Die andere Welt des Philip K. Dick

Kritik zum Thema Literatur

von  Jedermann

The milk is pizzled. In der Erzählung Autofac benutzt eine Gruppe Überlebender das nicht existente Wort pizzle, um die Aufmerksamkeit eines Serviceroboters zu erlangen und ihn zu täuschen.
Dicks Erzählungen spielen, wie auch diese, häufig nach der Katastrophe. In den 60er Jahren des 20sten Jahrhunderts war die Bedrohung und der Untergang der Menschheit durch einen nuklearen III. Weltkrieg sehr real.
In Autofac, der Name verweist darauf, haben die intelligenten Maschinen nach dem verheerenden Krieg die Macht und die Steuerung übernommen. Sie produzieren als autarke Einheiten alles, was der Mensch gebrauchen könnte, von der Milch bis zum Mikroskop. Sie versorgen die Überlebenden mit ihrer Überproduktion; stopfen sie nahezu voll. Der Mensch degradiert zum Konsumenten. Ein Zustand welcher, auch ganz ohne die Katastrophe eines weltumspannenden Krieges, die heutige Zeit gut abbildet. Und, der Mensch erlangt in der Erzählung Autofac die Kontrolle über die Produktion und die technische Entwicklung nicht mehr zurück.
Die dystopischen, skurrilen Fiktionen in den Erzählungen und Romanen Dicks sind nicht in jedem Fall hoffnungslos. So zum Beispiel, wenn die Maschinen den unter der Erde lebenden Menschen mit gefälschten Messwerten vorgaukeln, dass die Oberfläche des Planeten noch nicht wieder bewohnbar sei, da sie zu stark verstrahlt ist. Damit versuchen die Maschinen den nächsten aus ihrer Sicht zwischen den Menschen vorprogrammierten Konflikt zu vermeiden.
Weit mehr als bloße Science-Fiction steckt in der Frage: Träumen Androiden von elektrischen Schafen? Die künstliche Intelligenzen sind im Jahr 2021 durch die Verfahren des Maschinellen Lernens in der Lösung von Aufgaben wesentlich leistungsfähiger als Menschen. Nur ihr Bewusstsein ist noch nicht entwickelt, aber wenn dies geschehen ist, dann können sie von elektrischen Schafen träumen. Oder, sie können echte Schafe, sogar Menschen als Haustiere halten.
Geschmäcker sind bekanntlich verschieden, eine Binsenwahrheit, das trifft auch bei der Wahl von Büchern zu. Leser, die Science-Fiction nicht mögen, werden nicht nach Dicks Werken greifen. Daher finde ich die häufig vorgebrachte Kritik müßig, dass er die Charaktere in seinen Geschichten nicht ausgearbeitet hat. Auch ist der Anteil von Science in seinen Geschichten nicht besonders groß, ganz im Gegensatz zu einer überwältigenden Anzahl von Science-Fiction Autoren, die diese Komponente sehr stark betonen. Nein, es ist die einzigartige Fiction in seinen Geschichten, die den Leser fesselt.
Immer wieder wird der zugegebenermaßen ungeheure Drogenkonsum des Autors betont und in Verbindung mit seinen merkwürdigen Einfällen gebracht. Ich denke, dass dies eine Überbetonung beinhaltet. Viele Schriftsteller vor ihm waren schwerst drogenabhängig, Novalis, S.T. Coleridge, Th. De Quincey, E.T.A. Hoffmann, E.A Poe um nur einige zu nennen. Gerade die beiden Letztgenannten sind mit ihren absonderlichen Einfällen in die Weltliteratur eingegangen, und das trotz ihrer Drogenabhängigkeit. Denn, zuerst stehen die Begabung und der Wille zum Schreiben; die Drogen sind nur Beiwerk und wirken letztendlich zerstörerisch. Und, so galt es auch für P.K. Dick.
Dicks Erdichtetes spielt häufig in Gegen- und Parallelwelten, wie in seinem Werk The man in the high castle. In diesem Roman, der aufgrund des frühen Todes des Autors nicht abgeschlossen wurde, arbeitete der Autor auch die Charaktere seiner Protagonisten heraus.
Dick flocht auch häufig Episoden in die Handlung ein, die die betreffenden Personen plastischer werden lassen, wie folgende aus dem Roman Eine andere Welt:
»Das Peinlichste, was mir je passiert ist«, fuhr Mary Anne fort, »war einmal mit meiner Mutter. Wissen Sie, meine Mutter hatte ein fortschreitendes Nierenleiden namens Bright’sche Krankheit. Sie musste deshalb ständig ins Krankenhaus, als ich noch ein Kind war, und immer flocht sie in ihre Gespräche ein, dass sie daran sterben würde, und wäre das dann nicht traurig – als wäre es meine Schuld –, und ich glaubte ihr allen Ernstes, dass sie eines Tages sterben würde. Aber dann wurde ich älter und zog von zu Hause fort, und sie starb noch immer nicht. Und ich vergaß sie irgendwie, ich führte mein eigenes Leben und hatte andere Dinge zu tun. Also vergaß ich natürlich auch ihr blödes Nierenleiden. Und dann kam sie eines Tages zu Besuch, nicht hierher, sondern in das Apartment, das ich vor diesem hier hatte, und sie ging mir wirklich auf die Nerven, wie sie da herumsaß und mir unaufhörlich von ihren Leiden und Gebrechen erzählte. Schließlich sagte ich: ›Ich muss noch fürs Abendessen einkaufen‹, und ich ging zum Laden. Meine Mutter humpelte neben mir her, und unterwegs teilte sie mir die Neuigkeit mit, dass nun beide Nieren so hinüber wären, dass sie entfernt werden müssten, und dass sie deshalb ins Krankenhaus käme und so weiter und sie versuchen würden, ihr eine künstliche Niere zu installieren, und dass die aber wohl nicht funktionieren würde. Wissen Sie, sie erzählte mir alles so, wie es dann auch wirklich kommen sollte – sie starb letzten Endes, wie sie es immer gesagt hatte … Jedenfalls blickte ich plötzlich auf und sah, dass ich im Supermarkt war, an der Fleischtheke, und dieser wirklich nette Angestellte, den ich so sehr mochte, begrüßte mich und sagte: ›Was darf ich Ihnen denn heute anbieten, Miss?‹, und ich sagte: ›Ich möchte zum Abendessen gern saure Nieren machen.‹ Es war furchtbar peinlich. ›Sehr große saure Nieren‹, sagte ich dann, ›ganz zart und dampfend und voll köstlicher Säfte.‹ ›Für wie viele Personen denn?‹, fragte er. Meine Mutter starrte mich mit diesem unheimlichen Blick an, und ich wusste wirklich nicht, wie ich aus der Sache wieder herauskommen sollte. Schließlich kaufte ich meine sauren Nieren, aber ich musste dafür in die Delikatessabteilung gehen – sie waren in einer versiegelten Dose, aus England. Ich glaube, ich habe vier Dollar dafür bezahlt. Sie schmeckten sehr gut.«
Von Zeit zu Zeit lese ich eine Erzählung dieses, aus meiner Sicht, so hervorragenden Autors und tauche in seine skurrile, dystopische und doch nicht hoffnungslose Welt ein.


