Wie gewonnen so zerronnen

Anekdote zum Thema Verlust

von  EkkehartMittelberg

Vermutlich haben Sie den Inhalt dieses Sprichworts im übertragenen Sinne einmal selbst erlebt. Ich möchte hier erzählen, wie es mir wörtlich geschah.
Ich verbrachte einen Urlaub in der Südsee auf der Insel Bora Bora. Damals war ich leidenschaftlicher Raucher von Zigarillos und meine Vorräte waren zur Neige gegangen. Die Pension, in der ich wohnte, war sehr abgelegen. Ich musste bis zum nächsten Hotel, das Rauchwaren führte, 30km mit dem Fahrrad fahren. Darauf freute ich mich, denn man hat auf fast allen Straßen Bora Boras zauberhafte Ausblicke auf den Strand und den türkisfarbenen Korallenring um die Insel.
Ich erreichte mühelos das Hotel und kaufte mir eine große Schachtel Zigarillos, die ich in die Tasche meiner Shorts steckte. In Vorfreude auf den Genuss machte ich mich bei hellem Sonnenschein wieder auf den Rückweg. Doch schon nach einigen Minuten stiegen dunkle Wolken am Horizont auf. Das beunruhigte mich nicht, weil ich gehört hatte, dass der Tropenregen warm sein sollte.
Was ich nicht ahnte, war, mit welcher Geschwindigkeit und Intensität er einsetzte. Das muss man erlebt haben, es goss wie aus Kannen. Ich fuhr aber unverdrossen weiter, weil ich das Bad im angenehm temperierten Regenwasser als Vergnügen empfand. So erreichte ich munter meine Pension. Meine Kleidung war so nass geworden, dass ich sie auswringen musste.
An die Zigarillos hatte ich nicht mehr gedacht. Aber als ich jetzt im bequemen Sessel saß, freute ich mich umso mehr auf entspannten Genuss. Mit großer Befriedigung griff ich in die Tasche meiner Shorts, die an der Wäscheleine hing,um die Schachtel mit den Zigarillos herauszuziehen. Doch die Pappe der Schachtel war total zerfasert und die Zigarillos hatten sich in Krümel aufgelöst. Durch die immense Flüssigkeit des Tropenregens war mein kleiner Schatz, für den ich immerhin 60 km gefahren war, zerronnen.
Es half nichts. Ich musste Verzicht üben bis zum nächsten Tag, an dem ich mich zu neuem Gewinn auf mein Rad setzte, diesmal freilich nicht ohne eine große gut verschließbare Blechschachtel. Meinem zweiten Versuch lachte jedoch unbeirrt die Sonne.

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Kommentare zu diesem Text

Sätzer (77)
(08.02.21)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 08.02.21:
Merci, Uwe, nachdem ich die Sucht vertrieben hatte, wunderte ich mich, wie leicht man auch die Antriebe für andere Ziele ersetzen kann.
LG
Ekki

 AZU20 antwortete darauf am 08.02.21:
Ja, diese Süchte. Was wäre man ohne sie. LG

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 08.02.21:
Vielen Dank, Armin, ohne sie wäre man bestimmt nicht menschlicher.
LG
Ekki
Al-Badri_Sigrun (61)
(08.02.21)
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 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 08.02.21:
Grazie, Sigi, die landschaftlichen Schönheiten der Inseln der polynesischen Südsee sind so spektakulär, dass ich über sie gleich mehrere Stories schreiben kann. Thema: Das Paradies kann nicht schöner sein, aber auch dort lauern Gefahren,
Herzliche Grüße
Ekki

 FrankReich (08.02.21)
Gab es denn damals Red Bull noch nicht? 😂😂

Ciao, Frank

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 08.02.21:
Gracias, Frank, wenn es Red Bull gegeben hätte , ich hätte nicht getauscht.
LG
Ekki

