Teil 36

Roman

von  AnastasiaCeléste

Myles und Josh saßen derweil am Rand der Stadt im zehnten Stock eines Hochhauses und genossen den Ausblick über ihre einst schöne Heimatstadt. Sie hatten es sich auf einer riesigen Sofalandschaft bequem gemacht, vor ihnen eine große Fensterfront. Die beiden gönnten sich eine Auszeit von ihrem gewohnten Umfeld im dunklen Untergrund.
Hier oben setzten sie sich einem großen Risiko aus entdeckt zu werden. In diesem Fall wäre das Gebäude das reinste Gefängnis, da es nur einen Fluchtweg gab. Beide trugen Waffen bei sich, die ihnen eine Chance für den Ernstfall geben würden. Doch Myles versuchte die Gefahr heute so gut es ging auszublenden. Ab und zu brauchte er diesen Rückzugsort. Während er an seinem Bier nippte, dass er sich mit Josh mitgebracht hatte, wanderte sein Blick über die Wände des großen hellen Raumes. Gerahmte Plakate von Konzerten reihten sich aneinander. Der leere Gitarrenhalter an der Wand ließ ihn lächeln. Wenigstens etwas, dass er aus seinem alten Leben mitnehmen und behalten konnte. Gitarre spielen und singen war sein Leben, bevor alles zusammenbrach.
Myles war Sänger und Gitarrist einer recht erfolgreichen Rockband. Seine Bandkollegen hatte er schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Einer von Ihnen war bei einer Schießerei ums Leben gekommen, ganz am Anfang, als noch niemand richtig wusste was passiert war. Die anderen haben sich aus dem Staub gemacht, als sie noch die Chance dazu hatten. Er hatte keine Ahnung, ob sie noch lebten, oder wo sie abgeblieben waren. Die aufregende Zeit mit seiner Band, war eine seiner besten Erinnerungen in dunklen Stunden. Die Wohnung war bisher weitestgehend verschont geblieben vor Einbrüchen, aber man sah ihr an, dass hier niemand mehr wohnte.
Josh seufzte neben ihm. Als Myles sich ihm zuwandte, lag der Jüngere in den gemütlichen Sofakissen und hatte die Augen geschlossen. „Daran könnte ich mich schnell wieder gewöhnen“, meinte er, ohne Myles anzusehen. Der wiederum grinste schief, während auch er sich tiefer in die Kissen sinken ließ. „Durchhalten. Vielleicht bekommen wir bald unsere Chance, den Spieß umzudrehen“, sagte Myles verschwörerisch. „Unser erster Schlag hat Corvin schwer getroffen. Wenn wir bald seinen besten Handlanger in den eigenen Reihen haben, tun sich hoffentlich gute Möglichkeiten auf.“  Josh öffnete die Augen und sah seinen Freund an: „Wann werden wir uns ihm denn endlich zu erkennen geben?“ „Erste Rauchzeichen haben wir ihm doch schon gesendet“, antwortete Myles mit einem Schmunzeln um die Lippen. „Er weiß, dass wir da sind. Er sucht uns bereits. Ich warte nur noch auf einen geeigneten Augenblick“, erklärte er weiter.
Josh setzte sich auf: „Was ist, wenn er ablehnt? Ich denke, er ist so ein Einzelkämpfer?“
Myles zögerte nicht lange mit seiner Antwort. Er glaubte an Ave. „Wird er nicht. Er hat zwar einen Panzer um sich errichtet, aber er will Corvin genauso zu Fall bringen, wie wir. Er wird die Chance erkennen.“
„Deine Zuversicht möchte ich auch haben“, antwortete Josh darauf und nahm noch einen großen Schluck Bier.
Myles dachte über seine Worte nach. Ja, er war zuversichtlich, nach außen hin immer. Aber er hatte auch Momente, in denen er zweifelte. Er versuchte für alle seine Freunde stark zu sein, was ihm meist ganz gut gelang. Wenn er keine Zuversicht hatte, wer denn dann? Viele Menschen verließen sich auf ihn und seine Entscheidungen.
Er ließ seinen Blick wieder über die Skyline gleiten. Die Sonne stand hoch am Himmel und legte ein glimmendes Schimmern und Scheinen über die zahlreichen Fensterfronten. Weit entfernt konnte man einen Teil des Innocents hinter einem anderen hohen Gebäude hervorragen sehen.
Das verglaste Hotelgebäude, das es einst war, stand dort unheilvoll, ein Mahnmal für das defekte System.
Myles konnte sich noch an die schockierenden Nachrichten erinnern. Die Radio- und Fernsehsender auf der ganzen Welt berichteten monatelang fast in Endlosschleifen über Anschläge auf Regierungsgebäude, Politiker und die einflussreichsten der Einflussreichen. Polizeistationen und Gerichte brannten.
Geiselnahmen und Morde an Politikern gehörten zur Tagesordnung. Weder die Polizei noch die Armee konnte großartig etwas gegen diesen neuen Krieg ausrichten. Die Bevölkerung geriet in Panik. Die einen verschanzten sich in ihren Wohnungen und Häusern. Andere flohen, um in anderen Städten und Ländern von den gleichen Szenen überrascht zu werden. Wiederum andere sprangen blind auf den Zug der Gewalt auf. 
Der Sturz der Obrigkeit war ein schleichender Prozess, den man schon viele Jahre vorher hatte erahnen können. Unsere Welt war schon immer ein Schauplatz der Gewalt gewesen. Aber dass diese Anspannung eines Tages vulkanartig ausbrechen, sich entladen würde, in einem Rausch des Wahnsinns, daran hatte niemand geglaubt. Zumindest hatte man solche Gedanken immer verdrängt.
Als diese sogenannte Säuberungsaktion, wie man es heute nannte, irgendwann vorüber war, herrschte überall pures Chaos, Anarchie wo man hinschaute.
Aus Angst vor Angriffen, stellten fast alle Fernseh- und Radiosender ihren Dienst ein. Sie verstummten für immer. Nur noch ein paar kleine lokale Zeitungen agierten aus versteckten Büros heraus.
Große Versorgerunternehmen, die zum Beispiel für Wasser und Strom verantwortlich waren, wurden schon bald von den neuen Machthabern wie Corvin übernommen, womit sie die totale Kontrolle über das Leben und Wohlbefinden der Menschen in ihrem Wirkungsbereich bekamen.
Während der Musiker seinen Gedanken nachhing, streckte sich Josh ausgiebig neben ihm. Er blinzelte verschlafen und drohte in den bequemen Kissen einzuschlafen.
Der junge Mann hatte alles Recht Müde und kaputt zu sein. Er hatte die letzten Wochen mit Hochdruck  sowohl an der Erforschung und Umprogrammierung der Chips gearbeitet, als auch an den Vorbereitungen für ihren großen Schlag gegen Corvin.
Myles tippte seinen Freund an: „Komm, wir sollten langsam zurück gehen. Du solltest dir heute mal ein paar Stunden Auszeit im Bett gönnen.“ Josh nickte. „Das wäre mal eine Maßnahme“, sagte er und schnappte sich seine leere Flasche, bereit zum Aufbruch.


