Glücksfeder

Kurzprosa

von  BeBa

Nach langer Suche habe ich diese möblierte Einzimmerwohnung am Stadtrand gefunden. Vom Wohn- und Küchenbereich durch einen Vorhang abgetrennt das Bett mit Kommode, dazu eine Nasszelle mit Dusche. Alles, was ich brauche.
Die Bedingung des Vermieters: Die Blumen des Nachbarn gießen. Ich sage nicht nein und erhalte prompt den Mietvertrag zur Unterschrift.
Es wohnt sich bequem auf meinen fünfundzwanzig Quadratmetern. Sogar ein Fenster habe ich, hinaus auf eine stille Straße. Sackgasse, erklärte der Vermieter.

Gleich, nachdem ich den Koffer ausgepackt und mein Hab und Gut im Nachtschränkchen neben dem Bett verstaut habe, nehme ich den Schlüssel, den mir der Vermieter im Vertrauen überlassen hat, und betrete die Wohnung des Nachbarn. Sie liegt meiner direkt gegenüber. Die gleichen Möbel wie bei mir, nur alles spiegelverkehrt. Beinahe wie zuhause.
Ich suche nach den Pflanzen. Vergebens. Weder am Fenster noch im Wohn-, Küchen- oder Schlafbereich. Sogar ins Bad schaue ich, doch selbst dort kein Grün. Unverrichteter Dinge kehre ich heim.
In der Nacht träume ich vom Vermieter, der mir Dutzende vertrockneter Topfpflanzen vor die Wohnungstür stellt.
Am nächsten Abend gehe ich erneut in die Nachbarwohnung. Um dann abschließend festzustellen: Nein, es gibt hier nichts zu gießen. Den Vermieter kann ich telefonisch nicht erreichen.
So vergehen die Tage. Auf der Straße: Stille. Vom Nachbarn: Keine Spur. Ich rufe den Vermieter an: niemand meldet sich.

Dann habe ich auf dem Heimweg von der Arbeit eine Eingebung und entdecke im Schaufenster eines Blumengeschäfts diese Topfpflanze.
„Die Glücksfeder“, meint die Verkäuferin, „eine sehr genügsame Pflanze für jeden Standort, ob Sonne oder Schatten. Und selbst wenn Sie mal das Gießen vergessen, nimmt sie es nicht gleich übel.“ Also eine Glücksfeder für mich.
Ich stelle dem Nachbarn meine Entdeckung auf die Fensterbank, gebe ihr Wasser und schlafe in der folgenden Nacht seit langem wieder mal tief und fest.
Täglich sehe ich nach unserer Glücksfeder. Sie macht sich großartig.

Nun hat mir vor ein paar Tagen mein Chef eine neue Stelle angeboten. Mehr Geld und Verantwortung. Karrieresprung, betont er.
Seitdem versuche ich immer wieder, den Vermieter zu erreichen. Den Arbeitgeber habe ich um etwas Bedenkzeit gebeten.
Jetzt bleibt mir nur die Hoffnung, dass der Nachbar bald heimkehrt und mir die Pflege der Glücksfeder abnimmt.

Ich erwarte ihn täglich.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (28.02.21)
Es wird ja gesagt, dass alles, was man im Leben gibt, irgendwann zurückkommt. Ich glaube eigentlich nicht daran. Denn dann würden viel mehr Arschgeigen beim Scheißen vom Blitz getroffen. Aber im (geheimnisvoll) positiven Sinne hast du das hier schön umgesetzt - im typischen, immer ein wenig melancholisch wirkenden BeBa-Stil.

 BeBa meinte dazu am 28.02.21:
Hi,

danke dir. Es freut mich, dich hier mal wieder unter einem meiner Texte zu lesen.

LG
BeBa

 GastIltis (28.02.21)
Hallo BeBa, wusstest du schon, dass ich neuerdings Wohnungen vermiete. Bedingung: Vorgarten umgraben. Nur, die Wohnung liegt im Hinterhaus. LG von Gil.

 BeBa antwortete darauf am 28.02.21:
Ich überlege ...

LG
BeBa

 AchterZwerg (28.02.21)
Wenn sich das Glück ins Lästige kehrt, hilft nur Hydrokultur... oder wie jetzt?

Gekonnt verpackte Geschichte, halb Satire, halb "täglich grüßt das Murmeltier."

 BeBa schrieb daraufhin am 28.02.21:
Danke dir, lieber 8er.

LG
BeBa
Palytarol (59)
(28.02.21)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 BeBa äußerte darauf am 28.02.21:
Hm, wie meinen?
Palytarol (59) ergänzte dazu am 01.03.21:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 BeBa meinte dazu am 02.03.21:
Danke. Das ist eine interessante Zusatzinfo. Ich überlege, ob ich nicht den lateinischen Namen in den Text einarbeiten soll.

LG
Beba
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