 GastIltis (08.02.21)
Lieber Ekki,
ein schöner Text, den ich zwar nicht nachvollziehen kann, weil ich Nichtraucher bin. Dass übrigens gestern bei 3sat ausführlich über die Südsee und ein wenig sogar über Bora Bora berichtet würde, erwähne ich, weil mich die Geografie unserer Erde immer schon interessiert hat. Dass ich wenig, d.h. so gut wie gar nichts, davon zu sehen bekam, ist ein anderes Kapitel. Deshalb erfüllt mich das Lesen schon ein wenig mit Wehmut. Zum Problem der Sucht ist es so: Mein Vater war starker Raucher, auch Sportler, aber die Sucht hat ihn in der Gefangenschaft noch 1945 in der Nähe von Kiew das Leben gekostet. Die Entscheidung, sein Essen gegen Zigaretten zu tauschen, war verantwortungslos. Gegen das Leben, die Familie und seine eigene Vergangenheit. Wenn ich z.B. Argumente höre für die Produktionszahlen von Tabakerzeugnissen oder Waffen, denen Arbeitsplätze entgegenstehen, gibt es für mich kein Pardon. Mein Verbrauch oder Konsum steht und bleibt bei Null! In unserem Land müsste dafür niemand hungern. Dennoch, Ekki, ich sehe dich im Geist radeln. Und es hat wohl auf Dauer nicht geschadet. Das ist gut so.
Herzlich grüßt dich Gil.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 08.02.21:
Merci, mein Freund, aus gesundheitspolitischer Sicht gibt es kein einziges Argument für das Rauchen. Aus literaturgeschichtlicher Perspektive ist es freilich ein hochinteressantes Motiv. Ich habe dazu schon in meiner Kindheit einiges beobachten können:

https://www.keinverlag.de/390802.text

Herzliche Grüße
Ekki

 Didi.Costaire (08.02.21)
So ein Pech, Ekki. Und der Leser weiß schon lange vorher, was passieren wird.

Schöne Grüße,
Dirk

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 08.02.21:
Vielen Dank für deine Geduld, Didi. Du hast meine Anekdote gelesen, obwohl du ihren Ausgang kanntest Deiner Empfehlung entnehme ich aber, dass du dennoch mit der Gestaltung einverstanden bist.
Schöne Grüße
Ekki

 Graeculus (08.02.21)
Es gab ja damals auch die Werbung: "Ich geh meilenweit für eine Camel." Kennst Du sicher.
Da sind Zigarillos schon sympathischer ... wenn auch nicht regenfester.
Ich erinnere mich, für den in NL preisgünstigeren Pfeifentabak mit dem Fahrrad 50 + 50 km nach Venlo gefahren zu sein. Zum Glück in Metalldosen verpackt.

Was Du beschreibst, ist auf eine angenehme Weise verrückt.

Mit dem Rauchen als Teil unserer Kultur ist es bald aus, und statt gemeinsam eine Friedenspfeife oder -zigarre zu rauchen, können wir uns vorstellen, daß Karl Lauterbach mit einem Kollegen von der CDU ein Friedensmineralwasser trinkt.

Die Jüngeren aber, die fahren nach Amsterdam.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 08.02.21:
Gratias, Graeculus. Ich muss gestehen, dass mir das Rauchen manche schöne Stunde beschert hat, und so mancher Text, den ich hier eingestellt habe, ist entstanden, während ich draußen mit einem Zigarillo als Peripatetiker lustwandelte.
Inzwischen traure ich dem Rauchen nicht mehr nach. Alles hat seine Zeit.

 Thomas-Wiefelhaus (08.02.21)
Las mal von einem Unternehmer, der nachts bei Unwetter, das sichere Hotel verließ, um Sarg-Nägel zu kaufen, ins Grübeln kam und mit der Smokerei aufhörte.

Der nicht erkannte Witz in der Geschichte ist, dass unter dem Tresen der Pension Zigarillos lagen, die im Angebot waren.
Aber das konntest du ja nicht wissen.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 08.02.21:
Danke, Thomas, die von dir ins Spiel gebrachte Schlusspointe finde ich witzig.

 TassoTuwas (08.02.21)
Lieber Freund,
es gibt ja diesen tröstlichen Satz, über die Jahre gesehen. gleicht sich Glück und Pech wieder aus.
Und überhaupt, was ist schon ein Tag ohne Zigarillo gegen mehrere Tage Südsee Paradies.
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 08.02.21:
Merci, da sagst du etwas Wahres, Tasso. Die Südsee ist wirklich ein Paradies, aber ein gefährliches. Ich werde bald darüber schreiben.
Herzliche Grüße
Ekki
wa Bash (47)
(08.02.21)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 08.02.21:
Merci, wa Bash, da denkst du völlig richtig. Die Natur ist dort atemberaubend schön und noch weitgehend unberührt.
Hilde (62)
(09.02.21)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 09.02.21:
Grazie, Hilde, das stimmt, die Schönheit der Fahrt durch den warmen Tropenregen ließ den kleinen Verlust schnell vergessen.
Herzliche Grüße zurück
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