Hinkommen

Erzählung

von  minze

Dieser Text ist Teil der Serie  Along
Wir sind am Bahnsteig, du bist kleiner als erwartet, ich muss jetzt aus dem Zug aussteigen. Ich weiß nicht, in welchem Tempo du dich mir nähern wirst. Wie lange wir zu dir gehen werden. Dein Mountainbike ist blau und du trägst ein blaues Sweat-Shirt, siehst aus wie aus den späten Nullern, sozusagen ein Jahrzehnt zu spät. In mir rührt sich, was mich früher bewegt hat: das ist der Look der Boygroups, die weiten Kapuzenshirts oder so. Geil, ich muss etwas befreiend lächeln. Vielleicht bist du auch der Skater und Hip-Hopper und ich verkenne das einfach nur. Ich finde dein Zurücklächeln freundlich, nur deine Augen weichen mir gleich aus. Wir gehen durch große Häuserreihen, die ich nicht einordnen kann. Es ist überhaupt nicht süddeutsch hier, verständlicher Weise, ich bin schließlich dreizehn Stunden mit der Bahn gefahren. Ich bin an einem anderen Ort hier. Es wird nicht deutlich, ob es dein Ort ist oder ob du eher zufällig hier gelandet bist. Wenn wir nebeneinander hergehen und nicht ankommen, fühlt es sich normal an. Es wird dem gerecht, wie wir unscheinbar verbunden sind oder auch nicht. Ich bin erleichtert bei dir zu sein, trotzdem.

Ich verstehe nicht, warum ich komische Dinge denke; so etwas, wie, dass du nicht meine Tasche trägst. Entgegen zu jedem Verständnis vom Frausein und entgegen vom Gastfreundlichkeitsgedanken, den ich noch gar nicht entwickeln konnte. Ich habe dazu eigentlich keine Vorstellung. Und wenn, fiele sie auf Begriffe wie locker, herzlich, offen sein zurück. Nichts, was im Moment sichtbar wird. Die harten Gedanken drücken sich durch, machen ihre Phrasen, wo wir nicht ins Gespräch kommen. Du könntest mich Unverfängliches fragen und ich darauf antworten. Nichts an diesen Gedanken würde nerven. Ich erwarte das so. In Leerpausen, die mich unsicher machen, wenn mein eigener Weg kein Selbstläufer ist, kommen Behauptungen, bekommen sie ihre Bühne.

Würde ich weniger nachlassen in meiner Wachheit, die bereit ist, alles neu anzufassen: ohne Bewertungen, die von außen kommen, so gingen die Behauptungen zurück, in Deckung. Aber ich schlafe ein, wenn wir das Jetzt nicht füllen.

Als wir in deiner Wohnung sind, habe ich den Eindruck, die Möbel sind herausgetragen. Die Bilder und Photos auch, nur noch der Rechner und die Küche stehen. Und eine Couch. Aber du setzt dich darauf, als wäre es so in Ordnung, komplett. Ich setze mich einfach dazu und wir essen auf der Couch, vielleicht gibt es keinen Esstisch, ich meine, vielleicht gab es den noch nie. Ich suche nach einem physischen Kontakt. Ich fasse dich nicht an, aber erwarte still, dass ein Härchen von dir auf dem Sofa liegt oder du länger sprichst, sodass sich der Eindruck deiner Stimme verfestigen kann. Sie verfängt sich im Nachhall. Je mehr ich dich zu mögen versuche, desto mehr entzieht sich mir dein Gesicht. Als sollte ich es nicht ganz ansehen können. Dafür bin ich gekommen. Ich wollte dich ansehen und dass du mich ansiehst. Ein wildes Tier in mir wollte dich auch anfassen. Oder es darauf ankommen lassen, dass du etwas mit mir machst, dass du richtig was mit mir machst.

Wohin du es wohl steckst, vielleicht sollte ich mich auf den Couchtisch setzen und die Teller zur Seite schieben, damit du nicht diese Wahl der Wahrnehmungsfeigheit hast. Du siehst mich an, wenn ich durch den Raum gehe, hinter meinem Rücken, das tut mir weh. Aber ich setze noch auf Zeit, darauf, dass wir irgendwann in einen Redefluss kommen und sich die Chance ergibt, hinzukommen, zu dir hinzukommen.

In den Momenten, in denen ich deine Physis erlebe, bist du auf Toilette. Du verschwindest nicht länger, als nötig. Du verschwindest so, dass du mir fehlst und der Raum an Wärme verliert und ich merke, dass er wirklich von dir belebt, bewohnt wird. Du gehst und ich bleibe ein wenig verlassen zurück und du füllst den Raum wieder aus, wenn die Spülung gedrückt wird und du wiederkommst.

In diesen Momenten, in denen wir beide im Raum sind oder nur ich, merke ich nicht, wie ich den Raum befülle, wie sehr zu viel vielleicht. Dass die Wohnung unbehaglich ist, wenn du sie nicht im gewohnten Maße bewohnst. Dieses Gefühl entwickele ich erst, als du mich bittest, zu gehen.

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Kommentare zu diesem Text


 eiskimo (06.02.21)
Spannend, diese ins Leere gehende Annäherung. Die Wahrnehmungsfeigheit des "Gastgebers" ist zum Greifen. Ein Beziehungs-Crash. Super geschrieben.
lG
Eiskimo

 minze meinte dazu am 06.02.21:
Danke für dein Feedback. Freu mich wenn das so spürbar wurde beim Lesen!

 Bella antwortete darauf am 06.02.21:
Ja, das wurde sehr spürbar! Ich habe mich am Ende richtig geärgert, dass die Ich-Erzählerin gebeten wurde zu gehen ... Hat doch die Spannung vorher so zugenommen, der Wunsch nach irgendeiner Annäherung... Ich schließe mich Eiskimo an, ich finde es auch gut geschrieben!

 minze schrieb daraufhin am 07.02.21:
Danke Bella. interessant, dass du einen Spannunsbogen emfpindest, da war ich mir gar nicht so sicher.
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