Anmerkung von AnastasiaCeléste:

Ich gestehe, lang, lang ist es her....aber nun soll es endlich weitergehen. Ich hoffe diese Dystopie findet noch immer den einen oder anderen Leser.

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Kommentare zu diesem Text


 Buchstabenkrieger (12.02.21)
Hi Anastasia,

ich wurde erst gestern durch einen Schreibratgeber endgültig davon überzeugt, es mit den Redebegleitungen ganz langsam und vor allem ganz bewusst angehen zu lassen. (Gut, man muss nicht immer unbedingt auf solche Bücher hören. Aber hier fand ich es echt überzeugend.)

Auf jeden Fall ist mir hier und im Teil 35+34 aufgefallen, dass du fast nie ein alleiniges "sagen" oder "fragen" verwendest.
Bei dir ist es "erwidern", "nachhaken", "kurz und knapp sagen" (ist generell unnötig, weil es ja an der Länge der wörtlichen Rede zu sehen ist), "sanft antworten", "informieren", "wissen wollen", "berichten", "verschwörerisch sagen", "mit einem Schmunzeln sagen", "angespannt erklären", "witzeln", "zugeben", "verschwörerisch beginnen", "bekräftigen", "einwerfen", "zu Bedenken geben", "sanfter antworten" usw.

Schau dir diese Häufigkeit mal an.
Ziel sollte es sein, dass die Art, wie etwas gesagt wird, dem Leser ohne diese Hilfestellung klar werden sollte.
Probiere das doch mal aus.

Ich meinerseits möchte nicht vorgeschrieben bekommen, wie ich etwas auffassen soll, sondern es mir selbst erarbeiten.

