Die fetten Jahre

Erzählung

von  minze

Und dann quatschen die dich zu, als würdest du nichts begreifen, gar nichts checken. Du hast studiert, einen normalen Job, ein gutes Leben und musst dich mit so etwas abgeben. Geh auf keinen Fall dahin, ehrlich. Das mache ich nicht. Ich werde nicht zu einem Gebrauchtwagenhändler ohne Werkstatt gehen. Ja, meinetwegen noch zu dem, wie heißt der im Ort? Stiehl – der ist okay. Oder natürlich eine Vertragswerkstatt. Oder du schaust im Internet – Er ist richtig engagiert. Vor zehn Tagen habe ich ihm das Laufrad zum Aufpumpen gebracht, früh am nächsten Morgen stand es vor dem Gartentor. Eine Woche später rettete Martin mich aus der Autopanne. Wir schafften es kurz vor der Ausgangssperre. Ich hatte sofort an ihn gedacht, weil er mir beim Skaterpark erzählte, dass er in der Armee war. Das wunderte mich, ich habe es nicht erwartet. Wir hatten es von den großen Jungs, die die Musik anstellten und um unsere kleinen Kinder herum skateten. Ich sagte, dass es für die scheiße ist im Lockdown, auch für die Studenten, die jetzt daten, feiern und so. Im Nachgang finde ich es aufregend, wie ich im Studium geflirtet habe. Wenn ich aber länger in den Tagebüchern lese, erschreckt es mich auch. Daraufhin meinte er, er habe in der Lebensphase nicht gefeiert, er wäre bei der Bundeswehr gewesen. Ich finde ihn, seit wir uns kennengelernt haben ziemlich locker, jetzt frage ich mich, ob er das Lockersein über etwas Anderes legt. Was da noch drin ist. Er regt sich so auf, weil er nach dem Studium sein geregeltes Leben hat und die Autohändler ihn verarschen wollen, ihn gleich duzen und leger sind, ihm schnell vier Schlüssel für ihre bekackten Autos in die Hand legen, dann zum nächsten Kunden gehen und mir vielleicht als Nächste eines verkaufen wollen.

Es ist schön, wie die Jungs beim Skaten die Kleinen akzeptieren, wie meine Tochter sich mittendrin behauptet und ich finde die Musik gut. Ich habe erst befürchtet, dass es nervig wird, als sie ihre JBL anmachen, folge aber nicht lange den Reimen, sie passen schon. Angenehmer Sound, anders als auf dem Spielplatz. Es ist witzig, dass einer eine Zigarette anzündet, bevor er sich quasi abstößt – denke, das ist unpraktisch und unentspannt im Moment des Anziehens – und hier meint Martin, was die wohl rauchen, sicher nicht nur Marlboros . Er fand im Oktober nach dem Markt ein paar Gramm Marihuana vorm Dorfbäcker. Aber Sandra will es nicht mit ihm rauchen, seine Frau hat nicht die gleiche Neugierde. Ich habe leider auch kein Interesse, glaube, er mustert mein Gesicht, als er es erzählt. Ich denke schon daran, dass wir mal was miteinander trinken, ungezwungener, ohne die Kinder, dass wir mal ausgelassen reden könnten. Glaube, wir könnten schnell flache Sprüche teilen, Andeutungen machen, Unkorrektes sagen, lachen. Vielleicht will ich aber doch nicht dahin mit ihm, weil es auf eine Weise schief würde, die mich dann festlegt oder rauswirft aus den bislang belanglosen Treffen.

Als ich ihn anrufe und mein Kleinwagen halb auf der Straße liegengeblieben ist, braucht er etwa 15 Minuten. Es ist Glück, dass es am Ortseingang passiert ist. Hinter der Ampel der Verbindungsstraße, einige Meter danach. Auf dem Beifahrersitz riechen die Burger vom Take-Away und ich will eigentlich essen, Frust essen und Burger passt, aber nicht mal die Kinder haben etwas gegessen. Ich warte ab. Ich vertraue Martin, dass ich schnell nach Hause komme. Er erklärt mir, wie ich einlenken muss, während er schiebt. Ich habe den Eindruck, das Auto ist zu schwer mit mir drinnen. Als ich anbiete, auszusteigen, weil wir auch im Schlamm festklemmen mit den Vorderreifen, geht er zur Fahrertür rein mit seinem Arm, mit der Schulter stemmt er sich in den Rahmen und schiebt so den Wagen. Ich helfe etwas mit, aber er wirkt auf mich, als würde er einarmig mein Auto schieben. Als freue er sich drüber. Ich mache beim Abschließen meine Füße in der Pfütze nass, ziehe die Sicherheitsschuhe meines Mannes an, die noch im Auto waren. Werfe schnell die nassen Socken in die Burger-Tüte. Martin legt ein paar Sachen auf die Rücksitze, dass ich Platz bei ihm habe. Bevor ich einsteige, ziehe ich meine Maske an und er schaut mich kurz an, greift dann nach seiner. Wir fahren nicht lange, die Geste mit der Maske baut etwas Abstand auf, eine Barriere für mehr Nähe oder Erstkontakt.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (28.02.21)
schaffte -> schafften

Malboro -> Marlboro

Was ist ein JBL?

 minze meinte dazu am 28.02.21:
Danke.
Das ist eine Box, die sich über Bluetooth mit anderen Geräten verbinden kann, oft das Smartphone, worüber man dann Musik hört.

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 28.02.21:
Achso, diese Krachboxen, die im Freibad so nerven.
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