Was die Natur erzählt

Gedanke zum Thema Gedanken

von  millefiori

Jetzt packe ich die Gelegenheit beim Schopf, denn wenn ich jetzt zuerst putze und aufräume, ist die Sonne wieder verschwunden, ehe ich Zeit hatte einen Spaziergang zu machen. Ich lasse alles liegen und stehen und mummel mich in meine Winterjacke. Mein roter Lieblingsschal darf nicht fehlen - und ab, hinaus an die frische Luft! Ich gehe zum Gartentor hinaus und atme tief die klare, frische Luft ein und aus.
Herrlich!
Für manche Menschen ist es Luxus, kostbaren Schmuck, teure Autos zu besitzen. Für mich ist es Luxus, aus dem Haus gehen und nach ein paar hundert Metern schon am Bach entlang laufen zu können, um die Natur zu genießen. Jetzt fällt mir erst auf, wie lange ich hier schon nicht mehr gelaufen bin.
Ein paar Bäume mussten der Renaturierung unseres Baches weichen. Dafür haben hier sowohl Reiher als auch ein Biber ein neues Zuhause gefunden. Letzterer ist leider nicht bei jedermann beliebt. Viele wollen ihn lieber heute als morgen wieder los sein, zerstört er doch die gewohnte Umgebung. Er fällt die Bäume am Bach und verursacht Überschwemmungen auf den Feldern der Bauern. Doch viele vergessen, dass der Biber auch zur Renaturierung beiträgt. Aber die Bauern und Förster wollen ihm kein Asyl gewähren, wissen nicht, was sie mit ihm anfangen sollen, wie sie ihn integrieren sollen in ihr System. Ich muss ein bisschen schmunzeln, der Biber als Migrant.
Wie gut die frische Luft tut!
Der Weg geht immer am Bach entlang. Es ist beruhigend ins Wasser zu schauen und zu beobachten, wie sich die Wasserpflanzen hin- und herwiegen. Dort schwimmt eine Ente, ein Erpel ist es. Man erkennt ihn an den bläulich schimmernden Flügeln. Er lässt sich von mir nicht stören bei der Futtersuche. Komisch, er kommt und geht, wann er will, aber an ihm stört sich keiner, ihm wirft man sogar noch Futter zu. Naja, er macht halt optisch mehr her.
Nicht nur der Körper tankt Kraft durch die frische Luft, nein, auch meine Seele profitiert von den Bildern der Natur. Hier bin ich geerdet, kann alles so schön reflektieren. Wo bis vor kurzem nur dunkle, kahle Äste im Wind knarzten, da sieht man schon wieder Knospen vorwitzig sich an den Zweigen drängeln. Die Weidenkätzchen sitzen wahrscheinlich schon in den Startlöchern. Ja, ich weiß, dass die noch eine Weile brauchen. Aber alleine der Anblick der knospenden Zweige weckt in mir eine Zuversicht und einen Frohsinn, den ich nicht beschreiben kann. Mir wird mit jedem Schritt leichter ums Herz.
Dort steht ein Baum, den der Wind wohl über Jahre in eine Richtung bog, beharrlich wächst er über den Bachlauf und will sich nicht ergeben. Er will leben und auch, wenn er gegen die Gewalt des Windes ankämpfen muss, so schafft er es doch, nicht umzukippen. Er hat seine Wurzeln fest im Boden verankert, und nichts wird ihn so schnell umhauen. Ich denke mir, ich sollte mir ein Beispiel daran nehmen und mich auch öfter einmal gegen den Wind stemmen. Das würde mich bestimmt auch stärker machen. Es kommt mir so vor, als hätte jeder einzelne Baum, jede Pflanze, jedes Tier für mich eine Weisheit im Gepäck. Man muss nur die Augen aufmachen und beobachten und daraus lernen.
Ein kleiner Schwarm Vögel, der sich zu einem Dreieck formiert hat, fliegt über meinem Kopf weg. Das Zwitschern ist noch eine Weile zu hören. Die Sonne malt ein Glitzern ins Wasser und die Spiegelbilder der Bäume und Gräser bekommen einen pastell-farbigen Hintergrund.
Das Wasser wirkt wie eine goldene Straße, die hier und da von einem bemoosten Stein oder einem vermodernden Baumstamm unterbrochen wird.
Ich laufe an einem uralten, rechteckigen Steinquader vorbei. Er liegt dort am Wegrand, grün vom Moos, und dennoch kann man an der unteren Seite noch Einkerbungen sehen. Er muss einmal zu einem Gebäude gehört haben, zu einer Mauer. Jetzt liegt er da, irgendwie verloren so mitten in der Natur, als hätte ein Riese ihn anderthalb Kilometer weit vom dem Dorf entfernt hingeworfen. Ich versuche mir vorzustellen, wie viele Leute wohl schon über Jahrzehnte, vielleicht sogar Jahrhunderte an ihm vorbei gelaufen sind. Vielleicht haben sie exakt dasselbe gedacht wie ich?
Der Kiestrampelpfad verwandelt sich in einen sandigen Weg. Ein kleines Mädchen fährt stolz auf seinem Fahrrad und lässt begeistert in einem fort die Fahrradglocke klingeln. Es ist zum Schmunzeln, weil der Weg so breit ist, dass ich gar nicht ausweichen muss und sie auch ohne Klingeln an mir vorbei käme. Andere würden sich jetzt provoziert fühlen, aber ich weiß, es ist die pure Freude am Klang der Fahrradglocke und an dem kleinen Stück Freiheit, die das Mädchen begeistern. Ich lächle. Ihre Eltern nicken mir freundlich zu.
Ein Stückchen weiter, noch eine Familie. Der kleine Junge plappert ohne Punkt und Komma, während die Eltern geduldig erklären. Schön, wenn man den Kleinen so viel geben kann, nur Aufmerksamkeit und Liebe bewirken schon so viel.
Meine Gedanken kreisen wieder. Wenn doch alle Kinder dieser Erde soviel Liebe und Aufmerksamkeit bekommen könnten. Vielleicht wäre diese Erde dann ein friedlicherer Ort. Ich bin überzeugt davon, dass der Mensch nicht böse geboren wird. Meine Eltern kommen mir in den Sinn - wie lange werde ich diesen Weg noch laufen können, mit dem Ziel in meinem alten Zuhause anzukommen? Wie werden meine Töchter ihr Leben meistern? Werden sie es schaffen, auch gegen den Strom zu schwimmen, wenn es nötig ist? Werden sie sich so leicht beeinflussen lassen wie so viele, die nicht über den Tellerrand sehen? Zumindest konnte ich ihnen den Respekt für die Mitmenschen und für die Natur und die Tiere vermitteln. „Das ist doch schon viel“, denke ich so bei mir. Wenn jeder versucht in seinem Umfeld zu helfen, ein Lächeln zu schenken, ein bisschen Glück zu verteilen, ist schon viel getan, denke ich immer.
Vorbei an Bäumen, von denen ich noch weiß, wann sie gepflanzt wurden.
Wie groß sie doch sind! Damals versuchte ich mir vorzustellen, wie es sein wird unter ihnen zu wandeln. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie mir jemals Schatten spenden könnten. Und jetzt sind sie so groß, dass ich aufschauen kann und über mir die Vögel in den Zweigen wippen sehe.
Mein Spaziergang neigt sich dem Ende. Ich komme der Straße immer näher. Die frische Luft wird jäh von den Abgasen vorbeifahrender Autos verpestet. Ich muss noch durch die alte Unterführung, über die die Eisenbahn hinwegrauscht und durch die nur eine für Radfahrer, Fußgänger und Autofahrer schmale Fahrbahn führt. Trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, weil es hier keine Ampel gibt und keine Vorfahrtsregelung, durchqueren alle sehr vorsichtig und rücksichtsvoll die Unterführung. Einer achtet auf den anderen und es funktioniert.

