Gleichheit und Gerechtigkeit

Absurdes Theaterstück zum Thema Chancen

von  Terminator

Die Grundannahme, dass jeder Mensch im ethischen Sinne gleich viel Wert ist, ist unbestritten und äußert sich in den Begriffen von Menschenwürde und Menschenrechten, der Gleichheit vor dem Gesetz und der Gleichwertigkeit aller Wählerstimmen in der Demokratie. Von der Grundannahme der Gleichheit aller Menschen, die für den gemeinen Menschenverstand also keineswegs abwegig ist, soll hier ausgegangen werden, um die Konsequenzen des Gleichheitspostulats für das Streben nach Gerechtigkeit zu untersuchen.

Gerechtigkeit wird von Aristoteles durch eine Negativdefinition so erklärt, dass ungerecht sei, wenn Gleichen Ungleiches und Ungleichen Gleiches zukomme. Dieser Gerechtigkeitsbegriff ist besonders gleichheitsrelevant und allgemein genug, um das, was gerecht ist, ohne kasuistische Haarspalterei einsehen zu können. Da alle Menschen im ethischen Sinne gleich sind, ist es also ungerecht, wenn verschiedenen Menschen Ungleiches zukommt. Das gilt für Güter und  Machtpositionen genauso wie für Glück und Gesundheit. Die gerechteste Gesellschaftsform wäre demnach die klassenlose Gesellschaft des Kommunismus, in der alle Menschen gleich reich und gleich mächtig im politischen Sinne sind. Wie weit die Gleichheit ins Privatleben reichen würde, ist in Morus´ Utopia hinreichend geschildert, und es ist klar, dass jede Konkretisierung der Konsequenzen der totalen Gleichheit nur utopisch sein kann, weshalb es weder klug noch sachdienlich ist, bei dieser Frage konkret zu werden.

Ob ein Güter- und Ehepartnertausch alle zehn Jahre oder die Auflösung der Familie, - die Machbarkeit der Idee der totalen Gleichheit ist solange zweitrangig, bevor hinreichend erörtert wurde, ob diese Idee als Idee überhaupt haltbar ist. Jeder hat - und das ist mittlerweile durch die Fortschritte in der Medizin nicht mehr unmöglich - das Recht auf gleiche Gesundheit und gleiche Dopamin- und Serotoninspiegel. Jedem steht gleich gutes Essen bei gleich gutem Appetit sowie gleich guter Geschlechtsverkehr bei gleich hoher Lust zu. Niemandem darf es schlechter gehen, als einem Anderen. Niemand darf weniger interessante Erfahrungen machen, als die Anderen, weshalb jeder auf die Genussfähigkeit seiner Sinne zu untersuchen, in dieser den Anderen anzugleichen und zur Bisexualität zu erziehen ist. Hier muss man nicht noch konkreter werden, um zu zeigen, dass es nicht möglich ist, verschiedenen Menschen gleich reiches, glückliches und interessantes Leben zu garantieren.

Die Möglichkeit, alle Gehirne an Elektroden anzuschließen, und jedem sein persönliches virtuelles Paradies zu schenken, scheitert an mangelnder Intelligenz der Maschinen, - es wäre höchst ungerecht, die Unglücklichen, derer es bedurfte, um die Glücksmaschinen zu steuern, zu monotoner Tätigkeit zu verdammen, während die Anderen ihre schönsten Phantasien ausleben dürfen. Eine Menschheit von identischen Klonen zu erschaffen, schüfe nur die Illusion der absoluten Gerechtigkeit, denn Schicksale, Zufälle, Einfälle und freie Gedanken sind unkontrollierbar (sobald einem der Klone ein lustiger Witz einfällt oder ihn aus dem Nichts ein extra-glückliches Gefühl überkommt, ist es mit der Gerechtigkeit dahin), und allein dadurch, dass zwei Körper nicht zugleich denselben Raum einnehmen können, ist totale Gleichheit theoretisch nicht möglich.

