Staatsanwalt schauen nicht einander an. Ich weiß letztlich von daher nicht, wo ich stehe.
Eins zu Eins.
Staatsanwalt. "Sie behaupten also, nichts von diesem Hasch, bis zum Betreten des Zuges, gewußt zu haben!"
"Ja!"
"Dann haben Sie erst im Zug festgestellt, daß sich in dem Hund ein fremder Gegenstand befindet."
"Ja!"
"Aber warum gerade da und nicht vorher!"
"Na, weil ich mit dem Teddy aufs Klo gegangen bin."
"Sie sind mit einem Kuscheltier auf die Toilette gegangen, warum?"
"Nicht, weil ich es beim Stuhlgang bräuchte, so ein Tierchen in den Armen zu nehmen..."
Alle schmunzeln leicht und ich gerate ins Stocken, setze aus zu reden, da ich von deren Schmunzeln zu sehr beeindruckt bin.
"Normalerweise gibt man, geht man auf Klo, zuvor jemanden die Gegenstände, die einem wichtig sind oder bittet diesen, darauf aufzupassen während der Abwesenheit."
Weil ich das nicht genau gehört habe, schließlich habe ich ja noch nicht meinen Satz beendet, was ich jetzt tue: „...sondern, damit er von meiner Mitfahrerin wegist. Was haben Sie gesagt? Entschuldigung!"
Der Staatsanwalt wiederholt engelsgeduldig noch einmal. Überhaupt, Wiederholungen, habe ich schon mit Erstaunen festgestellt, kommen sehr oft vor bei diesen Verfahren, bei Gericht, vor. Als klammerten sie sich daran, wenigstens auf etwa Bezug nehmen zu können, das Hand und Fuß hat. Oder so lange wie möglich an ein Weiterkommen, Ende, an einer Entscheidung zu gelangen. Oder den Angeklagten zu enervieren.
Ich wiederhole gleichfalls meine Aussage, wenn die das so machen, ist es erwünscht und wiederhole das, was ich im letzten Halbsatz gesagt, ausgedrückt und verstanden haben wollte, mit anderen Worten.
"Wie das?" Ich habe mich nicht genug erklärt. Der Staatsanwalt will mehr hören.
„Nun, Gina, meine Begleiterin, hat mit dem Hund auf auf dem Bahnhof schon so ein lautes Tamtam veranstaltet mit Knuddel-Dich-da und Knuddel-Dich-dort, daß es auffallend war und die Leute auch angefangen haben zu lachen, zu girren undsoweiter. Das wollte ich nun nicht wieder im Zug erleben."
"Hm. Und dann haben Sie erst in der Toilette gemerkt, daß da ein Ding war. Aber warum?"
"Na, die Kajüte war recht klein, ich konnte Beluntschi nicht ablegen."
"Beluntschi ist der Name des Hundes!"
"Sie haben es erfasst, Herr Staatanwalt." Na, das klang bestimmt auch nicht so gut.
Formfehler. Solche dürfen überhaupt nicht unterschätzt werden.
Zwei zu eins für den Staatsanwalt.
"Und da habe ich, als ich auf der Schüssel saß, halt den Hund in den Armen gehabt. Ihn umfasst. Und da ich schweren Stuhlgang hatte, Sie verstehen schon, habe ich ihn an mich gedrückt, weil ich oder mein Körper mich so gekrümmt hat."
Das mit dem Sie-verstehen-schon war wieder nicht so gut, aber nicht so schlimm. Die Sache ist peinlich, jedem würde es peinlich sein, da darf man schon so ein vages Einsprengsel wagen. Denn weil ich jetzt keine weiteren Einzelheiten darlegen wollte, was wohl nicht so angesagt, appetitanregend und justiabel gewesen wäre, darf man darüber hinweggehen, meine ich.
Oder?
Die Vorstellung, jemand sitzt auf dem Klo, in einem Zug, es rüttelt und schüttelt sich die Kabüse, in der er sich befindet, er hält ein Stofftier in den Armen, während er drücken muss. Ich glaube, sie verstehen mich.
Oder nicht! (In diesem Fall müssen sie diesen Absatz lesen, andernfalls überspringen!)
Gut, der Mensch, er muß drücken, damit der harte Kot aus seinem After und in diesem Fall zu engen Schließmuskel undsoweiter - also nicht so schön. Jedenfalls wollte ich dies, diese Vorstellung, diese sich wohl automatisch assozierenden, unbedingt einstellenden Gefühle, genau, Schmerzen, den beiden hohen Herren ersparen.
