Ein Junge mit rosigen Aussichten und sein verhängnisvoller Absturz

Anekdote zum Thema Schicksal

von  Bluebird

Illustration zum Text
(von Bluebird)

Jedoch Ikarus begann Freude am Fliegen zu gewinnen, und immer höher hinaus will ist er. Irgendwann ist er zu weit gegangen und die Sonne beginnt das Wachs zu schmelzen, wodurch die Verbindung der Federn weich wurden. Jetzt hatte Ikarus keinen Halt mehr in der Luft und stürzte hinab in das blaue Meer.
Eigentlich lief es  recht  gut in meinem Leben. Ich galt in der Verwandtschaft als ein wohlerzogener, braver Junge und in der Schule als eine Art sonderbegabter Musterschüler - zudem Klassensprecher - ohne dabei im Rufe eines Strebers zu stehen. Und auch in der Nachbarschaft war ich als nachmittäglicher Spielkamerad recht beliebt.
  Zudem war ich durchaus gottgläubig, wenn ich auch – eher aus Nachlässigkeit als aus festem Vorsatz – mein tägliches Nachtgebet längst nicht mehr sprach und der sonntägliche Kirchbesuch sich etwas im Sande verlaufen hatte.
    Nicht dass ich bei all dem wirklich glücklich gewesen wäre, aber ich lebte sorgenfrei, talentiert und angenehm beschäftigt. Ein Junge mit rosigen Aussichten, mag vielleicht manche(r) insgeheim gedacht haben
 
Dieser sorgenfrei-angenehm-talentierte Zustand sollte sich dann zu Beginn des Jahres 1971, im Alter von 13 und einem halben Jahr, von einem auf den  anderen Tag schlagartig ändern.
    An jenen schicksalhaftem Januartag lag viel Schnee im Bergischen Land. Und so machte ich mich zusammen mit Dieter, einem befreundeten  Nachbarsjungen, eines Morgens auf den Weg zu einer großen, abschüssigen Weide in der näheren Umgebung.   
    Hier wollten wir ausprobieren, ob unsere bisher nur einem kleinen Hügel getesteten Skikünste auch für größere Aufgaben reichen würden.
    Nach zwei gelungenen Abfahrten stand fest: Test bestanden!

Natürlich waren wir stolz wie Bolle, aber die Sache hatte dennoch einen Haken. Der schnellen, langen Abfahrt folgte ein lästiger, mühsamer Wiederaufstieg.   
  Und so schlug Dieter vor, dass wir uns zur Abwechslung eine kleine  Sprungschanze bauen könnten. Kurzer Anfahrt, Sprung und dann schnell der nächste Sprung statt der ständigen Kraxelei mit den Skiern auf dem Rücken.
  Dies leuchtete ein und so machten wir uns sogleich ans Werk. Zehn Minuten später hatten wir eine ganz passable Schanze errichtet, die Sprünge von etwa drei bis vier Metern Weite erlaubte.

Nun sind normale Skier für´s Springen nicht gerade gut geeignet, und so landeten wir regelmäßig auf dem Hosenboden im weichen Schnee. Was an sich kein Problem war, da sich die Skier beim Hinfallen wegen der eingebauten Sicherung sofort vom Fuß lösten.
   Unser Ehrgeiz war natürlich enorm angestachelt, aber wir bekamen eine stehende Landung einfach nicht hin. Schließlich sagte Dieter: "Mir reicht  das jetzt! Komm, lass uns gehen!" "Okay, " sagte ich, " ich probier´s noch einmal, dann können wir gehen!"
    Und so konzentrierte ich mich, fuhr los und sprang- mitten hinein ins Verhängnis!
  
Was war geschehen? Im Flug hatte sich der linke Ski vom Schuh gelöst und beim nachfolgenden Sturz ging paradoxerweise - doppeltes Pech - die  Sicherung des verbliebenen Skis nicht auf, so dass sich der rechte Fuss  etwas verderhte.
Augenblicklich  verspürte ich einen stechenden Schmerz im rechten Knöchel.
     Dieter kam natürlich sofort herbeigeeilt und fragte besorgt: "Alles in Ordnung?" Ich versuchte aufzustehen, sackte aber gleich wieder um. Der Schmerz im rechten Fuss war zu groß.
    Wir ahnten beide, dass da möglicherweise etwas Schlimmes passiert war. Schließlich nahm Dieter meine Skier an sich und ich humpelte auf meine beiden Skistöcken gestützt unter großen Schmerzen neben ihm her nach Hause.