Anmerkung von Jedermann:

Erwiderung zur Kolumne von  Graeculus  PHILIP K. DICKS LEBEN UND WERK – EIN KURZER ABRISS

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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (10.03.21)
Es freut mich, das aus Deiner Perspektive zu lesen.

 Jedermann meinte dazu am 11.03.21:
Ich warte auf die nächste Kolumne über Leben und Werk eines Autors

 Artname (11.03.21)
Danke an Dich ( und Greaculus) für eure anregenden Hinweise auf Philip K. Dick. Dieser Schriftsteller weckt in mir ein neuartiges Interesse für Sience- Fiction, welches vermutlich längere Zeit anhalten dürfte!

Kommentar geändert am 11.03.2021 um 12:23 Uhr

 Jedermann antwortete darauf am 11.03.21:
Ich empfehle seine vielen Kurzgeschichten zu durchstreifen!
Ich freue mich immer über eine Rückmeldung nach der Lektüre!
Danke für die Empfehlung der kleinen Kritik in keinVerlag.

 Graeculus schrieb daraufhin am 08.04.21:
Auch ich denke, daß die Kurzgeschichten ein guter Einstieg in das Werk sind. Dessen Gipfel aber ist m.E. der Roman "The Three Stigmata of Palmer Eldritch".
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