Wenn ein konsequentes Weiterdenken einer Idee in der Moralphilosophie zum Wahnsinn führt, dann ist entweder die Moralphilosophie Wahnsinn, oder es gibt keine Moralphilosophie. Ein assoziatives Räsonnieren über Ethik, ein Mikadospiel mit ad-hoc-Argumenten ist philosophisch unhaltbar, und kann keine höhere theoretische Begründung für politische oder persönliche Maximen und Ideale liefern. Da sich die Idee der totalen Gleichheit als theoretisch widersinnig erwiesen hat, sei versucht, der Gleichheit mit zwei einseitigen Überlegungen beizukommen:

1. Das Prinzip des Minimums besteht darin, dass jedem ein bestimmtes Minimum an allem, was er zum Leben braucht, gewährleistet wird: ein Grundeinkommen, eine Grundgesundheit (woraus unmissverständlich erhellt, dass schwer kranke Embryos, deren Gesundheit zu keinem Zeitpunkt im künftigen Leben das sinnvolle Minimum erreichen kann, um der Gerechtigkeit willen abzutreiben sind), ein Grundglück. Künstler und Alkoholiker, bei denen die Depression zu ihrer persönlichen Identität gehört, müssen den Planeten verlassen, um die glückliche Minimalgesellschaft nicht zu irritieren. Eine Altersobergrenze für alle Menschen ist festzulegen - eine Grenze, die den Übergang  vom Noch-Glücklichsein zum Überschuss von alters- und krankheitsbedingten unglücklichen Erlebnissen beschreibt. Außerdem wäre es ungerecht, alle Menschen nicht gleich lange leben zu lassen. Der totalitäre Terror ist somit auch bei diesem einseitigen Prinzip nicht zu vermeiden.

Abgeschwächt könnte das Prinzip des Minimums auch eine Ausgleichsmaxime beinhalten, die für Extraglück in einem Lebensbereich sorgt, wenn das Minimum in einem anderen Lebensbereich aus harten Gründen nicht zu gewährleisten ist. Jedoch erlaubt das Minimalprinzip keine Begrenzung des Glücks nach oben: der eine bekommt als Ausgleich für seine miserable Gesundheit ein großes Extra an Einkommen, der andere ist kerngesund und verdient noch mehr Geld, als der Kranke geschenkt bekommt.

2. Das Prinzip des Maximums begrenzt das Maximalglück, um zu gewährleisten, dass niemand über eine Grenze hinaus, jenseits welcher der Neid physische Schmerzen und Krebs verursacht, glücklicher als der Andere werden kann. Was tun mit selbstgenügsamen Asketen, deren Glückserleben durch Wegnahme von Gütern und Machtpositionen nicht zu beschneiden sind? Abgeschwächt könnte das Prinzip des Maximums eine Entbehrungsklausel in sich aufnehmen, die dafür sorgen würde, dass die unverwüstlich Glücklichen durch konkrete physische Eingriffe in ihrem Glück beschränkt werden könnten. Menschen, die ihr ganzes überschäumendes Glück aus dem Klavier- oder Fussballspielen schöpfen, könnten zum Ausgleich eine Hand oder einen Fuss der Gemeinschaft opfern. Die barbarischen Konsequenzen der konkreten Anwendung des Maximalprinzips sind kein hinreichendes Argument dagegen, denn hierbei handelt es sich um eine ästhetisch-moralische Bewertung, und nicht um dem Prinzip immanente Widersprüche (wenn ein Prinzip aufgestellt ist, welches besagt, dass man heute Menschen opfern soll, damit es morgen der gesamten Menschheit besser geht, dann haben Stalin und Pol Pot zum wohle der Menschheit gehandelt). Das Prinzip scheitert daran, dass, damit niemand über eine für den Neid nicht mehr annehmbare Schranke hinaus glücklich werden kann, in letzter Konsequenz eine Hölle auf Erden erreichtet werden muss, - oder das Glücksversteckspiel würde seltsame Blüten treiben, wie ironisches Unglücklichsein, Vortäuschen von Leid usf.

Ist Gleichheit gerecht? Ja, aber nur im Tode. Leben bedeutet Ungleichheit, und wer Ungleichheit ausmerzt, schafft neue Ungleichheit, oder aber eine Gleichheit des Elends. Soll die Moral also zur Hölle fahren, damit sich jeder Mensch frei entfalten kann? Es gibt drei Antworten, die aus der Hegelschen Unterscheidung von abstraktem Recht, Moralität und Sittlichkeit herrühren:

a) Auf das abstrakte Recht bezogen, garantierte die Idee der Gleichheit Rechtssicherheit und Gleichheit vor dem Gesetz. Die Menschen würden unter einem Gesetz des Dschungels leben, welches aber immerhin verbürgt wäre, und somit kein Gesetz des Dschungels wäre, welches Gesetzlosigkeit meint.