In der Tat wurde ein Knöchelbruch im rechten Fuss diagnostiziert, was ein Gipsverband und ein sechswöchiges häusliches Liegen bedeutete.  Und auch nach der Gipsentfernung war monatelang mein geliebtes Fußball- oder Tischtennisspielen nicht möglich.
  Dies  alles war damals, wie der Bremer sagen würde, für mich wirklich ein herber Schlag ins Kontor!
    Und mehr als das! Irgendetwas muss in jener Zeit auch innerlich in mir zerbrochen sein. Aus dem braven Jungen wurde recht bald ein Rebell, der Musterschüler verlor nach und nach das Interesse an der Schule, die Spielkameraden wurden durch falsche Freunde ersetzt und mein Gottglaube, ja der war irgendwann vollkommen in Vergessenheit geraten.

Gedankenimpuls:
Ich habe mich manches mal gefragt, wie mein Leben ohne diesen verhängnisvollen Sturz verlaufen wäre. Eine müßige Spekulation, gewiß!
  Aber damals begriff ich durchaus, dass das da vermutlich eine höhere Hand im Spiel gewesen war. Denn dass sich bei jenem verhängnisvollem Sprung der eine Ski plötzlich  löste und der andere beim Sturz erstaunlicherweise aber nicht, war des Unwahrscheinlichen ein wenig zu viel!
    Heute bin ich fest davon überzeugt, dass dem allen eine tiefere Absicht zugrundelag und aus rosigen Aussichten erst einmal welke Tatsachen werden mussten, damit ich meine grundsätzliche Verlorenheit erkennen konnte


Anmerkung von Bluebird:

Eine Jugenderinnerung aus dem Jahre 1971

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Frühere bzw. ältere Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (21.03.21)
Ein Junge bricht sich beim Sport einen Knöchel. Das kommt vor. Aber nicht jeder kommt darauf, daß dahinter Jesus steckt.

 DanceWith1Life meinte dazu am 21.03.21:
lach, jedes Ereignis hat ja Vorspiel, Szenenmitwirkende und Schlussfolgerung.
Die Details sind von vielerlei Blickwinkeln interpretierbar , darunter derjenige des Verletzten.
Ich kenne niemanden, der nach solchen Unfällen nicht nach Erklärungen sucht, wie es dazu kommen konnte.
Die meisten davon haben die leichte Tendenz zum Aberglauben.
Die Wenigen, die nicht in diese Rictung gehen, haben alle mit Bewusstheit zu tun, nicht mit Glauben oder Interpretation.

 Bluebird antwortete darauf am 21.03.21:
Ein Phänomen/Ereignis und dessen (richtige) Deutung sind keine einfache Aufgabe.
Was ich bezüglich des geschilderten persönlichen Fallbeispiels sagen kann, ist halt die Besonderheit jenes letzten schicksalhaften Sprungs. Es ging sozusagen alles schief, was nur schief gehen konnte.
Durch den Verlust des Skies kam ich noch in der Luft ins Trudeln und dass sich ausgerechnet bei diesem Mal im Fallen der andere Ski nicht löste, mich da im Schnee verkannte, war schon eine eine recht unglückliche und auch unwahrscheinliche Verkettung der Umstände.
Im Rückblick kann ich klar erkennen, dass die Folgen dieses Sturzes weit über den rein medizinischen Vorgang hinausgingen. Einen Negativtrend in meinem Leben auslöste, der sich erst im frühen Erwachsenenalter (etwa mit 21 Jahren) wieder beruhigte.

So verworren,leidvoll und dunkel diese Jahre auch gewesen sein mögen, sie waren aber auch eine Erlösung aus einer Welt des gutbürgerlichen Scheins. Mit großer Klarheit erkannte ich in jenen Jahren, dass grundsätzlich etwas schief lief, etwas "faul im Staate Dänemark" war.
Dieses Gefühl wäre vielleicht nicht so stark geworden, wenn der Sturz nicht geschehen wäre und ich weiter im Kontext erfolgreich hätte weitermachen können.
Die eigene Verlorenheit in einem fragwürdigen Weltgefüge zu erahnen, war aber vermutlich eine wichtige Voraussetzung für meine spätere Bekehrung zum christlichen Glauben

Antwort geändert am 21.03.2021 um 19:11 Uhr

 DanceWith1Life schrieb daraufhin am 21.03.21:
wie so oft, ist der Prozess der Bewusstwerdens vielschichtig, auch das ist letztendlich keine Glaubensangelegenheit, vielmehr bekomme ich oft das Gefühl(und da bin ich keine Ausnahme) dass das Glauben erst beginnt, wenn das Bewusstwerden nachlässt.

 LotharAtzert äußerte darauf am 21.03.21:
" Mit großer Klarheit erkannte ich ..."
Bluebird, du bist wirklich ein geiler Typ, alle Achtung !

Antwort geändert am 21.03.2021 um 19:37 Uhr
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