Sie vertiefen sich tatsächlich in ihre Unterlagen, woraus ich schließe, daß ich ihnen jetzt wirklich weitere Details ersparen sollte.
Einen Punkt für mich!
Zwei zu zwei. Pattsituation.

f) der Härtetest

Plötzlich nimmt der Prozeß einen unverhofften Verlauf und endlich kommen wir zu Beluntschi selbst.
Der Staatsanwalt: „Ich möchte des Angeklagten Aussage überprüfen, ob es sein kann, daß der Angeklagte das Stofftier eine Woche lang zuhause gehabt hat, also in einer Wohnung und diesen hin und wieder in die Arme genommen hat, mehr nicht, ohne dabei etwas von einem Fremdkörper im Stofftierkörper gefühlt und gespürt zu haben. Kann das möglich sein? Das Tier scheint mir durchaus weich zu sein, aus weichem, biegsamen Material zu bestehen, anders als man bei solchen Stofftieren ausgehen darf.“
Sein Blick ist gegen den Richter gewendet gewesen, dieser nickt deutlich. Dann nimmt er mich ins Visier.
„Ich ersuche den Angeklagten, er solle dieses Stück in den After des Stofftiers stecken.“
Er hält einen Radiergummi hoch, einen rot-blauen, eine Seite, die rote ist für Bleistifte, die andere blaue für Kugelschreiber. Das Material ist ziemlich hart für gewöhnlichen Gummi. Von daher gleicht es von seiner Konsistenz und Beschaffenheit her annähernd einem Haschischplättchen. Ein guter Schachzug, Respekt.
„Ist dieser Radiergummi etwa so hart wie zusammengepresstes Hasch?“
Ich erhebe mich und gehe zum Staatsanwalt, nehme ihm den Gummi von den spitzen Fingern, die er demonstrativ nach vorne gestreckt hält mit seinen gleichfalls nach vorne ausgefahrenen Arm, wobei der Ellbogen auf den Tresen ruht. Dieses hohe Tier verbiegt sich regelrecht. Ein Schmunzeln kann ich kaum verhehlen. 
Ich muß ihm bezüglich seiner Aussage von der Gleichheit zwischen beiden Materialien Recht geben, wenngleich, nachdem ein bißchen abgetastet, erkläre: „Ein Deut, ein kleines bißchen weicher. Wenn auch kaum merklich.“
Dann tue ich, wie mir geheißen.
Nähere mich also Beluntschi von hinten, gegen das Publikum zu. Aber was heißt hier Publikum? Es ist außer mir niemand anwesend.
Deshalb kann ich diese delikate Prozedur auch vor anderer Augen verborgen durchziehen, da ich mich mit dem Rücken gegen die Herren Juristen wende. Ich glaube, mir dies erlauben zu dürfen, angesichts dessen. Kein Murren, kein Widerspruch erklingt von deren Seite.
Als der Gummi in den Stoffhund drinnen ist, wende ich mich wieder um, halte mein Plasierchen ein bißchen in die Höhe, schließlich sitzen die Herren ziemlich erhöht, vielleicht trotzdem eine überflüssige Geste, aber zur Absicht etwas zu demonstrieren durchaus passabel, finde ich.
„Sehen Sie, Sie merken gar nichts, so sehr sie auch gegen den Hund drücken.“
Der Staatsanwalt lacht wissend.
„Das sagen Sie! Geben Sie uns einmal den Hund!“
Jetzt entzieht sich dem Gerichtsdiener vor Vorfreude ein verdruckstes Lachen, wobei sich sein rundes Gesicht wie das Universum in alle Richtung ausdehnt.
Ich denke, nanu, was gibt es da zu lachen?
Aber klar, er wird wohl auch mitmachen dürfen, auch den Stoffhund zwischen seine Pranken zerdrücken, pardon, drücken, ihn in den Arm nehmen und knuddeln und wiegen dürfen wie die Mutter ihren Säugling, womöglich gleich einen tiefen Blick in den After werfen. Wenngleich nicht seine Wurstfinger dahineinstecken, so ich hoffe. Im Falle doch, wird er von einem aufschreienden Protestruf meinerseits daran gehindert werden, darauf kann er sich verlassen.