Dort steht das Haus, in dem meine Eltern wohnen. Ich bin am Ziel. Es warten zwei lächelnde Gesichter und eine dampfende Tasse Kaffee auf mich.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (28.02.21)
Extrem rührselig. Praktisch völlig überzeichnet, ist das so eine Art Satire?

 millefiori meinte dazu am 28.02.21:
Tjaaa, so bin ich, extrem rührselig. Sorry.

 millefiori antwortete darauf am 03.03.21:
Es wäre hilfreicher wenn du konstruktive Kritik üben würdest. Eine Bekannte meinte z.B.ich würde mich an manchen Stellen wiederholen, damit kann man arbeiten und daraufhin werde ich mir den Text nochmal ansehen.

Gruß Millefiori

 Dieter_Rotmund schrieb daraufhin am 03.03.21:
Bspe aus nur einen Absatz:
"kleines Mädchen fährt stolz auf seinem Fahrrad", "begeistert die Fahrradglocke klingeln", "Schmunzeln", "pure Freude am Klang der Fahrradglocke", "dem kleinen Stück Freiheit", "Eltern nicken mir freundlich zu". Sehr geballt, diese Heile-Welt.Beschreibungen, zu viele a priori wertende Adjektive!

 millefiori äußerte darauf am 05.03.21:
Ich verstehe schon was du meinst. Ich habe aufgeschrieben was ich persönlich in diesem Moment denke und empfinde. Meine Gedanken zu verschlimmbessern, geht mir gegen die Natur.
Es ist ja keine Vorgangsbeschreibung oder eine Erörterung, so dass ich sachlich, distanziert schreiben muss. Es sind meine Empfindungen.
Die können manchem too much sein aber so ist meine Denke.

Trotzdem danke für deine Erklärung, ich werde es mir durch den Kopf gehen lassen.

Gruß millefiori
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