b) Moralische Gleichheit setzte zur Moralität fähige Individuen voraus und wäre nicht ohne die Ungerechtigkeit, zur Moralität Unfähige in den gleichen moralischen Status zu erheben, zu gewährleisten. Jeder wäre Rechtspostivist (das abstrakte Recht muss als Basis der Moralität gelten, da erst durch dieses ein Bewusstsein von Recht und Unrecht entstehen kann, welches dann - und hierin besteht das Wesen der Moralität - verinnerlicht wird) und handelte nach seinem Gewissen, und wer kein Gewissen hätte, wäre im Vorteil.

c) Ein sittliches Gemeinwesen würde nur den Willen Vernünftiger repräsentieren und für die anderen ein fremdes Monstrum, eine Maschine sein (nichts anderes sagt Hegel im Systementwurf von 1797 zur von außen aufgezwungenen Sitt- und Staatlichkeit, wohingegen er 1821 in der Rechtsphilosophie das sittliche Gemeinwesen aus der Sicht eines Vernünftigen betrachtet).

Eine gerechte Gleichheit, in der niemand gleicher ist als ein anderer, ist nur die Gleichheit vor Gott. Je konkreter die Gleichheit aufgefasst wird, umso mehr Ungleichheit gibt es auf glückseligkeitsferne Art zu beseitigen; je umfassender Gleichheit durchgesetzt wird, umso schreiender wird die Restungleichheit hervorbrechen. Jenseits vom abstrakten Recht ist der Satz: Ungerecht ist, wenn Gleichen Ungleiches und Ungleichen Gleiches zukommt, unsinnig, da sich die Gleichheit zunehmend auflöst, aber selbst im abstrakten Recht ist dieser Satz ein dankbares Opfer der Sophisterei. Die einzig ewige und unverrückbare Gerechtigkeit der Gleichheit besteht darin, dass erstens alle Menschen vor ihrem Herrn (vor Gott bzw. vor dem Tode) gleich sind, und zweitens in der Tatsache, dass es zwei völlig identische Menschen niemals geben kann, und somit alle in dieser prinzipiellen Ungleichheit absolut gleich sind. Jede kleinkariertere Auslegung der Gleichheit bedeutete nicht ein Mehr, sondern stets ein Weniger an Gerechtigkeit.

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Kommentare zu diesem Text


 toltec-head (16.03.21)
Die Frauen Athens sind empört über die Politik ihrer Männer, die aus ihrer Sicht von ständigen Kriegen, Habsucht und Rüstungspolitik geprägt ist. Angeführt von Praxagora betäuben sie ihre Ehemänner, verkleiden sich als diese und gelangen so in die nur den Männern vorbehaltene Volksversammlung. Dort setzen sie aufgrund ihrer in Verkleidung erschlichenen Stimmenmehrheit auf demokratischem Wege durch, dass die Macht im Staat an sie übergeht.

Die Männer sind mehr als überrascht von und mehr als empört über ihre unerwartete Entmachtung. Das Konzept der Frauen ist eine egalitäre, libertäre Gesellschaft, in der jeglicher Besitz zum Gemeingut und die Rolle des Mannes herabgesetzt wird.

Art. 1 Abs. 1 des neuen Grundgesetztes sieht vor, dass alle jungen Männer zunächst einmal mit einer Frau über 50 schlafen muss. Wer nicht "schläft", soll auch nicht essen.

 Terminator meinte dazu am 16.03.21:
Ich wäre der Erste, der einen faschistischen Staatsstreich versuchte oder zumindest einen Attentat auf das Feminat. Sex selbst mit einer 20-Jährigen wäre Missbrauch meines inneren Kindes (und dieses sieht halt so aus wie Tinke im Film "Wolfsmädchen Tinke", 2002), doch mit Jüngeren kann man ohne sexuellen Selbstmissbrauch zumindest sexlos kuscheln. Omas aber, no way, lieber schieße ich mir in den Kopf.

Zur Zeit herrscht nicht das Weib, das Kapital herrscht, das Ding, das automatische Subjekt. Das Weib wird nie herrschen, denn es ist Natur. Aber die Maschinen könnten die Herrschaft übernehmen und eine feministische Matrix bauen. Da muss Mann zusehen, wie man schnellstens sein Bewusstsein davonstehlen kann.
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