Während ich Bluntschi nach vorne trage, schwöre ich mir: wenn diese edlen, hohen Herren Beluntschi nur ein Haar krümmen, dann flippe ich aus!
Beluntschi wird also reihum gereicht. Mir schmerzen sämtliche Körperfasern bei diesem Anblick des Drückens von Beluntschi. Zum Schluß hält natürlich der Gerichtsdiener den Stoffhund wie einen Ballon in seinem Arm und drückt und drückt auf ihn vom Rücken her gegen seinen fetten Wamps. Vermute ich einmal, daß es sich bei dessen Bauch darum handelt, leider oder besser so kann man jedoch nichts Genaues nicht erkennen von meiner Perspektive aus. Andernfalls würde mir das Herz im Leibe bluten.
Dies geht eine ganz schöne lange Zeit. Viel zu lange nach meinem Gefühl. Dabei lacht er, daß sämtliche Gesichtsteile wackeln wie ausgeleierter Gummi. Er drückt und drückt und ich sehe Beluntschi schon wie einen Traum und Ballon in Tausend Stücke platzen.
Ich kann mich kaum zurückhalten, grummele bereits in Selbstgespräch-Manier, bevor er tatsächlich den Stoffhund weglegt und zwar auf den Tisch. Nun kommt das schlimmstmögliche Szenario: Der Gerichtsdiener – armer Beluntschi, Dir wird auch nichts erspart - wirft einen durchdringenden Blick in den Hundeafter. Dazu beugt sich jener etwas nach unten mit dem Kopf, um dahineinzustieren, wo der Gummi drinnsteckt. Womöglich steckt er von meinem Blick uneinsehbar seinen Finger rein...
So haben wir aber nicht gewettet, ihr Gerichtsmenschen, brause ich innerlich auf. Von Drücken haben wir gesprochen, nicht von Rumstocher, Rumfummeln und Rumbohren im Hundeafter!
Der Diener oder welche Funktion auch immer er haben mochte, verzieht – das ist die absolute Höhe – jetzt seine Nase, so, als rieche er etwas Anrüchiges. Mann, der hat doch nicht alle Tassen im Schrank. Dabei verdreht er noch die Augen, als bekäme er einen epileptischen Anfall. Immerhin, er wagt es nicht, einen Blick zum Staatsanwalt und Richter zu werfen. Das wäre auch Kumpanei, Verschwörung, Korruption, Mafia-Verhalten!
Dies wagen die Herren nun doch nicht, sich über den Hund und damit mich lustig zu machen. Dazu sind sie zu sehr von der Ernsthaftigkeit ihres Amtes überzeugt, diese Ehrwürdigen, diese Staatsvertreter, diese hochwürdigen Exzellenzen. Trotz dem, zumindest der Richter, der noch am Normalsten zu sein schien, lächelt wenigstens einer etwas verschmitzt. Jedenfalls wirft er, um dieses sein Schmunzeln zu verbergen, einen Blick in die Akten, nur um zu verheimlichen, zu vertuschen, zu kaschieren, daß das hier nicht mit rechten Dingen zugeht, jawohl! Darüberhinau auch noch lächerlich ist, absolut und eindeutig!
„Sind Sie nun fertig!“, funke ich, jetzt mich nicht mehr im Zaum halten könnend, dazwischen.
Der Dickkopf lächelt dazu sein treuseliges Lächeln um eine Spur mehr und nickt mit seinem Mondgesicht wie einer dieser Hunde, die mehr Lappen als Kinn an ihrem Schädel hangen haben. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen und springe auf und renne zum Was-Weiß-Der-Mond-Wozu-Der-Hier-Sitzt, entreiße ihm den kostbaren, sensiblen, lieben Beluntschi und schreite fast wie ein schneidiger Soldat im stechenden Schneiderschritt zum Altar dieses Sitzungssaals, heiligen Halle, Tempel von Delfi, nämlich zum verwaisten Tischchen. Darauf setze ich ihn sanft ab, streife noch seine langen Ohren herunter, streichle und betätschle ihn hinten und vorne, vor allem ziehe ich den Schwanz über den vermeintlichen Tatort, den neuralgischen Punkt, dem Kreuz des Südens, des Nexus, kaum daß ich Heidschi-Bumbeidschi-Worte dazu herrunterbete, -leiere und -murmle.
Zum Affen wie andere hier muß ich mich nun nicht machen!

© Werner Pentz

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