Meine persönliche Meinung nur. Vielleicht magst du es ja, alle möglichen Varianten im Text zu haben. Ist mir halt nur aufgefallen. Würde mich interessieren, was du dazu sagst. Danke.


Liebe Grüße,
Buchstabenkrieger

 AnastasiaCeléste meinte dazu am 12.02.21:
Hallo Buchstabenkrieger,

ersteinmal ganz lieben Dank für deinen so ausführlichen Kommentar, der sich ja nicht nur mit diesem Teil beschäftigt. Ich habe nach den ganzen Jahren gar nicht mehr damit gerechnet, dass sich jemand einem so langen Text annimmt.

Was du sagst hat definitv Hand und Fuß. Du hast Recht, wenn du sagtst, dass man sich es sich selbst erarbeiten sollte.

Dennoch meine ich, das so ein Text nicht komplett auf Redebegleitungen verzichten kann und sollte. Dein Hinweis regt aber durchaus dazu an, in Zukunft mehr darauf zu achten.

Ich bin definitv kein Experte und immer dankbar für konstruktive Kritik. Danke!

Liebe Grüße

AnastasiaCeléste

 Buchstabenkrieger antwortete darauf am 12.02.21:
Hallo Anastasia,

freut mich, dass du offen für konstruktive Kritik bist.

Ich habe mir diesen Teil hier durchgelesen, weiß jetzt natürlich nicht, worum es im Großen und Ganzen geht, welche Rolle die einzelnen Protas spielen etc., versuche aber dennoch mal, einen kleinen Kommentar dazulassen.

Du: Myles und Josh saßen derweil am Rand der Stadt im zehnten Stock eines Hochhauses und genossen den Ausblick über ihre einst schöne Heimatstadt. Sie hatten es sich auf einer riesigen Sofalandschaft bequem gemacht, vor ihnen eine große Fensterfront.
--> Das könntest du kürzen, das "sitzen" und "bequem machen" zusammenbringen. Das wiederholt sich ja.

Dann ist mir aufgefallen, dass du zu wenige Details verwendest. Du schreibst einen Roman, du kannst dich ausleben (gut, im Rahmen), du solltest mehr Details einbauen, um alles konkreter zu machen, um nicht oberflächig zu bleiben.
Kann sein, dass das an anderer Stelle detaillierter ist; ich kenne den Gesamttext ja nicht. Wenn ja, dann vergiß es

Beispiele:
Du: Beide trugen Waffen bei sich, die ihnen eine Chance für den Ernstfall geben würden.
--> Welche Waffen? Pistolen? Welche genau? Messer? Pfefferspray?

Du: Myles war Sänger und Gitarrist einer recht erfolgreichen Rockband. Seine Bandkollegen hatte er schon seit Jahren nicht mehr gesehen.
--> Mehr Details. Welche Musik macht er? Was ist mit den Auftritten? Hat er Platten rausgebracht.
Das alles würde es lebendiger machen.

Auch hier:
Du: Er versuchte für alle seine Freunde stark zu sein, was ihm meist ganz gut gelang.
--> Wie genau macht er das?

Du: Als diese sogenannte Säuberungsaktion, wie man es heute nannte, irgendwann vorüber war, herrschte überall pures Chaos, Anarchie wo man hinschaute.
Aus Angst vor Angriffen, stellten fast alle Fernseh- und Radiosender ihren Dienst ein. Sie verstummten für immer. Nur noch ein paar kleine lokale Zeitungen agierten aus versteckten Büros heraus.
--> Das ist alles nur reines "Tell". Kennst du "show, don't tell"? Wenn nicht, empfehle ich dir, da mal zu googeln.

Du: geben?“ „Erste
--> Da kommt ein Zeilenumbruch zwischen, da Sprecherwechsel.

Du: Die Bevölkerung geriet in Panik.
--> war in Panik geraten (doch nicht erst jetzt / PQP)

Du: Hochdruck sowohl
--> Da ist ein Leerzeichen zu viel

Du: Aus Angst vor Angriffen, stellten fast alle Fernseh- und Radiosender ihren Dienst ein.
--> kein Komma

Du: an seinem Bier nippte, dass er sich
--> , das

Du: etwas, dass er
--> , das er

Liebe Grüße,
Buchstabenkrieger

 AnastasiaCeléste schrieb daraufhin am 17.02.21:
Vielen lieben Dank für deine Mühe!
Ich werde die Hinweise defintiv Berücksichtigen. :)
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