Die Geburtstagsnacht

Märchen zum Thema Alleinsein

von  Terminator

In einer Stunde werde ich 30, denkt Hiite, aber ich fühle mich wie 13, und nein, nicht so fröhlich und vital, sondern so am Anfang mit all den Lieblichialitäten. Das Studium ist längst geschafft, die Arbeit hat die Schule abgelöst, aber nur als Ort der Plackerei, nicht der Begegnung. Es ist 23:03 auf Hiites Uhr, er geht durch die schwach beleuchteten Gassen der Stadt und denkt über sein Leben nach. Über sein Unliebesleben, genauer gegast. Über sein Unliebessein, scharfzüngiger gegiftet. Die Laternen versprühen eine solche Trauer, dass sich die Bäume abzuwenden scheinen, während Hiite in den Park hineinspaziert. Die Menschen, denkt Hiite, kommen wegen Eitelkeiten, Kleinigkeiten miteinander nicht klar, und er selbst, mit seiner sozialen Kommunikationsstörung, kommt eigentlich nur mit Arschlöchern nicht klar, wird als Freund geschätzt, als aufrichtiger Mensch geachtet. Ein ordentlicher Typ, der Hiite. Manchmal beneidet er sich selbst um die Vernünftigkeit und Besonnenheit, die ja stets ein großer Segen war, denn er hat keine bereuenswerten Fehler gemacht, seine Seele ist leicht wie eine Feder. Aber er hat eben auch sonst nichts gemacht, nur gelernt und gearbeitet, nungut, hier und da zugehört, hüben und drüben geholfen. Der Park endet am Fluss, Hiite schaut wieder auf die Uhr: noch 40 Minuten, dann wird er 30. Nie, Quasch nie, immer, jeden Tag hat er sich so allein gefühlt. Wie einem Verdurstenden das Wasser fehlt ihm das lebenswichtige Geliebtizin, aber das gibt es nunmal nicht in der Apotheke zu kaufen.

Hiite spaziert am Fluss vorbei am Rande des Parks. Ganz selbstverständlich schlendern Menschen paarweise an ihm vorüber: gewöhnliche, schwule, lesbische. Hiite ist nichts besonderes, ein gewöhnlicher junger Mann. Nur überdurchschnittlich intelligent und ungewöhnlich still. Aber wozu auch Lärm machen, er ist doch keine hysterische Lusche. Hiite ist solide, ein korrekter Typ. Er hält Durststrecken aus, er kann mal länger leiden, ohne zu jammern. Er erzählt auch niemandem, wovon er niemandem erzählt. Ein Windstoß fühlt sich auf der Haut an wie ein Hauch nächtlicher Geliebtität, Hiite lächelt seit Langem wieder. Melancholisch bin ich nicht, denkt er, schon gar nicht depressiv, er würde seinen Gemütszustand am ehesten als iggeliebtifiziell beschreiben. Noch fünf Minuten. Über die Brücke, und dann nach Hause, schlafen. Morgen wird er nicht feiern. Einsamkeit erträgt man am besten allein. Auf der Brücke stellt er fest, dass er eigentlich überhaupt nicht selbstmordgefährdet ist, als er über das Geländer steigt. Aber die Sehnsucht sagt der Hoffnung, lass die Phantasie noch an, dreh sie voll auf, es will sich ja so sehr, dass etwas passiert, weiß aber selbst nicht, was. Hiite schließt die Augen und denkt an mädchenhändchenische Berührungen, an süßniedlichzartverspieltes Verlegenheitsgelächter, an die Miezen damals in der Elften und in der Zwölften, an den aus Schüchternheit verpassten Schulabschlussball, an sein Tunnelblickstudium, an  all die Momente, als jemand ruft: “Weg da, stören Sie mich nicht beim Springen!” Vier Stunden später hat Hiite den Herrn Mitte 40 überzeugt, keinen Suizid zu begehen, und begleitet den neuen Lebensmut fassenden Mann nach Hause. Erschöpft macht er die Tür seiner Wohnung auf, fällt auf seine Schlafcouch und erinnert sich im letzten wachen Moment, dass er 30 geworden ist.


Anmerkung von Terminator:

2.2019

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